nicht bloß die edlere Natur der Persönlichkeit, sondern es liegt auch seinem Interesse nahe genug. Denn er ist doch der Stärkere und für alle allgemeine Fragen und Aufgaben auch der Weisere, da er die gei- stigen Kräfte Aller in sich faßt. Das Individuum aber, das er durch seine Macht fördert und hebt, ist nicht bloß für ihn überhaupt eine Persönlichkeit, die nach den sittlichen Gesetzen seine Hülfe zu fordern hat, sondern es ist sein eigen; es ist ja ein Theil seiner selbst. Denn er selbst ist ja die Einheit eben dieser Einzelnen, für die er sorgt. In- dem er daher seine Hand öffnet und seine Kräfte für den Einzelnen anstrengt, um demselben zu geben, was er nicht hat, gibt er im Grunde sich selber. Was der Einzelne gewinnt, gewinnt der Staat; es ist ein Kreislauf, in welchem alles, was der Staat thut, zum Staate zurück- kehrt. Warum soll er Bedenken tragen, den Einzelnen reich und glück- lich zu machen theils durch das, was er ihm gibt, theils durch das, wozu er ihn zwingt? Und wenn er dieß Bedenken nicht hegt, wo ist die Gränze für die Aufgabe und Macht dieser Thätigkeit des Staats, oder seiner Verwaltung?
Offenbar nun liegt diese Gränze weder in der Macht noch in dem äußerlichen Interesse des Staats. Sie liegt vielmehr im Wesen der Persönlichkeit, mit welchem die Verwaltung desselben zu thun hat, und zwar in demjenigen Wesen derselben, welches wir eben dargelegt. Wenn das bloße Geben an den Andern, wenn das bloße Wollen für den Andern die Selbständigkeit und damit das eigentlich persönliche Wesen des Einzelnen untergräbt und vernichtet und in Arbeitslosigkeit auflöst, so greift der Staat mit einer solchen Thätigkeit die Grundlagen des eigenen Daseins an; denn er ist ja die Gesammtheit eben dieser Ein- zelnen, die einzeln nur das sind, was sie sich erarbeitet und durch eigene That ihr Eigen nennen. Jenes Hingeben des Staats muß daher da seine Gränze finden, wo er jene Selbständigkeit der freien Persönlichkeit gefährdet.
Denn anderseits kann der Einzelne sich nicht durch sich selbst helfen. Die Verwaltung entsteht ja eben dadurch, daß der Mangel der Einzelpersönlichkeit durch die Gemeinschaft aufgehoben wird. Wer und was soll nun entscheiden, wo der Staat, indem er dem Einzelnen seine starke Hand reicht, nicht thut, was ihn seines innersten persönlichen Wesens berauben würde? Und offenbar kann es wenig nützen, hier von einzelnen Fällen zu reden, sondern es muß die Gesammtheit aller Fragen, die hier entstehen, von Einem Gesichtspunkt aus sich entschei- den. Es muß ein Princip für die Gränze der Verwaltungsthätig- keit geben.
Ein solches Princip hat nun ihrerseits die Staatswirthschaft, und
nicht bloß die edlere Natur der Perſönlichkeit, ſondern es liegt auch ſeinem Intereſſe nahe genug. Denn er iſt doch der Stärkere und für alle allgemeine Fragen und Aufgaben auch der Weiſere, da er die gei- ſtigen Kräfte Aller in ſich faßt. Das Individuum aber, das er durch ſeine Macht fördert und hebt, iſt nicht bloß für ihn überhaupt eine Perſönlichkeit, die nach den ſittlichen Geſetzen ſeine Hülfe zu fordern hat, ſondern es iſt ſein eigen; es iſt ja ein Theil ſeiner ſelbſt. Denn er ſelbſt iſt ja die Einheit eben dieſer Einzelnen, für die er ſorgt. In- dem er daher ſeine Hand öffnet und ſeine Kräfte für den Einzelnen anſtrengt, um demſelben zu geben, was er nicht hat, gibt er im Grunde ſich ſelber. Was der Einzelne gewinnt, gewinnt der Staat; es iſt ein Kreislauf, in welchem alles, was der Staat thut, zum Staate zurück- kehrt. Warum ſoll er Bedenken tragen, den Einzelnen reich und glück- lich zu machen theils durch das, was er ihm gibt, theils durch das, wozu er ihn zwingt? Und wenn er dieß Bedenken nicht hegt, wo iſt die Gränze für die Aufgabe und Macht dieſer Thätigkeit des Staats, oder ſeiner Verwaltung?
Offenbar nun liegt dieſe Gränze weder in der Macht noch in dem äußerlichen Intereſſe des Staats. Sie liegt vielmehr im Weſen der Perſönlichkeit, mit welchem die Verwaltung deſſelben zu thun hat, und zwar in demjenigen Weſen derſelben, welches wir eben dargelegt. Wenn das bloße Geben an den Andern, wenn das bloße Wollen für den Andern die Selbſtändigkeit und damit das eigentlich perſönliche Weſen des Einzelnen untergräbt und vernichtet und in Arbeitsloſigkeit auflöst, ſo greift der Staat mit einer ſolchen Thätigkeit die Grundlagen des eigenen Daſeins an; denn er iſt ja die Geſammtheit eben dieſer Ein- zelnen, die einzeln nur das ſind, was ſie ſich erarbeitet und durch eigene That ihr Eigen nennen. Jenes Hingeben des Staats muß daher da ſeine Gränze finden, wo er jene Selbſtändigkeit der freien Perſönlichkeit gefährdet.
Denn anderſeits kann der Einzelne ſich nicht durch ſich ſelbſt helfen. Die Verwaltung entſteht ja eben dadurch, daß der Mangel der Einzelperſönlichkeit durch die Gemeinſchaft aufgehoben wird. Wer und was ſoll nun entſcheiden, wo der Staat, indem er dem Einzelnen ſeine ſtarke Hand reicht, nicht thut, was ihn ſeines innerſten perſönlichen Weſens berauben würde? Und offenbar kann es wenig nützen, hier von einzelnen Fällen zu reden, ſondern es muß die Geſammtheit aller Fragen, die hier entſtehen, von Einem Geſichtspunkt aus ſich entſchei- den. Es muß ein Princip für die Gränze der Verwaltungsthätig- keit geben.
Ein ſolches Princip hat nun ihrerſeits die Staatswirthſchaft, und
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nicht bloß die edlere Natur der Perſönlichkeit, ſondern es liegt auch
ſeinem Intereſſe nahe genug. Denn er iſt doch der Stärkere und für
alle allgemeine Fragen und Aufgaben auch der Weiſere, da er die gei-
ſtigen Kräfte Aller in ſich faßt. Das Individuum aber, das er durch
ſeine Macht fördert und hebt, iſt nicht bloß für ihn überhaupt eine
Perſönlichkeit, die nach den ſittlichen Geſetzen ſeine Hülfe zu fordern
hat, ſondern es iſt ſein eigen; es iſt ja ein Theil ſeiner ſelbſt. Denn
er ſelbſt iſt ja die Einheit eben dieſer Einzelnen, für die er ſorgt. In-
dem er daher ſeine Hand öffnet und ſeine Kräfte für den Einzelnen
anſtrengt, um demſelben zu geben, was er nicht hat, gibt er im Grunde
ſich ſelber. Was der Einzelne gewinnt, gewinnt der Staat; es iſt ein
Kreislauf, in welchem alles, was der Staat thut, zum Staate zurück-
kehrt. Warum ſoll er Bedenken tragen, den Einzelnen reich und glück-
lich zu machen theils durch das, was er ihm gibt, theils durch das,
wozu er ihn zwingt? Und wenn er dieß Bedenken nicht hegt, wo iſt
die Gränze für die Aufgabe und Macht dieſer Thätigkeit des Staats,
oder ſeiner Verwaltung?
Offenbar nun liegt dieſe Gränze weder in der Macht noch in dem
äußerlichen Intereſſe des Staats. Sie liegt vielmehr im Weſen der
Perſönlichkeit, mit welchem die Verwaltung deſſelben zu thun hat, und
zwar in demjenigen Weſen derſelben, welches wir eben dargelegt. Wenn
das bloße Geben an den Andern, wenn das bloße Wollen für den
Andern die Selbſtändigkeit und damit das eigentlich perſönliche Weſen
des Einzelnen untergräbt und vernichtet und in Arbeitsloſigkeit auflöst,
ſo greift der Staat mit einer ſolchen Thätigkeit die Grundlagen des
eigenen Daſeins an; denn er iſt ja die Geſammtheit eben dieſer Ein-
zelnen, die einzeln nur das ſind, was ſie ſich erarbeitet und durch eigene
That ihr Eigen nennen. Jenes Hingeben des Staats muß daher da
ſeine Gränze finden, wo er jene Selbſtändigkeit der freien Perſönlichkeit
gefährdet.
Denn anderſeits kann der Einzelne ſich nicht durch ſich ſelbſt
helfen. Die Verwaltung entſteht ja eben dadurch, daß der Mangel der
Einzelperſönlichkeit durch die Gemeinſchaft aufgehoben wird. Wer und
was ſoll nun entſcheiden, wo der Staat, indem er dem Einzelnen ſeine
ſtarke Hand reicht, nicht thut, was ihn ſeines innerſten perſönlichen
Weſens berauben würde? Und offenbar kann es wenig nützen, hier
von einzelnen Fällen zu reden, ſondern es muß die Geſammtheit aller
Fragen, die hier entſtehen, von Einem Geſichtspunkt aus ſich entſchei-
den. Es muß ein Princip für die Gränze der Verwaltungsthätig-
keit geben.
Ein ſolches Princip hat nun ihrerſeits die Staatswirthſchaft, und
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/80>, abgerufen am 19.02.2025.
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