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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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nothwendig, als da, wo sie überhaupt im Strafgesetze schon ausgesprochen
ist. 3) Kann diese Erklärung Thätigkeiten und Aeußerungen, welche
an sich nur eine Gefährdung der öffentlichen Rechtsordnung enthalten,
zu selbständigen Verbrechen machen. Dahin gehören namentlich
Ausstreuung falscher Gerüchte, Aufreizungen und aufregende Reden u. s. w.
Es liegt dabei der richtige Gedanke zum Grunde, daß die Verhältnisse
aus dem, was an sich nicht einmal ein entfernter Versuch ist, eine
wirkliche Verletzung der öffentlichen Sicherheit machen. Die Veröffent-
lichung des Standrechts setzt jeden Einzelnen in die Lage, zu wissen,
daß dieser Fall eingetreten ist. Das Halten von aufregenden Reden u. s. w.
wird daher vermöge dieses Bewußtseins zu einem Versuch, der durch
die Verhältnisse als ein nächster Versuch erscheint, und daher naturgemäß
als Verbrechen strafbar ist, Es folgt daraus, daß die Erklärung des
Standrechts zugleich die Strafe dafür bestimmen muß, da ohne Stand-
recht solche Aeußerungen straflos sind. 4) Daß die Presse damit gleich-
falls unter dasselbe Recht gestellt wird, versteht sich von selbst.

Es ist klar, daß in solchem Zustande das Verfahren von doppelter
Wichtigkeit wird.

Das ganze Wesen des Standrechts fordert nämlich allerdings, daß
das Verfahren der Gefahr angemessen sei, welche in dem Verbrechen
liegt, und daß es daher ein kurzes und inappellables sei. Allein für
dasselbe sind dennoch im Interesse der staatsbürgerlichen Freiheit drei
Grundsätze leitend.

Erstlich soll das ganze Verfahren sich nur auf die standrechtlichen
Verbrechen beziehen.

Zweitens soll das Gericht ein besonders dazu bestimmtes sein.
Die Natur der öffentlichen Gefahr macht dabei ein militärisches Gericht
durchaus nicht nothwendig, läßt aber auch die Wirksamkeit der Schwur-
gerichte nicht zu. Die für die Standgerichte geltenden Grundsätze müßten
sich auf zwei Hauptpunkte beschränken: erstlich muß die militärische
Gerichtsbarkeit für alle diejenigen Fälle eintreten, wo die Einzelnen
mit den Waffen in der Hand im offenen Widerstande gegen die Ver-
waltung ergriffen werden; zweitens bleiben die früheren Gerichte,
also auch die Schwurgerichte für alle diejenigen Verbrechen, für welche
das Standrecht nicht verkündet ist.

Drittens bleibt das gesammte Recht der Einzelpolizei vollkommen
bestehen; nur ist die Polizei mit der Einführung des Standrechts eine
standgerichtliche. Dieß nun heißt, daß Verhaftung, Haussuchung,
Beschlagnahme und Waffenrecht im Namen des Standgerichts ausgeübt
werden. Die rechtliche Formel daher ist die, daß die Polizei für ihre
Funktionen nicht mehr eines gerichtlichen Befehles bedarf; daß

nothwendig, als da, wo ſie überhaupt im Strafgeſetze ſchon ausgeſprochen
iſt. 3) Kann dieſe Erklärung Thätigkeiten und Aeußerungen, welche
an ſich nur eine Gefährdung der öffentlichen Rechtsordnung enthalten,
zu ſelbſtändigen Verbrechen machen. Dahin gehören namentlich
Ausſtreuung falſcher Gerüchte, Aufreizungen und aufregende Reden u. ſ. w.
Es liegt dabei der richtige Gedanke zum Grunde, daß die Verhältniſſe
aus dem, was an ſich nicht einmal ein entfernter Verſuch iſt, eine
wirkliche Verletzung der öffentlichen Sicherheit machen. Die Veröffent-
lichung des Standrechts ſetzt jeden Einzelnen in die Lage, zu wiſſen,
daß dieſer Fall eingetreten iſt. Das Halten von aufregenden Reden u. ſ. w.
wird daher vermöge dieſes Bewußtſeins zu einem Verſuch, der durch
die Verhältniſſe als ein nächſter Verſuch erſcheint, und daher naturgemäß
als Verbrechen ſtrafbar iſt, Es folgt daraus, daß die Erklärung des
Standrechts zugleich die Strafe dafür beſtimmen muß, da ohne Stand-
recht ſolche Aeußerungen ſtraflos ſind. 4) Daß die Preſſe damit gleich-
falls unter daſſelbe Recht geſtellt wird, verſteht ſich von ſelbſt.

Es iſt klar, daß in ſolchem Zuſtande das Verfahren von doppelter
Wichtigkeit wird.

Das ganze Weſen des Standrechts fordert nämlich allerdings, daß
das Verfahren der Gefahr angemeſſen ſei, welche in dem Verbrechen
liegt, und daß es daher ein kurzes und inappellables ſei. Allein für
daſſelbe ſind dennoch im Intereſſe der ſtaatsbürgerlichen Freiheit drei
Grundſätze leitend.

Erſtlich ſoll das ganze Verfahren ſich nur auf die ſtandrechtlichen
Verbrechen beziehen.

Zweitens ſoll das Gericht ein beſonders dazu beſtimmtes ſein.
Die Natur der öffentlichen Gefahr macht dabei ein militäriſches Gericht
durchaus nicht nothwendig, läßt aber auch die Wirkſamkeit der Schwur-
gerichte nicht zu. Die für die Standgerichte geltenden Grundſätze müßten
ſich auf zwei Hauptpunkte beſchränken: erſtlich muß die militäriſche
Gerichtsbarkeit für alle diejenigen Fälle eintreten, wo die Einzelnen
mit den Waffen in der Hand im offenen Widerſtande gegen die Ver-
waltung ergriffen werden; zweitens bleiben die früheren Gerichte,
alſo auch die Schwurgerichte für alle diejenigen Verbrechen, für welche
das Standrecht nicht verkündet iſt.

Drittens bleibt das geſammte Recht der Einzelpolizei vollkommen
beſtehen; nur iſt die Polizei mit der Einführung des Standrechts eine
ſtandgerichtliche. Dieß nun heißt, daß Verhaftung, Hausſuchung,
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[128/0150] nothwendig, als da, wo ſie überhaupt im Strafgeſetze ſchon ausgeſprochen iſt. 3) Kann dieſe Erklärung Thätigkeiten und Aeußerungen, welche an ſich nur eine Gefährdung der öffentlichen Rechtsordnung enthalten, zu ſelbſtändigen Verbrechen machen. Dahin gehören namentlich Ausſtreuung falſcher Gerüchte, Aufreizungen und aufregende Reden u. ſ. w. Es liegt dabei der richtige Gedanke zum Grunde, daß die Verhältniſſe aus dem, was an ſich nicht einmal ein entfernter Verſuch iſt, eine wirkliche Verletzung der öffentlichen Sicherheit machen. Die Veröffent- lichung des Standrechts ſetzt jeden Einzelnen in die Lage, zu wiſſen, daß dieſer Fall eingetreten iſt. Das Halten von aufregenden Reden u. ſ. w. wird daher vermöge dieſes Bewußtſeins zu einem Verſuch, der durch die Verhältniſſe als ein nächſter Verſuch erſcheint, und daher naturgemäß als Verbrechen ſtrafbar iſt, Es folgt daraus, daß die Erklärung des Standrechts zugleich die Strafe dafür beſtimmen muß, da ohne Stand- recht ſolche Aeußerungen ſtraflos ſind. 4) Daß die Preſſe damit gleich- falls unter daſſelbe Recht geſtellt wird, verſteht ſich von ſelbſt. Es iſt klar, daß in ſolchem Zuſtande das Verfahren von doppelter Wichtigkeit wird. Das ganze Weſen des Standrechts fordert nämlich allerdings, daß das Verfahren der Gefahr angemeſſen ſei, welche in dem Verbrechen liegt, und daß es daher ein kurzes und inappellables ſei. Allein für daſſelbe ſind dennoch im Intereſſe der ſtaatsbürgerlichen Freiheit drei Grundſätze leitend. Erſtlich ſoll das ganze Verfahren ſich nur auf die ſtandrechtlichen Verbrechen beziehen. Zweitens ſoll das Gericht ein beſonders dazu beſtimmtes ſein. Die Natur der öffentlichen Gefahr macht dabei ein militäriſches Gericht durchaus nicht nothwendig, läßt aber auch die Wirkſamkeit der Schwur- gerichte nicht zu. Die für die Standgerichte geltenden Grundſätze müßten ſich auf zwei Hauptpunkte beſchränken: erſtlich muß die militäriſche Gerichtsbarkeit für alle diejenigen Fälle eintreten, wo die Einzelnen mit den Waffen in der Hand im offenen Widerſtande gegen die Ver- waltung ergriffen werden; zweitens bleiben die früheren Gerichte, alſo auch die Schwurgerichte für alle diejenigen Verbrechen, für welche das Standrecht nicht verkündet iſt. Drittens bleibt das geſammte Recht der Einzelpolizei vollkommen beſtehen; nur iſt die Polizei mit der Einführung des Standrechts eine ſtandgerichtliche. Dieß nun heißt, daß Verhaftung, Hausſuchung, Beſchlagnahme und Waffenrecht im Namen des Standgerichts ausgeübt werden. Die rechtliche Formel daher iſt die, daß die Polizei für ihre Funktionen nicht mehr eines gerichtlichen Befehles bedarf; daß

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/150>, abgerufen am 06.05.2024.