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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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sehr große Menge von Zuständen umfaßt, von der bloßen Durch-
reise bis zum erblichen Besitz eines Grundbesitzes innerhalb der Ver-
waltungsgemeinde. Jeder dieser Zustände begründete irgend ein Ver-
hältniß zur Verwaltungsthätigkeit; selbst der augenblickliche und rein
zufällige Aufenthalt erzeugte ja das Recht auf sicherheitspolizeilichen
Schutz, die Zuständigkeit vor Gericht bei geschlossenem Vertrage, und
anderes. Die Frage war daher bald die, welche persönlichen Verhältnisse
den Einzelnen die Zuständigkeit für die örtliche Armenverwaltung, oder
das Heimathsrecht geben sollten. Diese Frage mußte die Organisationsge-
walt entscheiden, und daraus entstand nun neben der Armenverwal-
tungsgesetzgebung Englands die erste Armenzuständigkeitsgesetzgebung,
oder die erste Gestalt des gesetzlichen Heimathsrechts.

Dieses Heimathsrecht hat nun seine Geschichte, und der Charakter
dieser Geschichte des englischen Heimathsrechts, wesentlich von dem des
Continents unterschieden, besteht darin, daß er sich eben naturgemäß
an die Geschichte der Armenverwaltungsgemeinde anschließt,
während das Heimathsrecht Frankreichs von der Geschichte der amt-
lichen
Competenz und Organisation, das Heimathsrecht Deutschlands
von der Geschichte der Ortsgemeinde abhängt. Es ist von entschei-
dender Wichtigkeit dies festzuhalten. Das einzige, was uns in der
sonst musterhaften Darstellung von Kries mangelt, ist eben dieses
richtige Verständniß des Heimathsrechts in England, das ihm ganz
deutlich vorschwebt, ohne daß er zur definitiven Formulirung gelangte
(S. 97). Bitzer hat es bei weitem nicht so gut verstanden.

Sechzig Jahre nach der Akte von Elisabeth erkannte man nämlich,
daß man, um die entscheidenden technischen Ausdrücke jetzt zu gebrauchen,
der Armenverwaltungsgemeinde die Bestimmung ihrer, sie zur Unter-
stützung verpflichtenden Competenz zwar nicht selbst überlassen, aber
auch die Armenzuständigkeit nicht bloß mit der einfachen Thatsache des
Aufenthalts verbinden könne. Das Parlament gab daher ein (orga-
nisatorisches) Gesetz, das, obgleich die Elemente desselben so naturgemäß
sind, daß sie sich in der ganzen Welt wiederfinden und daher auch vor
diesem Gesetz anerkannt sind, doch durch die Klarheit seiner Bestimmungen,
namentlich aber durch seine Verbindung mit der Anerkennung der staat-
lichen Armenverwaltung als Aufgabe der Selbstverwaltung, als das
Grundgesetz alles Heimathsrechts angesehen werden muß. Das
war die Akte 14. Charl. II. C. 12 oder die sogen. Law of Settle-
ment,
oder Settlement-Act. Dies Gesetz hatte mit der Armen-
verwaltung gar nichts zu thun, sondern nur mit der administrativen
Bevölkerungsordnung in specieller Beziehung auf die Armenverwaltung.
Darnach war die Zuständigkeit für die Armenpflege in einem Kirchspiel

ſehr große Menge von Zuſtänden umfaßt, von der bloßen Durch-
reiſe bis zum erblichen Beſitz eines Grundbeſitzes innerhalb der Ver-
waltungsgemeinde. Jeder dieſer Zuſtände begründete irgend ein Ver-
hältniß zur Verwaltungsthätigkeit; ſelbſt der augenblickliche und rein
zufällige Aufenthalt erzeugte ja das Recht auf ſicherheitspolizeilichen
Schutz, die Zuſtändigkeit vor Gericht bei geſchloſſenem Vertrage, und
anderes. Die Frage war daher bald die, welche perſönlichen Verhältniſſe
den Einzelnen die Zuſtändigkeit für die örtliche Armenverwaltung, oder
das Heimathsrecht geben ſollten. Dieſe Frage mußte die Organiſationsge-
walt entſcheiden, und daraus entſtand nun neben der Armenverwal-
tungsgeſetzgebung Englands die erſte Armenzuſtändigkeitsgeſetzgebung,
oder die erſte Geſtalt des geſetzlichen Heimathsrechts.

Dieſes Heimathsrecht hat nun ſeine Geſchichte, und der Charakter
dieſer Geſchichte des engliſchen Heimathsrechts, weſentlich von dem des
Continents unterſchieden, beſteht darin, daß er ſich eben naturgemäß
an die Geſchichte der Armenverwaltungsgemeinde anſchließt,
während das Heimathsrecht Frankreichs von der Geſchichte der amt-
lichen
Competenz und Organiſation, das Heimathsrecht Deutſchlands
von der Geſchichte der Ortsgemeinde abhängt. Es iſt von entſchei-
dender Wichtigkeit dies feſtzuhalten. Das einzige, was uns in der
ſonſt muſterhaften Darſtellung von Kries mangelt, iſt eben dieſes
richtige Verſtändniß des Heimathsrechts in England, das ihm ganz
deutlich vorſchwebt, ohne daß er zur definitiven Formulirung gelangte
(S. 97). Bitzer hat es bei weitem nicht ſo gut verſtanden.

Sechzig Jahre nach der Akte von Eliſabeth erkannte man nämlich,
daß man, um die entſcheidenden techniſchen Ausdrücke jetzt zu gebrauchen,
der Armenverwaltungsgemeinde die Beſtimmung ihrer, ſie zur Unter-
ſtützung verpflichtenden Competenz zwar nicht ſelbſt überlaſſen, aber
auch die Armenzuſtändigkeit nicht bloß mit der einfachen Thatſache des
Aufenthalts verbinden könne. Das Parlament gab daher ein (orga-
niſatoriſches) Geſetz, das, obgleich die Elemente deſſelben ſo naturgemäß
ſind, daß ſie ſich in der ganzen Welt wiederfinden und daher auch vor
dieſem Geſetz anerkannt ſind, doch durch die Klarheit ſeiner Beſtimmungen,
namentlich aber durch ſeine Verbindung mit der Anerkennung der ſtaat-
lichen Armenverwaltung als Aufgabe der Selbſtverwaltung, als das
Grundgeſetz alles Heimathsrechts angeſehen werden muß. Das
war die Akte 14. Charl. II. C. 12 oder die ſogen. Law of Settle-
ment,
oder Settlement-Act. Dies Geſetz hatte mit der Armen-
verwaltung gar nichts zu thun, ſondern nur mit der adminiſtrativen
Bevölkerungsordnung in ſpecieller Beziehung auf die Armenverwaltung.
Darnach war die Zuſtändigkeit für die Armenpflege in einem Kirchſpiel

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[294/0316] ſehr große Menge von Zuſtänden umfaßt, von der bloßen Durch- reiſe bis zum erblichen Beſitz eines Grundbeſitzes innerhalb der Ver- waltungsgemeinde. Jeder dieſer Zuſtände begründete irgend ein Ver- hältniß zur Verwaltungsthätigkeit; ſelbſt der augenblickliche und rein zufällige Aufenthalt erzeugte ja das Recht auf ſicherheitspolizeilichen Schutz, die Zuſtändigkeit vor Gericht bei geſchloſſenem Vertrage, und anderes. Die Frage war daher bald die, welche perſönlichen Verhältniſſe den Einzelnen die Zuſtändigkeit für die örtliche Armenverwaltung, oder das Heimathsrecht geben ſollten. Dieſe Frage mußte die Organiſationsge- walt entſcheiden, und daraus entſtand nun neben der Armenverwal- tungsgeſetzgebung Englands die erſte Armenzuſtändigkeitsgeſetzgebung, oder die erſte Geſtalt des geſetzlichen Heimathsrechts. Dieſes Heimathsrecht hat nun ſeine Geſchichte, und der Charakter dieſer Geſchichte des engliſchen Heimathsrechts, weſentlich von dem des Continents unterſchieden, beſteht darin, daß er ſich eben naturgemäß an die Geſchichte der Armenverwaltungsgemeinde anſchließt, während das Heimathsrecht Frankreichs von der Geſchichte der amt- lichen Competenz und Organiſation, das Heimathsrecht Deutſchlands von der Geſchichte der Ortsgemeinde abhängt. Es iſt von entſchei- dender Wichtigkeit dies feſtzuhalten. Das einzige, was uns in der ſonſt muſterhaften Darſtellung von Kries mangelt, iſt eben dieſes richtige Verſtändniß des Heimathsrechts in England, das ihm ganz deutlich vorſchwebt, ohne daß er zur definitiven Formulirung gelangte (S. 97). Bitzer hat es bei weitem nicht ſo gut verſtanden. Sechzig Jahre nach der Akte von Eliſabeth erkannte man nämlich, daß man, um die entſcheidenden techniſchen Ausdrücke jetzt zu gebrauchen, der Armenverwaltungsgemeinde die Beſtimmung ihrer, ſie zur Unter- ſtützung verpflichtenden Competenz zwar nicht ſelbſt überlaſſen, aber auch die Armenzuſtändigkeit nicht bloß mit der einfachen Thatſache des Aufenthalts verbinden könne. Das Parlament gab daher ein (orga- niſatoriſches) Geſetz, das, obgleich die Elemente deſſelben ſo naturgemäß ſind, daß ſie ſich in der ganzen Welt wiederfinden und daher auch vor dieſem Geſetz anerkannt ſind, doch durch die Klarheit ſeiner Beſtimmungen, namentlich aber durch ſeine Verbindung mit der Anerkennung der ſtaat- lichen Armenverwaltung als Aufgabe der Selbſtverwaltung, als das Grundgeſetz alles Heimathsrechts angeſehen werden muß. Das war die Akte 14. Charl. II. C. 12 oder die ſogen. Law of Settle- ment, oder Settlement-Act. Dies Geſetz hatte mit der Armen- verwaltung gar nichts zu thun, ſondern nur mit der adminiſtrativen Bevölkerungsordnung in ſpecieller Beziehung auf die Armenverwaltung. Darnach war die Zuſtändigkeit für die Armenpflege in einem Kirchſpiel

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/316>, abgerufen am 28.11.2024.