jenes tiefsten Wesens der Persönlichkeit, der reinsten Natur derselben, nach welcher sie nur dann sich genügt, wenn sie selbst der Grund dessen ist, was sie ist und besitzt. Und dieses Gesetz erscheint darin, daß das, was dem Einzelnen wird ohne ihn selbst und seine eigenste innerste Arbeit, ihn am Ende nicht nur nicht fördert, sondern vielmehr ihm immer Gefahr bringt und ihn nur zu oft vernichtet. Der höchsten Pflicht, sich durch sich selber zu demjenigen zu machen, was er ist, darf und kann sich niemand entziehen. Und wie sie als tiefste Grundlage des eigenen Strebens die Signatur jedes bedeutenden Menschen ist, so wird sie zugleich zu einer unabweisbaren Pflicht für jeden Andern, der dem Einzelnen auf seinem Lebenswege zur Seite tritt. Nicht das ist die wahre Hülfe und die verständige Liebe, dem Andern zu geben was er braucht, sondern sie beginnt da, wo ich dem Andern die Möglichkeit biete, sich selbst zu erwerben, was ihm fehlt. Nicht darin ist das Heil, daß wir uns opfern, um dem Andern das Leben reicher zu machen, sondern darin daß wir ihm helfen, den geistigen wie den materiellen Reichthum durch sich selbst zu gewinnen. Eine Welt voll Wohlthaten ist keine Wohlthat, sondern der Beginn einer arbeitslosen, und damit unfreien Welt. Nur der ist hart, der nicht gibt, was der Andere durch sich selbst nicht mehr erwerben kann, und nur der ist unverständig, der durch das Geben die Arbeit nicht zu erzwingen weiß, wo sie noch mög- lich ist. Der bessere Mensch fühlt dieß, und selbst dem schlechteren ist es gewiß. Als Wächter für die eigene Kraft und Arbeit hat Gott den Edleren den Stolz gegeben, der sich der Gabe schämt; als Strafe des unverständigen Gebens hat er den Undank geschaffen, der dem Mißver- ständniß der Gutmüthigkeit folgt, und der zuletzt, wie der Gedanke die Unabhängigkeit des Geistes ist, seinerseits den unwiderstehlichen Drang nach der Unabhängigkeit des Herzens zum Ausdruck bringt. Denn in allen irdischen Dingen wird ewig das Böse mit dem Guten innig ver- mischt erscheinen. Aber was so dem Wesen der Persönlichkeit selber gilt, das muß nun auch, wenn auch in andern Formen, doch seinem Wesen nach in allen Formen derselben gelten. Daher auch dem Staate in seiner Verwaltung im allgemeinen, und in jedem einzelnen Gebiete derselben insbesondere. Und dieß ist der Punkt, wo sich dasjenige ergibt, was wir das Princip der Verwaltung nennen.
Der Staat nämlich, als persönliche Gemeinschaft der Menschen, ist so mächtig und reich gegenüber dem Einzelnen, daß es ihm ein Leichtes erscheint, durch seine Thätigkeit in der Verwaltung alle Auf- gaben des Einzellebens selbst zu erfüllen, und damit die Entwicklung des Einzelnen, die ja das Ziel der Verwaltung ist, in eben so rascher als gewaltiger Weise zu fördern. Daß er das thue, dazu drängt ihn
jenes tiefſten Weſens der Perſönlichkeit, der reinſten Natur derſelben, nach welcher ſie nur dann ſich genügt, wenn ſie ſelbſt der Grund deſſen iſt, was ſie iſt und beſitzt. Und dieſes Geſetz erſcheint darin, daß das, was dem Einzelnen wird ohne ihn ſelbſt und ſeine eigenſte innerſte Arbeit, ihn am Ende nicht nur nicht fördert, ſondern vielmehr ihm immer Gefahr bringt und ihn nur zu oft vernichtet. Der höchſten Pflicht, ſich durch ſich ſelber zu demjenigen zu machen, was er iſt, darf und kann ſich niemand entziehen. Und wie ſie als tiefſte Grundlage des eigenen Strebens die Signatur jedes bedeutenden Menſchen iſt, ſo wird ſie zugleich zu einer unabweisbaren Pflicht für jeden Andern, der dem Einzelnen auf ſeinem Lebenswege zur Seite tritt. Nicht das iſt die wahre Hülfe und die verſtändige Liebe, dem Andern zu geben was er braucht, ſondern ſie beginnt da, wo ich dem Andern die Möglichkeit biete, ſich ſelbſt zu erwerben, was ihm fehlt. Nicht darin iſt das Heil, daß wir uns opfern, um dem Andern das Leben reicher zu machen, ſondern darin daß wir ihm helfen, den geiſtigen wie den materiellen Reichthum durch ſich ſelbſt zu gewinnen. Eine Welt voll Wohlthaten iſt keine Wohlthat, ſondern der Beginn einer arbeitsloſen, und damit unfreien Welt. Nur der iſt hart, der nicht gibt, was der Andere durch ſich ſelbſt nicht mehr erwerben kann, und nur der iſt unverſtändig, der durch das Geben die Arbeit nicht zu erzwingen weiß, wo ſie noch mög- lich iſt. Der beſſere Menſch fühlt dieß, und ſelbſt dem ſchlechteren iſt es gewiß. Als Wächter für die eigene Kraft und Arbeit hat Gott den Edleren den Stolz gegeben, der ſich der Gabe ſchämt; als Strafe des unverſtändigen Gebens hat er den Undank geſchaffen, der dem Mißver- ſtändniß der Gutmüthigkeit folgt, und der zuletzt, wie der Gedanke die Unabhängigkeit des Geiſtes iſt, ſeinerſeits den unwiderſtehlichen Drang nach der Unabhängigkeit des Herzens zum Ausdruck bringt. Denn in allen irdiſchen Dingen wird ewig das Böſe mit dem Guten innig ver- miſcht erſcheinen. Aber was ſo dem Weſen der Perſönlichkeit ſelber gilt, das muß nun auch, wenn auch in andern Formen, doch ſeinem Weſen nach in allen Formen derſelben gelten. Daher auch dem Staate in ſeiner Verwaltung im allgemeinen, und in jedem einzelnen Gebiete derſelben insbeſondere. Und dieß iſt der Punkt, wo ſich dasjenige ergibt, was wir das Princip der Verwaltung nennen.
Der Staat nämlich, als perſönliche Gemeinſchaft der Menſchen, iſt ſo mächtig und reich gegenüber dem Einzelnen, daß es ihm ein Leichtes erſcheint, durch ſeine Thätigkeit in der Verwaltung alle Auf- gaben des Einzellebens ſelbſt zu erfüllen, und damit die Entwicklung des Einzelnen, die ja das Ziel der Verwaltung iſt, in eben ſo raſcher als gewaltiger Weiſe zu fördern. Daß er das thue, dazu drängt ihn
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jenes tiefſten Weſens der Perſönlichkeit, der reinſten Natur derſelben,
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was dem Einzelnen wird ohne ihn ſelbſt und ſeine eigenſte innerſte
Arbeit, ihn am Ende nicht nur nicht fördert, ſondern vielmehr ihm
immer Gefahr bringt und ihn nur zu oft vernichtet. Der höchſten
Pflicht, ſich durch ſich ſelber zu demjenigen zu machen, was er iſt, darf
und kann ſich niemand entziehen. Und wie ſie als tiefſte Grundlage
des eigenen Strebens die Signatur jedes bedeutenden Menſchen iſt, ſo
wird ſie zugleich zu einer unabweisbaren Pflicht für jeden Andern, der
dem Einzelnen auf ſeinem Lebenswege zur Seite tritt. Nicht das iſt
die wahre Hülfe und die verſtändige Liebe, dem Andern zu geben was
er braucht, ſondern ſie beginnt da, wo ich dem Andern die Möglichkeit
biete, ſich ſelbſt zu erwerben, was ihm fehlt. Nicht darin iſt das Heil,
daß wir uns opfern, um dem Andern das Leben reicher zu machen,
ſondern darin daß wir ihm helfen, den geiſtigen wie den materiellen
Reichthum durch ſich ſelbſt zu gewinnen. Eine Welt voll Wohlthaten
iſt keine Wohlthat, ſondern der Beginn einer arbeitsloſen, und damit
unfreien Welt. Nur der iſt hart, der nicht gibt, was der Andere durch
ſich ſelbſt nicht mehr erwerben kann, und nur der iſt unverſtändig, der
durch das Geben die Arbeit nicht zu erzwingen weiß, wo ſie noch mög-
lich iſt. Der beſſere Menſch fühlt dieß, und ſelbſt dem ſchlechteren iſt
es gewiß. Als Wächter für die eigene Kraft und Arbeit hat Gott den
Edleren den Stolz gegeben, der ſich der Gabe ſchämt; als Strafe des
unverſtändigen Gebens hat er den Undank geſchaffen, der dem Mißver-
ſtändniß der Gutmüthigkeit folgt, und der zuletzt, wie der Gedanke die
Unabhängigkeit des Geiſtes iſt, ſeinerſeits den unwiderſtehlichen Drang
nach der Unabhängigkeit des Herzens zum Ausdruck bringt. Denn in
allen irdiſchen Dingen wird ewig das Böſe mit dem Guten innig ver-
miſcht erſcheinen. Aber was ſo dem Weſen der Perſönlichkeit ſelber
gilt, das muß nun auch, wenn auch in andern Formen, doch ſeinem
Weſen nach in allen Formen derſelben gelten. Daher auch dem Staate
in ſeiner Verwaltung im allgemeinen, und in jedem einzelnen Gebiete
derſelben insbeſondere. Und dieß iſt der Punkt, wo ſich dasjenige ergibt,
was wir das Princip der Verwaltung nennen.
Der Staat nämlich, als perſönliche Gemeinſchaft der Menſchen,
iſt ſo mächtig und reich gegenüber dem Einzelnen, daß es ihm ein
Leichtes erſcheint, durch ſeine Thätigkeit in der Verwaltung alle Auf-
gaben des Einzellebens ſelbſt zu erfüllen, und damit die Entwicklung
des Einzelnen, die ja das Ziel der Verwaltung iſt, in eben ſo raſcher
als gewaltiger Weiſe zu fördern. Daß er das thue, dazu drängt ihn
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/79>, abgerufen am 19.02.2025.
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