er reicht. In England reichen die reinen Kirchenbücher in dem oben aufgestellten Sinn wohl bis zum Jahr 1812; doch beginnen die öffent- lichen Vorschriften über dieselben schon seit 1538, bei denen bereits Strafvorschriften erscheinen. Die Verordnung des Erzbischofs von Can- terbury 1597 (39 Elisab.) zeigt uns, daß die Kirche trotz mehrfacher Bemühungen der Regierung sich eifersüchtig gegen jedes Eingreifen der letztern sträubte, und lieber selbst die Verbesserungen befahl und durch- führte. Das Gesetz von 1653, welches bereits die Herstellung förmlicher Standesregister ohne Rücksicht auf die Confession und Führung derselben durch die Justices of peace enthielt, fiel mit der Restauration. Unter Wilhelm III. begann man die Kirchenbücher als Mittel zur Besteurung zu benützen, was ihren Werth gerade nicht erhöhte; die englischen Kir- chenbücher blieben daher ziemlich ohne alle Organisation, bis das Gesetz 52 Georg III. c. 146 von 1812, das oben erwähnte Sir Moses Sta- tute, den großen Versuch machte, das für England zu thun, was Joseph II. 1784 für Oesterreich geleistet, nämlich eine durchgreifende gesetzliche, allgemein gültige Regelung der Führung der Kirchen- bücher. Allein die Selbständigkeit einerseits der Gemeinden, andrer- seits der kirchlichen Körperschaften machte nicht bloß die Durchführung dieser Vorschriften unmöglich, sondern, was nach den gegenwärtigen Verhältnissen beinahe unglaublich scheint, die Regierung wußte bis zum Jahr 1833 nicht einmal, wie die Kirchenbücher geführt würden, und die Gerichtshöfe nahmen auch nur die Angaben über die Taufen, nicht aber die über Geburten aus denselben als gültig an. Es war der ächt englische Standpunkt hier zur Geltung gelangt, daß das, was das Interesse des Einzelnen betrifft, auch rein Sache des Einzelnen sei, und jeder Einzelne daher Geburt, Ehe und Tod selbst beweisen möge, wenn es ihm darauf ankäme. "Die Gesammtheit der Ermittlungen des Parlamentsausschusses," sagt Daniels mit Recht, "insbesondere das Urtheil der zu Rathe gezogenen Sachwalter, stellt den Zustand der Beurkundung der Personenstandsereignisse als höchst ungenügend dar, selbst für die der bischöflichen Kirche angehörigen Glau- bensgenossen" (1833!). Der Ausschuß stellte daher den Antrag: "daß eine Nationalanstalt zur Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbfälle unabhängig von kirchlichen Einrichtungen und der Verschiedenheit der Glaubensbekenntnisse zu gründen, und daß die neue Einrichtung einer besondern, in der Hauptstadt einzusetzenden Be- hörde unterzuordnen sei." Dieß Princip ward angenommen, und muß als die Basis des Standesregisterwesens in England angesehen werden. Es unterscheidet sich wesentlich von dem deutschen in der Trennung von den Kirchenbüchern, die neben jenen Standesregistern
er reicht. In England reichen die reinen Kirchenbücher in dem oben aufgeſtellten Sinn wohl bis zum Jahr 1812; doch beginnen die öffent- lichen Vorſchriften über dieſelben ſchon ſeit 1538, bei denen bereits Strafvorſchriften erſcheinen. Die Verordnung des Erzbiſchofs von Can- terbury 1597 (39 Elisab.) zeigt uns, daß die Kirche trotz mehrfacher Bemühungen der Regierung ſich eiferſüchtig gegen jedes Eingreifen der letztern ſträubte, und lieber ſelbſt die Verbeſſerungen befahl und durch- führte. Das Geſetz von 1653, welches bereits die Herſtellung förmlicher Standesregiſter ohne Rückſicht auf die Confeſſion und Führung derſelben durch die Justices of peace enthielt, fiel mit der Reſtauration. Unter Wilhelm III. begann man die Kirchenbücher als Mittel zur Beſteurung zu benützen, was ihren Werth gerade nicht erhöhte; die engliſchen Kir- chenbücher blieben daher ziemlich ohne alle Organiſation, bis das Geſetz 52 Georg III. c. 146 von 1812, das oben erwähnte Sir Moses Sta- tute, den großen Verſuch machte, das für England zu thun, was Joſeph II. 1784 für Oeſterreich geleiſtet, nämlich eine durchgreifende geſetzliche, allgemein gültige Regelung der Führung der Kirchen- bücher. Allein die Selbſtändigkeit einerſeits der Gemeinden, andrer- ſeits der kirchlichen Körperſchaften machte nicht bloß die Durchführung dieſer Vorſchriften unmöglich, ſondern, was nach den gegenwärtigen Verhältniſſen beinahe unglaublich ſcheint, die Regierung wußte bis zum Jahr 1833 nicht einmal, wie die Kirchenbücher geführt würden, und die Gerichtshöfe nahmen auch nur die Angaben über die Taufen, nicht aber die über Geburten aus denſelben als gültig an. Es war der ächt engliſche Standpunkt hier zur Geltung gelangt, daß das, was das Intereſſe des Einzelnen betrifft, auch rein Sache des Einzelnen ſei, und jeder Einzelne daher Geburt, Ehe und Tod ſelbſt beweiſen möge, wenn es ihm darauf ankäme. „Die Geſammtheit der Ermittlungen des Parlamentsausſchuſſes,“ ſagt Daniels mit Recht, „insbeſondere das Urtheil der zu Rathe gezogenen Sachwalter, ſtellt den Zuſtand der Beurkundung der Perſonenſtandsereigniſſe als höchſt ungenügend dar, ſelbſt für die der biſchöflichen Kirche angehörigen Glau- bensgenoſſen“ (1833!). Der Ausſchuß ſtellte daher den Antrag: „daß eine Nationalanſtalt zur Beurkundung der Geburten, Heirathen und Sterbfälle unabhängig von kirchlichen Einrichtungen und der Verſchiedenheit der Glaubensbekenntniſſe zu gründen, und daß die neue Einrichtung einer beſondern, in der Hauptſtadt einzuſetzenden Be- hörde unterzuordnen ſei.“ Dieß Princip ward angenommen, und muß als die Baſis des Standesregiſterweſens in England angeſehen werden. Es unterſcheidet ſich weſentlich von dem deutſchen in der Trennung von den Kirchenbüchern, die neben jenen Standesregiſtern
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Strafvorſchriften erſcheinen. Die Verordnung des Erzbiſchofs von Can-
terbury 1597 (39 Elisab.) zeigt uns, daß die Kirche trotz mehrfacher
Bemühungen der Regierung ſich eiferſüchtig gegen jedes Eingreifen der
letztern ſträubte, und lieber ſelbſt die Verbeſſerungen befahl und durch-
führte. Das Geſetz von 1653, welches bereits die Herſtellung förmlicher
Standesregiſter ohne Rückſicht auf die Confeſſion und Führung derſelben
durch die Justices of peace enthielt, fiel mit der Reſtauration. Unter
Wilhelm III. begann man die Kirchenbücher als Mittel zur Beſteurung
zu benützen, was ihren Werth gerade nicht erhöhte; die engliſchen Kir-
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52 Georg III. c. 146 von 1812, das oben erwähnte Sir Moses Sta-
tute, den großen Verſuch machte, das für England zu thun, was
Joſeph II. 1784 für Oeſterreich geleiſtet, nämlich eine durchgreifende
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bücher. Allein die Selbſtändigkeit einerſeits der Gemeinden, andrer-
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zum Jahr 1833 nicht einmal, wie die Kirchenbücher geführt
würden, und die Gerichtshöfe nahmen auch nur die Angaben über
die Taufen, nicht aber die über Geburten aus denſelben als gültig
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daß das, was das Intereſſe des Einzelnen betrifft, auch rein Sache
des Einzelnen ſei, und jeder Einzelne daher Geburt, Ehe und Tod
ſelbſt beweiſen möge, wenn es ihm darauf ankäme. „Die Geſammtheit
der Ermittlungen des Parlamentsausſchuſſes,“ ſagt Daniels mit Recht,
„insbeſondere das Urtheil der zu Rathe gezogenen Sachwalter, ſtellt
den Zuſtand der Beurkundung der Perſonenſtandsereigniſſe als höchſt
ungenügend dar, ſelbſt für die der biſchöflichen Kirche angehörigen Glau-
bensgenoſſen“ (1833!). Der Ausſchuß ſtellte daher den Antrag: „daß
eine Nationalanſtalt zur Beurkundung der Geburten, Heirathen
und Sterbfälle unabhängig von kirchlichen Einrichtungen und der
Verſchiedenheit der Glaubensbekenntniſſe zu gründen, und daß die neue
Einrichtung einer beſondern, in der Hauptſtadt einzuſetzenden Be-
hörde unterzuordnen ſei.“ Dieß Princip ward angenommen, und
muß als die Baſis des Standesregiſterweſens in England angeſehen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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