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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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entweder gar keine Armenpflicht vorhanden ist, oder der Staat als
Ganzes
sie übernimmt. Und denselben Sätzen und Gesetzen werden
wir in Deutschland wieder begegnen.

Das ist das erste Ergebniß dieses Processes. An dasselbe aber schließt
sich sofort ein zweites. Jene Beschränkung der Zuständigkeit erscheint
nämlich alsbald als eine Beschränkung der persönlichen Freiheit in der
örtlichen Bewegung. Im Anfange nun wird diese letztere wenig em-
pfunden, denn die Arbeiter reisen mit Heimathschein, und den Besitzen-
den nimmt jede Verwaltung gern auf. Allein das Hemmniß, das in
der Erreichung der erstern liegt, wird in dem Grade für die richtige
Vertheilung der Arbeitskräfte drückender, als die letztere ungleicher wird.
So entstand, nach mehrern scharfen Heimathbestimmungen, der wichtige
Versuch, die Anwendung der Heimathscheine zu erweitern (8. 9.
Will. III. c. 30. Kries §. 25), der aber nur unbefriedigende Erfolge
zeigte, die namentlich von Coode (Report to the Poor Law Board on
the Law of Settlement and Removal of the Poor
1831 S. 56 und 66)
stark hervorgehoben werden. Man ging daher 1795 einen Schritt weiter,
und bestimmte, daß die Ausweisung der nicht heimathberechtigten Ar-
beiter nicht auf die bloße Besorgniß, sondern erst bei wirklichem
Eintreten
der Hülfsbedürftigkeit berechtigt sein solle (Knies S. 607)
wobei man den Widerspruch beging zu setzen, daß ein Nichtbesitzender
sich zwar allenthalben aufhalten dürfe so lange er wolle, aber durch
den bloßen Aufenthalt überhaupt kein Heimathsrecht gewinne
(35 G. III. c. 101); die Acte (4. 5. Will. IV. 76) von 1834 fügte
dann hinzu, daß die einjährige auch vertragsmäßige Dienstzeit kein
Heimathsrecht geben solle (Kries S. 105). Alle diese Gesetze hatten nun
gemeinschaftlich den Erfolg den Kries (S. 109) ganz richtig bezeichnet,
daß der Nichtbesitzende in die Unmöglichkeit kam, sich überhaupt eine
andere Heimath zu erwerben, als diejenige, "die er sich durch Geburt oder
Lehrzeit einmal erworben," also die natürliche Heimath. So erfüllte
sich hier das Gesetz, von dem wir eben gesprochen. Die Arbeit war als
Grundlage des Volksreichthums von Wissenschaft und Praxis anerkannt,
und doch gesetzlich von dem Erwerbe der Heimath ausgeschlossen.

Dieser Zustand, obwohl die strenge Consequenz der Grundlagen,
die wir bezeichnet haben, diese grundsätzliche wirthschaftliche Hei-
mathslosigkeit
der Nichtbesitzenden und die ausschließliche Geltung
der natürlichen Heimath für sie, war denn doch ein zu tiefer Wider-
spruch, als daß er lange hätte ertragen werden können.

Um nun das gegenwärtige Heimathsrecht, das sich daraus
bildete, richtig zu beurtheilen, muß man hier einen zweiten Proceß ins
Auge fassen, der sich allerdings zunächst auf die Armenverwaltung

entweder gar keine Armenpflicht vorhanden iſt, oder der Staat als
Ganzes
ſie übernimmt. Und denſelben Sätzen und Geſetzen werden
wir in Deutſchland wieder begegnen.

Das iſt das erſte Ergebniß dieſes Proceſſes. An daſſelbe aber ſchließt
ſich ſofort ein zweites. Jene Beſchränkung der Zuſtändigkeit erſcheint
nämlich alsbald als eine Beſchränkung der perſönlichen Freiheit in der
örtlichen Bewegung. Im Anfange nun wird dieſe letztere wenig em-
pfunden, denn die Arbeiter reiſen mit Heimathſchein, und den Beſitzen-
den nimmt jede Verwaltung gern auf. Allein das Hemmniß, das in
der Erreichung der erſtern liegt, wird in dem Grade für die richtige
Vertheilung der Arbeitskräfte drückender, als die letztere ungleicher wird.
So entſtand, nach mehrern ſcharfen Heimathbeſtimmungen, der wichtige
Verſuch, die Anwendung der Heimathſcheine zu erweitern (8. 9.
Will. III. c. 30. Kries §. 25), der aber nur unbefriedigende Erfolge
zeigte, die namentlich von Coode (Report to the Poor Law Board on
the Law of Settlement and Removal of the Poor
1831 S. 56 und 66)
ſtark hervorgehoben werden. Man ging daher 1795 einen Schritt weiter,
und beſtimmte, daß die Ausweiſung der nicht heimathberechtigten Ar-
beiter nicht auf die bloße Beſorgniß, ſondern erſt bei wirklichem
Eintreten
der Hülfsbedürftigkeit berechtigt ſein ſolle (Knies S. 607)
wobei man den Widerſpruch beging zu ſetzen, daß ein Nichtbeſitzender
ſich zwar allenthalben aufhalten dürfe ſo lange er wolle, aber durch
den bloßen Aufenthalt überhaupt kein Heimathsrecht gewinne
(35 G. III. c. 101); die Acte (4. 5. Will. IV. 76) von 1834 fügte
dann hinzu, daß die einjährige auch vertragsmäßige Dienſtzeit kein
Heimathsrecht geben ſolle (Kries S. 105). Alle dieſe Geſetze hatten nun
gemeinſchaftlich den Erfolg den Kries (S. 109) ganz richtig bezeichnet,
daß der Nichtbeſitzende in die Unmöglichkeit kam, ſich überhaupt eine
andere Heimath zu erwerben, als diejenige, „die er ſich durch Geburt oder
Lehrzeit einmal erworben,“ alſo die natürliche Heimath. So erfüllte
ſich hier das Geſetz, von dem wir eben geſprochen. Die Arbeit war als
Grundlage des Volksreichthums von Wiſſenſchaft und Praxis anerkannt,
und doch geſetzlich von dem Erwerbe der Heimath ausgeſchloſſen.

Dieſer Zuſtand, obwohl die ſtrenge Conſequenz der Grundlagen,
die wir bezeichnet haben, dieſe grundſätzliche wirthſchaftliche Hei-
mathsloſigkeit
der Nichtbeſitzenden und die ausſchließliche Geltung
der natürlichen Heimath für ſie, war denn doch ein zu tiefer Wider-
ſpruch, als daß er lange hätte ertragen werden können.

Um nun das gegenwärtige Heimathsrecht, das ſich daraus
bildete, richtig zu beurtheilen, muß man hier einen zweiten Proceß ins
Auge faſſen, der ſich allerdings zunächſt auf die Armenverwaltung

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[296/0318] entweder gar keine Armenpflicht vorhanden iſt, oder der Staat als Ganzes ſie übernimmt. Und denſelben Sätzen und Geſetzen werden wir in Deutſchland wieder begegnen. Das iſt das erſte Ergebniß dieſes Proceſſes. An daſſelbe aber ſchließt ſich ſofort ein zweites. Jene Beſchränkung der Zuſtändigkeit erſcheint nämlich alsbald als eine Beſchränkung der perſönlichen Freiheit in der örtlichen Bewegung. Im Anfange nun wird dieſe letztere wenig em- pfunden, denn die Arbeiter reiſen mit Heimathſchein, und den Beſitzen- den nimmt jede Verwaltung gern auf. Allein das Hemmniß, das in der Erreichung der erſtern liegt, wird in dem Grade für die richtige Vertheilung der Arbeitskräfte drückender, als die letztere ungleicher wird. So entſtand, nach mehrern ſcharfen Heimathbeſtimmungen, der wichtige Verſuch, die Anwendung der Heimathſcheine zu erweitern (8. 9. Will. III. c. 30. Kries §. 25), der aber nur unbefriedigende Erfolge zeigte, die namentlich von Coode (Report to the Poor Law Board on the Law of Settlement and Removal of the Poor 1831 S. 56 und 66) ſtark hervorgehoben werden. Man ging daher 1795 einen Schritt weiter, und beſtimmte, daß die Ausweiſung der nicht heimathberechtigten Ar- beiter nicht auf die bloße Beſorgniß, ſondern erſt bei wirklichem Eintreten der Hülfsbedürftigkeit berechtigt ſein ſolle (Knies S. 607) wobei man den Widerſpruch beging zu ſetzen, daß ein Nichtbeſitzender ſich zwar allenthalben aufhalten dürfe ſo lange er wolle, aber durch den bloßen Aufenthalt überhaupt kein Heimathsrecht gewinne (35 G. III. c. 101); die Acte (4. 5. Will. IV. 76) von 1834 fügte dann hinzu, daß die einjährige auch vertragsmäßige Dienſtzeit kein Heimathsrecht geben ſolle (Kries S. 105). Alle dieſe Geſetze hatten nun gemeinſchaftlich den Erfolg den Kries (S. 109) ganz richtig bezeichnet, daß der Nichtbeſitzende in die Unmöglichkeit kam, ſich überhaupt eine andere Heimath zu erwerben, als diejenige, „die er ſich durch Geburt oder Lehrzeit einmal erworben,“ alſo die natürliche Heimath. So erfüllte ſich hier das Geſetz, von dem wir eben geſprochen. Die Arbeit war als Grundlage des Volksreichthums von Wiſſenſchaft und Praxis anerkannt, und doch geſetzlich von dem Erwerbe der Heimath ausgeſchloſſen. Dieſer Zuſtand, obwohl die ſtrenge Conſequenz der Grundlagen, die wir bezeichnet haben, dieſe grundſätzliche wirthſchaftliche Hei- mathsloſigkeit der Nichtbeſitzenden und die ausſchließliche Geltung der natürlichen Heimath für ſie, war denn doch ein zu tiefer Wider- ſpruch, als daß er lange hätte ertragen werden können. Um nun das gegenwärtige Heimathsrecht, das ſich daraus bildete, richtig zu beurtheilen, muß man hier einen zweiten Proceß ins Auge faſſen, der ſich allerdings zunächſt auf die Armenverwaltung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/318>, abgerufen am 24.11.2024.