natürlich, daß sich die Vorstellung feststellt, daß der Inhalt der Verwaltung wesentlich in der Sicherheitspolizei gegeben sei.
Damit nun beginnt die Verwaltung, und bekanntlich heißen dem- gemäß auch die ersten großen Verwaltungsgesetzgebungen "Polizei-Ord- nungen." Allerdings nun entsteht, wie wir früher dargelegt, im 17. Jahr- hundert mit dem Wohlfahrtsstaate die Idee, daß der Staat vermöge seiner Thätigkeit für das Wohl der Staatsangehörigen zu sorgen habe. Allein dieser Gedanke erscheint systematisch nicht etwa in der Polizeilehre, sondern er bleibt ein ganzes Jahrhundert lang in der Rechtsphilosophie, dem Jus naturae et gentium; und als er sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der traditionellen Vorstellung von der Polizeiverwal- tung verschmilzt, und die erste selbständige Verwaltungslehre unter Justi und Sonnenfels entstehen will, wendet sich das Princip des Rechtsstaats von der ganzen Verwaltung ab, und hinterläßt die "Poli- zeiwissenschaft" als die formale Lehre von den Verpflichtungen des Staats und seinen theils juristischen, theils obrigkeitlichen Berechtigungen gegenüber den verwirrten Zuständen der damaligen Zeit. So geschieht es, daß die Lehre vom Staat ohne den positiven Inhalt der wirklichen Verwaltung, die Lehre von der "Polizei," die noch allein das formale Gebiet der Verwaltung enthält, ohne den organischen Inhalt der Staatsidee dasteht. Die Ahnung davon, daß diese Polizei im Grunde nur ein Theil der Verwaltung sey, tritt allerdings auf in der Unter- scheidung von Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei. Allein das was hier Wohlfahrtspolizei heißt, ist von der alten Vorstellung von der Polizei so durchdrungen, daß es im Grunde doch keine positive Verwaltungs- lehre bildet. Denn bei dieser Wohlfahrtspolizei denkt man sich doch noch immer nur das, wozu der Staat den Einzelnen vermöge seiner Verordnungsgewalt um seiner eigenen Wohlfahrt willen zwingen kann, und zuletzt auch soll. Die höhere Idee des Rechtsstaats und der ihr zum Grunde liegende Begriff der selbstbestimmten freien Persönlichkeit will vor allen Dingen den Zwang nicht, selbst wo er zum Wohlseyn führt. Die Polizeiwissenschaft erscheint daher als die Lehre von der, durch den staatlichen Zwang hergestellten Wohlfahrt aller; sie ist die Verwal- tung als eine zwingende Gewalt; indem sie dadurch ihren Charakter der ethischen Aufgabe verliert, nimmt sie den Charakter des Unfreien in sich auf, und jetzt ist es natürlich, daß sich die Verwaltungslehre in dieser Gestalt der Polizeiwissenschaft die Gunst der Zeit vollständig ent- fremdet. Der Inhalt der eigentlichen Verwaltung verläßt die alte Polizeiwissenschaft, und bricht sich Bahn in andern Richtungen. Wir haben sie schon früher bezeichnet. Die Verwirrung ist der Form nach eine große, ja fast unübersehbare. Der Sache nach ist sie jedoch keines-
natürlich, daß ſich die Vorſtellung feſtſtellt, daß der Inhalt der Verwaltung weſentlich in der Sicherheitspolizei gegeben ſei.
Damit nun beginnt die Verwaltung, und bekanntlich heißen dem- gemäß auch die erſten großen Verwaltungsgeſetzgebungen „Polizei-Ord- nungen.“ Allerdings nun entſteht, wie wir früher dargelegt, im 17. Jahr- hundert mit dem Wohlfahrtsſtaate die Idee, daß der Staat vermöge ſeiner Thätigkeit für das Wohl der Staatsangehörigen zu ſorgen habe. Allein dieſer Gedanke erſcheint ſyſtematiſch nicht etwa in der Polizeilehre, ſondern er bleibt ein ganzes Jahrhundert lang in der Rechtsphiloſophie, dem Jus naturae et gentium; und als er ſich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der traditionellen Vorſtellung von der Polizeiverwal- tung verſchmilzt, und die erſte ſelbſtändige Verwaltungslehre unter Juſti und Sonnenfels entſtehen will, wendet ſich das Princip des Rechtsſtaats von der ganzen Verwaltung ab, und hinterläßt die „Poli- zeiwiſſenſchaft“ als die formale Lehre von den Verpflichtungen des Staats und ſeinen theils juriſtiſchen, theils obrigkeitlichen Berechtigungen gegenüber den verwirrten Zuſtänden der damaligen Zeit. So geſchieht es, daß die Lehre vom Staat ohne den poſitiven Inhalt der wirklichen Verwaltung, die Lehre von der „Polizei,“ die noch allein das formale Gebiet der Verwaltung enthält, ohne den organiſchen Inhalt der Staatsidee daſteht. Die Ahnung davon, daß dieſe Polizei im Grunde nur ein Theil der Verwaltung ſey, tritt allerdings auf in der Unter- ſcheidung von Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei. Allein das was hier Wohlfahrtspolizei heißt, iſt von der alten Vorſtellung von der Polizei ſo durchdrungen, daß es im Grunde doch keine poſitive Verwaltungs- lehre bildet. Denn bei dieſer Wohlfahrtspolizei denkt man ſich doch noch immer nur das, wozu der Staat den Einzelnen vermöge ſeiner Verordnungsgewalt um ſeiner eigenen Wohlfahrt willen zwingen kann, und zuletzt auch ſoll. Die höhere Idee des Rechtsſtaats und der ihr zum Grunde liegende Begriff der ſelbſtbeſtimmten freien Perſönlichkeit will vor allen Dingen den Zwang nicht, ſelbſt wo er zum Wohlſeyn führt. Die Polizeiwiſſenſchaft erſcheint daher als die Lehre von der, durch den ſtaatlichen Zwang hergeſtellten Wohlfahrt aller; ſie iſt die Verwal- tung als eine zwingende Gewalt; indem ſie dadurch ihren Charakter der ethiſchen Aufgabe verliert, nimmt ſie den Charakter des Unfreien in ſich auf, und jetzt iſt es natürlich, daß ſich die Verwaltungslehre in dieſer Geſtalt der Polizeiwiſſenſchaft die Gunſt der Zeit vollſtändig ent- fremdet. Der Inhalt der eigentlichen Verwaltung verläßt die alte Polizeiwiſſenſchaft, und bricht ſich Bahn in andern Richtungen. Wir haben ſie ſchon früher bezeichnet. Die Verwirrung iſt der Form nach eine große, ja faſt unüberſehbare. Der Sache nach iſt ſie jedoch keines-
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[71/0093]
natürlich, daß ſich die Vorſtellung feſtſtellt, daß der Inhalt der Verwaltung
weſentlich in der Sicherheitspolizei gegeben ſei.
Damit nun beginnt die Verwaltung, und bekanntlich heißen dem-
gemäß auch die erſten großen Verwaltungsgeſetzgebungen „Polizei-Ord-
nungen.“ Allerdings nun entſteht, wie wir früher dargelegt, im 17. Jahr-
hundert mit dem Wohlfahrtsſtaate die Idee, daß der Staat vermöge
ſeiner Thätigkeit für das Wohl der Staatsangehörigen zu ſorgen habe.
Allein dieſer Gedanke erſcheint ſyſtematiſch nicht etwa in der Polizeilehre,
ſondern er bleibt ein ganzes Jahrhundert lang in der Rechtsphiloſophie,
dem Jus naturae et gentium; und als er ſich in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts mit der traditionellen Vorſtellung von der Polizeiverwal-
tung verſchmilzt, und die erſte ſelbſtändige Verwaltungslehre unter
Juſti und Sonnenfels entſtehen will, wendet ſich das Princip des
Rechtsſtaats von der ganzen Verwaltung ab, und hinterläßt die „Poli-
zeiwiſſenſchaft“ als die formale Lehre von den Verpflichtungen des
Staats und ſeinen theils juriſtiſchen, theils obrigkeitlichen Berechtigungen
gegenüber den verwirrten Zuſtänden der damaligen Zeit. So geſchieht
es, daß die Lehre vom Staat ohne den poſitiven Inhalt der wirklichen
Verwaltung, die Lehre von der „Polizei,“ die noch allein das formale
Gebiet der Verwaltung enthält, ohne den organiſchen Inhalt der
Staatsidee daſteht. Die Ahnung davon, daß dieſe Polizei im Grunde
nur ein Theil der Verwaltung ſey, tritt allerdings auf in der Unter-
ſcheidung von Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei. Allein das was hier
Wohlfahrtspolizei heißt, iſt von der alten Vorſtellung von der Polizei
ſo durchdrungen, daß es im Grunde doch keine poſitive Verwaltungs-
lehre bildet. Denn bei dieſer Wohlfahrtspolizei denkt man ſich doch
noch immer nur das, wozu der Staat den Einzelnen vermöge ſeiner
Verordnungsgewalt um ſeiner eigenen Wohlfahrt willen zwingen kann,
und zuletzt auch ſoll. Die höhere Idee des Rechtsſtaats und der ihr
zum Grunde liegende Begriff der ſelbſtbeſtimmten freien Perſönlichkeit
will vor allen Dingen den Zwang nicht, ſelbſt wo er zum Wohlſeyn
führt. Die Polizeiwiſſenſchaft erſcheint daher als die Lehre von der, durch
den ſtaatlichen Zwang hergeſtellten Wohlfahrt aller; ſie iſt die Verwal-
tung als eine zwingende Gewalt; indem ſie dadurch ihren Charakter
der ethiſchen Aufgabe verliert, nimmt ſie den Charakter des Unfreien
in ſich auf, und jetzt iſt es natürlich, daß ſich die Verwaltungslehre in
dieſer Geſtalt der Polizeiwiſſenſchaft die Gunſt der Zeit vollſtändig ent-
fremdet. Der Inhalt der eigentlichen Verwaltung verläßt die alte
Polizeiwiſſenſchaft, und bricht ſich Bahn in andern Richtungen. Wir
haben ſie ſchon früher bezeichnet. Die Verwirrung iſt der Form nach
eine große, ja faſt unüberſehbare. Der Sache nach iſt ſie jedoch keines-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/93>, abgerufen am 30.01.2025.
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