Charakter alles dessen, was wissenschaftlich in diesem ersten Jahrhundert der entstehenden Verwaltungslehre geschehen ist.
Man kann nun den Gang dieser Entwicklung in zwei große Theile scheiden, und jeden derselben an die dieselben vertretenden großen Namen knüpfen.
Der erste Theil reicht fast bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Charakteristische desselben ist die Verschmelzung der Verwal- tungslehre mit der Rechtsphilosophie. Es ist das für die Sache ein großer Vortheil, aber freilich für das bisherige theoretische Verständniß derselben ein großer Nachtheil geworden. In der Sache selbst ist diese Aufnahme der gesammten Verwaltungslehre in die philo- sophische Staatslehre ein Sporn zur tieferen Auffassung des ganzen Staatslebens und der sittliche Halt für alle Kämpfe gewesen, die namentlich im vorigen Jahrhundert die Regierungen mit den alten, jeder inneren Entwicklung sich starr entgegen stellenden Vorrechten der Stände auszutragen hatten. Die Härte, mit der die letztern vertheidigt wurden, machte es unmöglich, die Bedingungen der freieren Entwicklung ohne Gewalt von Seiten des Königthums durchzusetzen; allein es war eben jene Philosophie, welche dieser Gewalt ihren ethischen Inhalt gab. Sie war es, welche die Regierungen im Ganzen und das Amt im Ein- zelnen für größere Ideen begeisterte und den "Staat" mit seiner sitt- lichen Macht über das Gewöhnliche und Tägliche erhob; sie war es, welche im reinen Rechtsstudium und damit auch für die Schüler desselben, welche am Ende im wirklichen Leben verwirklichen sollten, was sie an der Universität gelernt, den Blick über die Definitionen und die Casuistik des herrschenden Römischen Rechts erhob; sie war es, welche in das "Regiment" jener Zeit das Bewußtsein der Verantwortlichkeit dafür hineinlegte, daß die innere Entwicklung der Staaten, die allerdings in seine Hand gegeben war, nunmehr auch wirklich vorwärts gehe. Und es war wohl als ein Segen zu betrachten, daß die Verwaltungslehre auf diese Weise mit der Rechtsphilosophie untrennbar verschmolzen er- schien, ja daß im Grunde die Rechtsphilosophie fast nichts als rationelle Verwaltungslehre war. Denn eben nur dadurch ward dem Juristen eine Vorstellung von dieser Verwaltungslehre bei- gebracht und die Bahn für dieselbe und ihre selbständige Entwicklung geebnet. Der Hauptvertreter dieser Richtung war Christian Wolf. Nur die Unbekanntschaft mit Wesen und Inhalt der Verwaltungslehre macht es erklärlich, daß man diesen so hochbedeutenden und verdienten Mann so wenig beachtet und verstanden hat, während sein Einfluß so groß war, daß man wenige finden dürfte, die ihn übertroffen. Er war eben kein dialektischer Philosoph; aber er war im vollen Sinn des Wortes
Charakter alles deſſen, was wiſſenſchaftlich in dieſem erſten Jahrhundert der entſtehenden Verwaltungslehre geſchehen iſt.
Man kann nun den Gang dieſer Entwicklung in zwei große Theile ſcheiden, und jeden derſelben an die dieſelben vertretenden großen Namen knüpfen.
Der erſte Theil reicht faſt bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Charakteriſtiſche deſſelben iſt die Verſchmelzung der Verwal- tungslehre mit der Rechtsphiloſophie. Es iſt das für die Sache ein großer Vortheil, aber freilich für das bisherige theoretiſche Verſtändniß derſelben ein großer Nachtheil geworden. In der Sache ſelbſt iſt dieſe Aufnahme der geſammten Verwaltungslehre in die philo- ſophiſche Staatslehre ein Sporn zur tieferen Auffaſſung des ganzen Staatslebens und der ſittliche Halt für alle Kämpfe geweſen, die namentlich im vorigen Jahrhundert die Regierungen mit den alten, jeder inneren Entwicklung ſich ſtarr entgegen ſtellenden Vorrechten der Stände auszutragen hatten. Die Härte, mit der die letztern vertheidigt wurden, machte es unmöglich, die Bedingungen der freieren Entwicklung ohne Gewalt von Seiten des Königthums durchzuſetzen; allein es war eben jene Philoſophie, welche dieſer Gewalt ihren ethiſchen Inhalt gab. Sie war es, welche die Regierungen im Ganzen und das Amt im Ein- zelnen für größere Ideen begeiſterte und den „Staat“ mit ſeiner ſitt- lichen Macht über das Gewöhnliche und Tägliche erhob; ſie war es, welche im reinen Rechtsſtudium und damit auch für die Schüler deſſelben, welche am Ende im wirklichen Leben verwirklichen ſollten, was ſie an der Univerſität gelernt, den Blick über die Definitionen und die Caſuiſtik des herrſchenden Römiſchen Rechts erhob; ſie war es, welche in das „Regiment“ jener Zeit das Bewußtſein der Verantwortlichkeit dafür hineinlegte, daß die innere Entwicklung der Staaten, die allerdings in ſeine Hand gegeben war, nunmehr auch wirklich vorwärts gehe. Und es war wohl als ein Segen zu betrachten, daß die Verwaltungslehre auf dieſe Weiſe mit der Rechtsphiloſophie untrennbar verſchmolzen er- ſchien, ja daß im Grunde die Rechtsphiloſophie faſt nichts als rationelle Verwaltungslehre war. Denn eben nur dadurch ward dem Juriſten eine Vorſtellung von dieſer Verwaltungslehre bei- gebracht und die Bahn für dieſelbe und ihre ſelbſtändige Entwicklung geebnet. Der Hauptvertreter dieſer Richtung war Chriſtian Wolf. Nur die Unbekanntſchaft mit Weſen und Inhalt der Verwaltungslehre macht es erklärlich, daß man dieſen ſo hochbedeutenden und verdienten Mann ſo wenig beachtet und verſtanden hat, während ſein Einfluß ſo groß war, daß man wenige finden dürfte, die ihn übertroffen. Er war eben kein dialektiſcher Philoſoph; aber er war im vollen Sinn des Wortes
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Charakter alles deſſen, was wiſſenſchaftlich in dieſem erſten Jahrhundert
der entſtehenden Verwaltungslehre geſchehen iſt.
Man kann nun den Gang dieſer Entwicklung in zwei große Theile
ſcheiden, und jeden derſelben an die dieſelben vertretenden großen Namen
knüpfen.
Der erſte Theil reicht faſt bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Das Charakteriſtiſche deſſelben iſt die Verſchmelzung der Verwal-
tungslehre mit der Rechtsphiloſophie. Es iſt das für die
Sache ein großer Vortheil, aber freilich für das bisherige theoretiſche
Verſtändniß derſelben ein großer Nachtheil geworden. In der Sache
ſelbſt iſt dieſe Aufnahme der geſammten Verwaltungslehre in die philo-
ſophiſche Staatslehre ein Sporn zur tieferen Auffaſſung des ganzen
Staatslebens und der ſittliche Halt für alle Kämpfe geweſen, die
namentlich im vorigen Jahrhundert die Regierungen mit den alten,
jeder inneren Entwicklung ſich ſtarr entgegen ſtellenden Vorrechten der
Stände auszutragen hatten. Die Härte, mit der die letztern vertheidigt
wurden, machte es unmöglich, die Bedingungen der freieren Entwicklung
ohne Gewalt von Seiten des Königthums durchzuſetzen; allein es war
eben jene Philoſophie, welche dieſer Gewalt ihren ethiſchen Inhalt gab.
Sie war es, welche die Regierungen im Ganzen und das Amt im Ein-
zelnen für größere Ideen begeiſterte und den „Staat“ mit ſeiner ſitt-
lichen Macht über das Gewöhnliche und Tägliche erhob; ſie war es,
welche im reinen Rechtsſtudium und damit auch für die Schüler deſſelben,
welche am Ende im wirklichen Leben verwirklichen ſollten, was ſie an
der Univerſität gelernt, den Blick über die Definitionen und die Caſuiſtik
des herrſchenden Römiſchen Rechts erhob; ſie war es, welche in das
„Regiment“ jener Zeit das Bewußtſein der Verantwortlichkeit dafür
hineinlegte, daß die innere Entwicklung der Staaten, die allerdings in
ſeine Hand gegeben war, nunmehr auch wirklich vorwärts gehe. Und
es war wohl als ein Segen zu betrachten, daß die Verwaltungslehre
auf dieſe Weiſe mit der Rechtsphiloſophie untrennbar verſchmolzen er-
ſchien, ja daß im Grunde die Rechtsphiloſophie faſt nichts als
rationelle Verwaltungslehre war. Denn eben nur dadurch
ward dem Juriſten eine Vorſtellung von dieſer Verwaltungslehre bei-
gebracht und die Bahn für dieſelbe und ihre ſelbſtändige Entwicklung
geebnet. Der Hauptvertreter dieſer Richtung war Chriſtian Wolf.
Nur die Unbekanntſchaft mit Weſen und Inhalt der Verwaltungslehre
macht es erklärlich, daß man dieſen ſo hochbedeutenden und verdienten
Mann ſo wenig beachtet und verſtanden hat, während ſein Einfluß ſo
groß war, daß man wenige finden dürfte, die ihn übertroffen. Er war
eben kein dialektiſcher Philoſoph; aber er war im vollen Sinn des Wortes
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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