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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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dieß vermag, gehört sie dem wirklichen Leben. Und erst dann nennen
wir sie mit Recht die Wissenschaft der Verwaltung.

Ist dem nun so, so ist die erste Aufgabe der letzteren gegenüber
dem positiven Verwaltungsrecht die, die elementaren Kräfte und
Bewegungen
sich zu vergegenwärtigen, durch deren Wesen die ab-
strakten und allgemeinen Begriffe und Forderungen der Verwaltungslehre
eben jene positive rechtliche und besondere Gestalt empfangen, und diese
Kräfte und Bewegungen dann bei jedem Theile der Verwaltung in ihren
Erfolgen, dem wirklich geltenden Verwaltungsrecht, wieder darzulegen.

Das erstere müssen wir hier thun. Das zweite ist dann die Auf-
gabe der einzelnen Theile der Verwaltungslehre. Wir glauben aber
auch mit dem ersten kurz sein zu können.

Zwei große, für das menschliche Leben elementare Potenzen gibt
es, welche dem an sich in der Persönlichkeit liegenden Wesen der-
selben seine concrete Gestalt geben. Sie sind auch hier das natürliche
und das persönliche Element. Wir nennen diese beiden Elemente im
Staat am kürzesten und besten das Land und das Volk. Das Land
mit all seinen Elementen, mit seiner Lage, seiner Beschaffenheit, seinem
Klima, seinen Produkten, seinen Ebenen und Bergen, seinen Flüssen
und Seen, liegt da, still, aber unwiderstehlich auf das Volksleben ein-
wirkend; das Volk selbst mit seiner physischen und geistigen Indivi-
dualität, mit seiner volkswirthschaftlichen Entwicklung, mit seiner gesell-
schaftlichen Ordnung, ihren Gegensätzen und Forderungen bewegt sich
auf diesem Boden, der ihm gehört, tausendfach ihn bestimmend, tausend-
fach von ihm bestimmt. Beide zusammen, untrennbar, erzeugen den
festen materiellen Inhalt des Staats. An ihn muß er sich halten.
Was er ist, ist er durch und in diesem seinem selbstgearteten Körper;
was er will, kann er nicht für einen abstrakten Begriff, sondern muß
es für diesen gegebenen Staat wollen. Sein Wille, erzeugt an ihm,
verschmilzt mit ihm. Die Bedingungen, unter denen dieser Wille ent-
stand, liegen in diesem concreten Leben; sie bestimmen es, wie es von ihm
bestimmt wird; die Voraussetzungen seiner Verwirklichung wie das Ziel,
welches er erreichen will, sind hier vorhanden, concret und faßbar; er ist
mit seinem Willen und seinem concreten Dasein ein untrennbares Ganze.

Und wie das nun im Allgemeinen richtig ist, so hat es natürlich
in demjenigen Gebiete seine greifbarste Gültigkeit, wo der Staat eben
vermöge seiner Thätigkeit mit dem wirklichen Leben am meisten zu thun
hat, im Gebiete der Verwaltung. Während in der Staatswirthschaft
das Bedürfniß des Staats, in der Rechtspflege die persönliche Unver-
letzlichkeit das Objekt der Staatsthätigkeit ist, ist es in der Verwal-
tung Land und Volk in ihrer Wirklichkeit, welche das Substrat der

dieß vermag, gehört ſie dem wirklichen Leben. Und erſt dann nennen
wir ſie mit Recht die Wiſſenſchaft der Verwaltung.

Iſt dem nun ſo, ſo iſt die erſte Aufgabe der letzteren gegenüber
dem poſitiven Verwaltungsrecht die, die elementaren Kräfte und
Bewegungen
ſich zu vergegenwärtigen, durch deren Weſen die ab-
ſtrakten und allgemeinen Begriffe und Forderungen der Verwaltungslehre
eben jene poſitive rechtliche und beſondere Geſtalt empfangen, und dieſe
Kräfte und Bewegungen dann bei jedem Theile der Verwaltung in ihren
Erfolgen, dem wirklich geltenden Verwaltungsrecht, wieder darzulegen.

Das erſtere müſſen wir hier thun. Das zweite iſt dann die Auf-
gabe der einzelnen Theile der Verwaltungslehre. Wir glauben aber
auch mit dem erſten kurz ſein zu können.

Zwei große, für das menſchliche Leben elementare Potenzen gibt
es, welche dem an ſich in der Perſönlichkeit liegenden Weſen der-
ſelben ſeine concrete Geſtalt geben. Sie ſind auch hier das natürliche
und das perſönliche Element. Wir nennen dieſe beiden Elemente im
Staat am kürzeſten und beſten das Land und das Volk. Das Land
mit all ſeinen Elementen, mit ſeiner Lage, ſeiner Beſchaffenheit, ſeinem
Klima, ſeinen Produkten, ſeinen Ebenen und Bergen, ſeinen Flüſſen
und Seen, liegt da, ſtill, aber unwiderſtehlich auf das Volksleben ein-
wirkend; das Volk ſelbſt mit ſeiner phyſiſchen und geiſtigen Indivi-
dualität, mit ſeiner volkswirthſchaftlichen Entwicklung, mit ſeiner geſell-
ſchaftlichen Ordnung, ihren Gegenſätzen und Forderungen bewegt ſich
auf dieſem Boden, der ihm gehört, tauſendfach ihn beſtimmend, tauſend-
fach von ihm beſtimmt. Beide zuſammen, untrennbar, erzeugen den
feſten materiellen Inhalt des Staats. An ihn muß er ſich halten.
Was er iſt, iſt er durch und in dieſem ſeinem ſelbſtgearteten Körper;
was er will, kann er nicht für einen abſtrakten Begriff, ſondern muß
es für dieſen gegebenen Staat wollen. Sein Wille, erzeugt an ihm,
verſchmilzt mit ihm. Die Bedingungen, unter denen dieſer Wille ent-
ſtand, liegen in dieſem concreten Leben; ſie beſtimmen es, wie es von ihm
beſtimmt wird; die Vorausſetzungen ſeiner Verwirklichung wie das Ziel,
welches er erreichen will, ſind hier vorhanden, concret und faßbar; er iſt
mit ſeinem Willen und ſeinem concreten Daſein ein untrennbares Ganze.

Und wie das nun im Allgemeinen richtig iſt, ſo hat es natürlich
in demjenigen Gebiete ſeine greifbarſte Gültigkeit, wo der Staat eben
vermöge ſeiner Thätigkeit mit dem wirklichen Leben am meiſten zu thun
hat, im Gebiete der Verwaltung. Während in der Staatswirthſchaft
das Bedürfniß des Staats, in der Rechtspflege die perſönliche Unver-
letzlichkeit das Objekt der Staatsthätigkeit iſt, iſt es in der Verwal-
tung Land und Volk in ihrer Wirklichkeit, welche das Subſtrat der

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[76/0098] dieß vermag, gehört ſie dem wirklichen Leben. Und erſt dann nennen wir ſie mit Recht die Wiſſenſchaft der Verwaltung. Iſt dem nun ſo, ſo iſt die erſte Aufgabe der letzteren gegenüber dem poſitiven Verwaltungsrecht die, die elementaren Kräfte und Bewegungen ſich zu vergegenwärtigen, durch deren Weſen die ab- ſtrakten und allgemeinen Begriffe und Forderungen der Verwaltungslehre eben jene poſitive rechtliche und beſondere Geſtalt empfangen, und dieſe Kräfte und Bewegungen dann bei jedem Theile der Verwaltung in ihren Erfolgen, dem wirklich geltenden Verwaltungsrecht, wieder darzulegen. Das erſtere müſſen wir hier thun. Das zweite iſt dann die Auf- gabe der einzelnen Theile der Verwaltungslehre. Wir glauben aber auch mit dem erſten kurz ſein zu können. Zwei große, für das menſchliche Leben elementare Potenzen gibt es, welche dem an ſich in der Perſönlichkeit liegenden Weſen der- ſelben ſeine concrete Geſtalt geben. Sie ſind auch hier das natürliche und das perſönliche Element. Wir nennen dieſe beiden Elemente im Staat am kürzeſten und beſten das Land und das Volk. Das Land mit all ſeinen Elementen, mit ſeiner Lage, ſeiner Beſchaffenheit, ſeinem Klima, ſeinen Produkten, ſeinen Ebenen und Bergen, ſeinen Flüſſen und Seen, liegt da, ſtill, aber unwiderſtehlich auf das Volksleben ein- wirkend; das Volk ſelbſt mit ſeiner phyſiſchen und geiſtigen Indivi- dualität, mit ſeiner volkswirthſchaftlichen Entwicklung, mit ſeiner geſell- ſchaftlichen Ordnung, ihren Gegenſätzen und Forderungen bewegt ſich auf dieſem Boden, der ihm gehört, tauſendfach ihn beſtimmend, tauſend- fach von ihm beſtimmt. Beide zuſammen, untrennbar, erzeugen den feſten materiellen Inhalt des Staats. An ihn muß er ſich halten. Was er iſt, iſt er durch und in dieſem ſeinem ſelbſtgearteten Körper; was er will, kann er nicht für einen abſtrakten Begriff, ſondern muß es für dieſen gegebenen Staat wollen. Sein Wille, erzeugt an ihm, verſchmilzt mit ihm. Die Bedingungen, unter denen dieſer Wille ent- ſtand, liegen in dieſem concreten Leben; ſie beſtimmen es, wie es von ihm beſtimmt wird; die Vorausſetzungen ſeiner Verwirklichung wie das Ziel, welches er erreichen will, ſind hier vorhanden, concret und faßbar; er iſt mit ſeinem Willen und ſeinem concreten Daſein ein untrennbares Ganze. Und wie das nun im Allgemeinen richtig iſt, ſo hat es natürlich in demjenigen Gebiete ſeine greifbarſte Gültigkeit, wo der Staat eben vermöge ſeiner Thätigkeit mit dem wirklichen Leben am meiſten zu thun hat, im Gebiete der Verwaltung. Während in der Staatswirthſchaft das Bedürfniß des Staats, in der Rechtspflege die perſönliche Unver- letzlichkeit das Objekt der Staatsthätigkeit iſt, iſt es in der Verwal- tung Land und Volk in ihrer Wirklichkeit, welche das Subſtrat der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/98>, abgerufen am 04.05.2024.