müssen sich daher vor allen Dingen auf die Ehe beziehen. Sie muß zunächst und vor allem als das eigentliche Gebiet der Bevölkerungs- politik und alle andern als ihr untergeordnet angesehen werden. Das nun ist in der historischen Entwicklung der letztern auch wirklich der Fall. Nur ist dieß Verhältniß vermöge des allgemeinern Wesens der Ehe nicht so einfach; dieselbe enthält vielmehr eine Reihe von andern Beziehungen zugleich, und alle diese Beziehungen haben allerdings einen gewissen, mehr oder weniger direkten Einfluß auf die populationistische Bedeutung der Ehe. Es hat daher für die Theorie von jeher große Schwierigkeit gehabt, die Ehe und das Eherecht einmal aus dem reinen Standpunkt der Bevölkerungspolitik zu betrachten, obwohl die Gesetz- gebung dieß recht wohl verstanden hat. Wir finden vielmehr in der Theorie eine fast durchgreifende Vermengung der verschiedensten Dinge, selbst wo es sich um die specielle Beziehung der Ehe zur Bevölkerung handelt, und daher auch keine klare Uebersicht über das, was wir das System des öffentlichen Eherechts nennen. Trotz der Abneigung unserer Zeit, bei entschiedener Forderung nach definitiven Resultaten in allen andern Wissenschaften feste Begriffsbestimmungen gerade in der Staats- lehre annehmen zu wollen, müssen wir dennoch darauf bestehen, daß man auch hier dieselben anerkenne. Denn ohne sie gibt es nun einmal keine Wissenschaft.
Die Ehe ist zuerst ein physiologisches, dann ein ethisches und end- lich ein privatrechtliches Verhältniß. Das erste enthält die organische Einheit der Einzelnen durch das natürliche Element des Geschlechts, das zweite dieselbe durch das geistige Element des psychischen Lebens, das dritte diese Einheit durch die Gemeinschaft des rechtlichen Willens beider, als Persönlichkeit selbständiger Ehegatten. Derjenige Theil dieser Gemeinschaft, der das wirthschaftliche Leben umfaßt, bildet den volks- wirthschaftlichen Begriff der Hauswirthschaft. Alle diese Verhältnisse, dem Begriffe der Ehe inwohnend, sind allerdings von höchster und un- bezweifelter Wichtigkeit, aber sie gehören der Bevölkerungslehre nicht an; viel weniger der Bevölkerungspolitik. Es hat das sehr bestimmte Gebiet der letztern in hohem Grade verwirrt, daß die Theorie sich ver- pflichtet geglaubt hat, jedesmal über jene großen Fragen zu reden, so- wie es sich um die Ehe als Theil der Bevölkerungslehre gehandelt hat. Man muß, will man mit der letztern zu einem faßbaren Resultat ge- langen, sich darüber einig werden, daß man innerhalb der Bevölkerungs- politik die Ehe eben nur von dem Standpunkte aus behandeln soll, von dem sie der Frage nach den Maßregeln angehört, welche die Verwaltung vermöge ihrer Bestimmungen über die Ehe für die Zunahme oder Abnahme der Bevölkerung ergreift. Die Ehe
müſſen ſich daher vor allen Dingen auf die Ehe beziehen. Sie muß zunächſt und vor allem als das eigentliche Gebiet der Bevölkerungs- politik und alle andern als ihr untergeordnet angeſehen werden. Das nun iſt in der hiſtoriſchen Entwicklung der letztern auch wirklich der Fall. Nur iſt dieß Verhältniß vermöge des allgemeinern Weſens der Ehe nicht ſo einfach; dieſelbe enthält vielmehr eine Reihe von andern Beziehungen zugleich, und alle dieſe Beziehungen haben allerdings einen gewiſſen, mehr oder weniger direkten Einfluß auf die populationiſtiſche Bedeutung der Ehe. Es hat daher für die Theorie von jeher große Schwierigkeit gehabt, die Ehe und das Eherecht einmal aus dem reinen Standpunkt der Bevölkerungspolitik zu betrachten, obwohl die Geſetz- gebung dieß recht wohl verſtanden hat. Wir finden vielmehr in der Theorie eine faſt durchgreifende Vermengung der verſchiedenſten Dinge, ſelbſt wo es ſich um die ſpecielle Beziehung der Ehe zur Bevölkerung handelt, und daher auch keine klare Ueberſicht über das, was wir das Syſtem des öffentlichen Eherechts nennen. Trotz der Abneigung unſerer Zeit, bei entſchiedener Forderung nach definitiven Reſultaten in allen andern Wiſſenſchaften feſte Begriffsbeſtimmungen gerade in der Staats- lehre annehmen zu wollen, müſſen wir dennoch darauf beſtehen, daß man auch hier dieſelben anerkenne. Denn ohne ſie gibt es nun einmal keine Wiſſenſchaft.
Die Ehe iſt zuerſt ein phyſiologiſches, dann ein ethiſches und end- lich ein privatrechtliches Verhältniß. Das erſte enthält die organiſche Einheit der Einzelnen durch das natürliche Element des Geſchlechts, das zweite dieſelbe durch das geiſtige Element des pſychiſchen Lebens, das dritte dieſe Einheit durch die Gemeinſchaft des rechtlichen Willens beider, als Perſönlichkeit ſelbſtändiger Ehegatten. Derjenige Theil dieſer Gemeinſchaft, der das wirthſchaftliche Leben umfaßt, bildet den volks- wirthſchaftlichen Begriff der Hauswirthſchaft. Alle dieſe Verhältniſſe, dem Begriffe der Ehe inwohnend, ſind allerdings von höchſter und un- bezweifelter Wichtigkeit, aber ſie gehören der Bevölkerungslehre nicht an; viel weniger der Bevölkerungspolitik. Es hat das ſehr beſtimmte Gebiet der letztern in hohem Grade verwirrt, daß die Theorie ſich ver- pflichtet geglaubt hat, jedesmal über jene großen Fragen zu reden, ſo- wie es ſich um die Ehe als Theil der Bevölkerungslehre gehandelt hat. Man muß, will man mit der letztern zu einem faßbaren Reſultat ge- langen, ſich darüber einig werden, daß man innerhalb der Bevölkerungs- politik die Ehe eben nur von dem Standpunkte aus behandeln ſoll, von dem ſie der Frage nach den Maßregeln angehört, welche die Verwaltung vermöge ihrer Beſtimmungen über die Ehe für die Zunahme oder Abnahme der Bevölkerung ergreift. Die Ehe
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müſſen ſich daher vor allen Dingen auf die Ehe beziehen. Sie
muß zunächſt und vor allem als das eigentliche Gebiet der Bevölkerungs-
politik und alle andern als ihr untergeordnet angeſehen werden. Das
nun iſt in der hiſtoriſchen Entwicklung der letztern auch wirklich der
Fall. Nur iſt dieß Verhältniß vermöge des allgemeinern Weſens der
Ehe nicht ſo einfach; dieſelbe enthält vielmehr eine Reihe von andern
Beziehungen zugleich, und alle dieſe Beziehungen haben allerdings einen
gewiſſen, mehr oder weniger direkten Einfluß auf die populationiſtiſche
Bedeutung der Ehe. Es hat daher für die Theorie von jeher große
Schwierigkeit gehabt, die Ehe und das Eherecht einmal aus dem reinen
Standpunkt der Bevölkerungspolitik zu betrachten, obwohl die Geſetz-
gebung dieß recht wohl verſtanden hat. Wir finden vielmehr in der
Theorie eine faſt durchgreifende Vermengung der verſchiedenſten Dinge,
ſelbſt wo es ſich um die ſpecielle Beziehung der Ehe zur Bevölkerung
handelt, und daher auch keine klare Ueberſicht über das, was wir das
Syſtem des öffentlichen Eherechts nennen. Trotz der Abneigung unſerer
Zeit, bei entſchiedener Forderung nach definitiven Reſultaten in allen
andern Wiſſenſchaften feſte Begriffsbeſtimmungen gerade in der Staats-
lehre annehmen zu wollen, müſſen wir dennoch darauf beſtehen, daß
man auch hier dieſelben anerkenne. Denn ohne ſie gibt es nun einmal
keine Wiſſenſchaft.
Die Ehe iſt zuerſt ein phyſiologiſches, dann ein ethiſches und end-
lich ein privatrechtliches Verhältniß. Das erſte enthält die organiſche
Einheit der Einzelnen durch das natürliche Element des Geſchlechts,
das zweite dieſelbe durch das geiſtige Element des pſychiſchen Lebens,
das dritte dieſe Einheit durch die Gemeinſchaft des rechtlichen Willens
beider, als Perſönlichkeit ſelbſtändiger Ehegatten. Derjenige Theil dieſer
Gemeinſchaft, der das wirthſchaftliche Leben umfaßt, bildet den volks-
wirthſchaftlichen Begriff der Hauswirthſchaft. Alle dieſe Verhältniſſe,
dem Begriffe der Ehe inwohnend, ſind allerdings von höchſter und un-
bezweifelter Wichtigkeit, aber ſie gehören der Bevölkerungslehre nicht
an; viel weniger der Bevölkerungspolitik. Es hat das ſehr beſtimmte
Gebiet der letztern in hohem Grade verwirrt, daß die Theorie ſich ver-
pflichtet geglaubt hat, jedesmal über jene großen Fragen zu reden, ſo-
wie es ſich um die Ehe als Theil der Bevölkerungslehre gehandelt hat.
Man muß, will man mit der letztern zu einem faßbaren Reſultat ge-
langen, ſich darüber einig werden, daß man innerhalb der Bevölkerungs-
politik die Ehe eben nur von dem Standpunkte aus behandeln ſoll, von
dem ſie der Frage nach den Maßregeln angehört, welche die
Verwaltung vermöge ihrer Beſtimmungen über die Ehe für die
Zunahme oder Abnahme der Bevölkerung ergreift. Die Ehe
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/147>, abgerufen am 03.12.2024.
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