Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

Bild:
<< vorherige Seite

Beweismittel eines Verbrechens verhindern kann. Allein in diesem
Falle soll sie ihrerseits ihren Akt gerichtlich bei eintretender Klage des
Verhafteten vertreten, und das Gericht wird dann entscheiden, ob die
Verhaftung eine gegründete Ursache hatte, widrigenfalls das Polizei-
organ zum Schadenersatz verurtheilt werden soll. Dieß ist darum richtig,
weil jedes Polizeiorgan am besten über Verdachtsgründe urtheilen kann,
und daher in der Lage ist, sich nöthigenfalls vom Gericht vorher einen
Haftbefehl auszuwirken. 3) Die Verhaftung bei Uebertretung von
Polizeiverfügungen gehört eigentlich dem ersten Fall, unterscheidet sich
aber dadurch, daß die Freilassung sofort geschieht, sobald die polizei-
liche Buße gezahlt ist.

In Beziehung auf öffentliche Ruhestörung hat die polizeiliche
Verhaftung einen andern Charakter. Hier ist sie nicht der Beginn des
gerichtlichen Verfahrens durch die Polizei, sondern vielmehr das Ende
des polizeilichen Verfahrens, eine Maßregel, welche mit ihrer Ursache
zu Ende sein muß. Sie wird aus diesem Grunde oft statt einer Ver-
haftung oder Verwahrung eine bloße Wegführung von dem Orte sein.
Natürlich wird eine wirkliche Verhaftung daraus, wenn in der öffent-
lichen Ruhestörung eine strafbare Uebertretung enthalten ist.

II. Das Verfahren nach der Verhaftung und das Recht desselben
ist nun gegeben durch den Zweck, aus dem die Verhaftung selbst her-
vorging. Bei Verhaftung wegen eines Verbrechens war der Zweck die
gerichtliche Verfolgung des letztern, daher muß sie sofort zu der letztern
übergehen, oder aufgegeben werden. Deßhalb allgemeiner Grundsatz,
daß bei jeder Verhaftung der Verhaftete vor seinen ordentlichen Richter
gestellt werden muß. Der Termin für diese Stellung vor Gericht soll
dabei stets als das Maximum der Dauer der rein polizeilichen Ver-
haftung angesehen, und der Polizei die Pflicht auferlegt werden, wenn
möglich den Verhafteten sogleich vor den Richter zu führen. Das
Recht der polizeilichen Verhaftung ist hier gleich dem der gerichtlichen;
der Unterschied liegt nur darin, daß bei der letztern der Richter, der
den Befehl gab, bei der erstern aber das Polizeiorgan selbst für die
Einleitung des Verhörs in der festgesetzten Frist verantwortlich ist, und
dafür bestraft werden kann. Ein weiterer Unterschied existirt nicht; und
dieser Unterschied ist wiederum nur da ein wesentlicher, wo, wie in
England, das Recht der Privatklage dem Einzelnen zusteht. Ohne
Zweifel aber geht auch das polizeiliche Verhaftungsrecht so weit, jeden
Fluchtversuch und jede Collusion auch vor dem gerichtlichen Verhöre zu
hindern; aber auch in diesem Falle hat die Polizei die Verhaftung dem
Gerichte sofort anzuzeigen und von demselben bestätigen zu lassen,
damit aus der polizeilichen eine gerichtliche Verhaftung werde. War

Beweismittel eines Verbrechens verhindern kann. Allein in dieſem
Falle ſoll ſie ihrerſeits ihren Akt gerichtlich bei eintretender Klage des
Verhafteten vertreten, und das Gericht wird dann entſcheiden, ob die
Verhaftung eine gegründete Urſache hatte, widrigenfalls das Polizei-
organ zum Schadenerſatz verurtheilt werden ſoll. Dieß iſt darum richtig,
weil jedes Polizeiorgan am beſten über Verdachtsgründe urtheilen kann,
und daher in der Lage iſt, ſich nöthigenfalls vom Gericht vorher einen
Haftbefehl auszuwirken. 3) Die Verhaftung bei Uebertretung von
Polizeiverfügungen gehört eigentlich dem erſten Fall, unterſcheidet ſich
aber dadurch, daß die Freilaſſung ſofort geſchieht, ſobald die polizei-
liche Buße gezahlt iſt.

In Beziehung auf öffentliche Ruheſtörung hat die polizeiliche
Verhaftung einen andern Charakter. Hier iſt ſie nicht der Beginn des
gerichtlichen Verfahrens durch die Polizei, ſondern vielmehr das Ende
des polizeilichen Verfahrens, eine Maßregel, welche mit ihrer Urſache
zu Ende ſein muß. Sie wird aus dieſem Grunde oft ſtatt einer Ver-
haftung oder Verwahrung eine bloße Wegführung von dem Orte ſein.
Natürlich wird eine wirkliche Verhaftung daraus, wenn in der öffent-
lichen Ruheſtörung eine ſtrafbare Uebertretung enthalten iſt.

II. Das Verfahren nach der Verhaftung und das Recht deſſelben
iſt nun gegeben durch den Zweck, aus dem die Verhaftung ſelbſt her-
vorging. Bei Verhaftung wegen eines Verbrechens war der Zweck die
gerichtliche Verfolgung des letztern, daher muß ſie ſofort zu der letztern
übergehen, oder aufgegeben werden. Deßhalb allgemeiner Grundſatz,
daß bei jeder Verhaftung der Verhaftete vor ſeinen ordentlichen Richter
geſtellt werden muß. Der Termin für dieſe Stellung vor Gericht ſoll
dabei ſtets als das Maximum der Dauer der rein polizeilichen Ver-
haftung angeſehen, und der Polizei die Pflicht auferlegt werden, wenn
möglich den Verhafteten ſogleich vor den Richter zu führen. Das
Recht der polizeilichen Verhaftung iſt hier gleich dem der gerichtlichen;
der Unterſchied liegt nur darin, daß bei der letztern der Richter, der
den Befehl gab, bei der erſtern aber das Polizeiorgan ſelbſt für die
Einleitung des Verhörs in der feſtgeſetzten Friſt verantwortlich iſt, und
dafür beſtraft werden kann. Ein weiterer Unterſchied exiſtirt nicht; und
dieſer Unterſchied iſt wiederum nur da ein weſentlicher, wo, wie in
England, das Recht der Privatklage dem Einzelnen zuſteht. Ohne
Zweifel aber geht auch das polizeiliche Verhaftungsrecht ſo weit, jeden
Fluchtverſuch und jede Colluſion auch vor dem gerichtlichen Verhöre zu
hindern; aber auch in dieſem Falle hat die Polizei die Verhaftung dem
Gerichte ſofort anzuzeigen und von demſelben beſtätigen zu laſſen,
damit aus der polizeilichen eine gerichtliche Verhaftung werde. War

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0164" n="142"/>
Beweismittel eines Verbrechens verhindern kann. Allein in die&#x017F;em<lb/>
Falle &#x017F;oll &#x017F;ie ihrer&#x017F;eits ihren Akt gerichtlich bei eintretender Klage des<lb/>
Verhafteten vertreten, und das Gericht wird dann ent&#x017F;cheiden, ob die<lb/>
Verhaftung eine gegründete Ur&#x017F;ache hatte, widrigenfalls das Polizei-<lb/>
organ zum Schadener&#x017F;atz verurtheilt werden &#x017F;oll. Dieß i&#x017F;t darum richtig,<lb/>
weil jedes Polizeiorgan am be&#x017F;ten über Verdachtsgründe urtheilen kann,<lb/>
und daher in der Lage i&#x017F;t, &#x017F;ich nöthigenfalls vom Gericht vorher einen<lb/>
Haftbefehl auszuwirken. 3) Die Verhaftung bei Uebertretung von<lb/>
Polizeiverfügungen gehört eigentlich dem er&#x017F;ten Fall, unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich<lb/>
aber dadurch, daß die Freila&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#g">&#x017F;ofort</hi> ge&#x017F;chieht, &#x017F;obald die polizei-<lb/>
liche Buße gezahlt i&#x017F;t.</p><lb/>
                <p>In Beziehung auf öffentliche <hi rendition="#g">Ruhe&#x017F;törung</hi> hat die polizeiliche<lb/>
Verhaftung einen andern Charakter. Hier i&#x017F;t &#x017F;ie nicht der Beginn des<lb/>
gerichtlichen Verfahrens durch die Polizei, &#x017F;ondern vielmehr das Ende<lb/>
des polizeilichen Verfahrens, eine Maßregel, welche mit ihrer Ur&#x017F;ache<lb/>
zu Ende &#x017F;ein muß. Sie wird aus die&#x017F;em Grunde oft &#x017F;tatt einer Ver-<lb/>
haftung oder Verwahrung eine bloße Wegführung von dem Orte &#x017F;ein.<lb/>
Natürlich wird eine wirkliche Verhaftung daraus, wenn in der öffent-<lb/>
lichen Ruhe&#x017F;törung eine &#x017F;trafbare Uebertretung enthalten i&#x017F;t.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Verfahren <hi rendition="#g">nach</hi> der Verhaftung und das <hi rendition="#g">Recht</hi> de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
i&#x017F;t nun gegeben durch den <hi rendition="#g">Zweck</hi>, aus dem die Verhaftung &#x017F;elb&#x017F;t her-<lb/>
vorging. Bei Verhaftung wegen eines Verbrechens war der Zweck die<lb/>
gerichtliche Verfolgung des letztern, <hi rendition="#g">daher</hi> muß &#x017F;ie &#x017F;ofort zu der letztern<lb/>
übergehen, oder aufgegeben werden. Deßhalb allgemeiner Grund&#x017F;atz,<lb/>
daß bei <hi rendition="#g">jeder</hi> Verhaftung der Verhaftete vor &#x017F;einen ordentlichen Richter<lb/>
ge&#x017F;tellt werden muß. Der <hi rendition="#g">Termin</hi> für die&#x017F;e Stellung vor Gericht &#x017F;oll<lb/>
dabei &#x017F;tets als das Maximum der Dauer der rein polizeilichen Ver-<lb/>
haftung ange&#x017F;ehen, und der Polizei die Pflicht auferlegt werden, wenn<lb/>
möglich den Verhafteten <hi rendition="#g">&#x017F;ogleich</hi> vor den Richter zu führen. Das<lb/>
Recht der polizeilichen Verhaftung i&#x017F;t hier <hi rendition="#g">gleich</hi> dem der gerichtlichen;<lb/>
der Unter&#x017F;chied liegt nur darin, daß bei der letztern der Richter, der<lb/>
den Befehl gab, bei der er&#x017F;tern aber das Polizeiorgan &#x017F;elb&#x017F;t für die<lb/>
Einleitung des Verhörs in der fe&#x017F;tge&#x017F;etzten Fri&#x017F;t verantwortlich i&#x017F;t, und<lb/>
dafür <hi rendition="#g">be&#x017F;traft</hi> werden kann. Ein weiterer Unter&#x017F;chied exi&#x017F;tirt nicht; und<lb/>
die&#x017F;er Unter&#x017F;chied i&#x017F;t wiederum nur da ein we&#x017F;entlicher, wo, wie in<lb/>
England, das Recht der Privatklage dem Einzelnen zu&#x017F;teht. Ohne<lb/>
Zweifel aber geht auch das polizeiliche Verhaftungsrecht &#x017F;o weit, jeden<lb/>
Fluchtver&#x017F;uch und jede Collu&#x017F;ion auch vor dem gerichtlichen Verhöre zu<lb/>
hindern; aber auch in die&#x017F;em Falle hat die Polizei die Verhaftung dem<lb/>
Gerichte &#x017F;ofort anzuzeigen und von dem&#x017F;elben be&#x017F;tätigen zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
damit aus der polizeilichen eine gerichtliche Verhaftung werde. War<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0164] Beweismittel eines Verbrechens verhindern kann. Allein in dieſem Falle ſoll ſie ihrerſeits ihren Akt gerichtlich bei eintretender Klage des Verhafteten vertreten, und das Gericht wird dann entſcheiden, ob die Verhaftung eine gegründete Urſache hatte, widrigenfalls das Polizei- organ zum Schadenerſatz verurtheilt werden ſoll. Dieß iſt darum richtig, weil jedes Polizeiorgan am beſten über Verdachtsgründe urtheilen kann, und daher in der Lage iſt, ſich nöthigenfalls vom Gericht vorher einen Haftbefehl auszuwirken. 3) Die Verhaftung bei Uebertretung von Polizeiverfügungen gehört eigentlich dem erſten Fall, unterſcheidet ſich aber dadurch, daß die Freilaſſung ſofort geſchieht, ſobald die polizei- liche Buße gezahlt iſt. In Beziehung auf öffentliche Ruheſtörung hat die polizeiliche Verhaftung einen andern Charakter. Hier iſt ſie nicht der Beginn des gerichtlichen Verfahrens durch die Polizei, ſondern vielmehr das Ende des polizeilichen Verfahrens, eine Maßregel, welche mit ihrer Urſache zu Ende ſein muß. Sie wird aus dieſem Grunde oft ſtatt einer Ver- haftung oder Verwahrung eine bloße Wegführung von dem Orte ſein. Natürlich wird eine wirkliche Verhaftung daraus, wenn in der öffent- lichen Ruheſtörung eine ſtrafbare Uebertretung enthalten iſt. II. Das Verfahren nach der Verhaftung und das Recht deſſelben iſt nun gegeben durch den Zweck, aus dem die Verhaftung ſelbſt her- vorging. Bei Verhaftung wegen eines Verbrechens war der Zweck die gerichtliche Verfolgung des letztern, daher muß ſie ſofort zu der letztern übergehen, oder aufgegeben werden. Deßhalb allgemeiner Grundſatz, daß bei jeder Verhaftung der Verhaftete vor ſeinen ordentlichen Richter geſtellt werden muß. Der Termin für dieſe Stellung vor Gericht ſoll dabei ſtets als das Maximum der Dauer der rein polizeilichen Ver- haftung angeſehen, und der Polizei die Pflicht auferlegt werden, wenn möglich den Verhafteten ſogleich vor den Richter zu führen. Das Recht der polizeilichen Verhaftung iſt hier gleich dem der gerichtlichen; der Unterſchied liegt nur darin, daß bei der letztern der Richter, der den Befehl gab, bei der erſtern aber das Polizeiorgan ſelbſt für die Einleitung des Verhörs in der feſtgeſetzten Friſt verantwortlich iſt, und dafür beſtraft werden kann. Ein weiterer Unterſchied exiſtirt nicht; und dieſer Unterſchied iſt wiederum nur da ein weſentlicher, wo, wie in England, das Recht der Privatklage dem Einzelnen zuſteht. Ohne Zweifel aber geht auch das polizeiliche Verhaftungsrecht ſo weit, jeden Fluchtverſuch und jede Colluſion auch vor dem gerichtlichen Verhöre zu hindern; aber auch in dieſem Falle hat die Polizei die Verhaftung dem Gerichte ſofort anzuzeigen und von demſelben beſtätigen zu laſſen, damit aus der polizeilichen eine gerichtliche Verhaftung werde. War

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/164
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/164>, abgerufen am 01.05.2024.