Princips. Der Wille überhaupt soll herrschen, der Staatswille soll im Staate herrschen, das Gesetz ist der Staatswille, es kann nichts über dem Gesetze geben; die Volksvertretung ist das herrschende Organ des Staatslebens. Alle Thätigkeiten müssen daher dem Gesetz unterthan sein; sie können keine Selbständigkeit gegenüber dem Gesetze haben; sie sind Diener des Gesetzes. Die Vollziehung ist daher nichts als eine Aeußerung des Gesetzes; nur insofern ist sie selbständig; sie soll keinen Willen für sich haben; höchstens darf sie die Unmöglichkeit des Staats- willens im Veto erklären. Damit hat das Staatsoberhaupt seinen wahren Charakter verloren. Er ist nicht mehr Staatsoberhaupt, son- dern der ganze Staat hat sich in die zwei Gewalten, die gesetzgebende und die vollziehende geschieden; das Staatsoberhaupt ist nichts, als das Haupt der vollziehenden Gewalt. Er darf eben so wenig mehr sein, als die That mehr sein darf, als der Wille; er steht unbe- dingt unter dem Willen, und diese Unterordnung formulirt sich zum Recht der Verantwortlichkeit. Die vollziehende Gewalt kann diesen Ge- horsam fordern, aber nicht im Namen des Staats, sondern im Namen des Gesetzes. An und für sich ist sie rechtlos. Es gibt daher dem öffentlich-rechtlichen Begriff nach nur noch reine Vollzugsverordnungen; keine Verordnung kann das Recht des Gesetzes für sich in Anspruch nehmen. Das ist das Princip des französischen Contrat social, zuerst zum geltenden Recht erhoben in Nordamerika, dann in der französischen Revolution, und im Jahre 1848 wieder in einigen romanischen Ver- fassungen anerkannt.
Offenbar enthält diese Auffassung den Widerspruch, daß der Ver- ordnungsgewalt damit das Recht genommen ist, die Stelle des Gesetzes da zu vertreten, wo das Gesetz nothwendig ist, aber fehlt. Sie lähmt den Staat, indem sie jede Thätigkeit desselben von der Volksvertretung abhängig macht; sie ist unerfüllbar, weil die Gesetzgebung den Auf- gaben der Verwaltung nie ganz genügt. Sie ist daher auch nur erklär- bar als Gegensatz gegen das umgekehrte Verhältniß, welches das Recht des achtzehnten Jahrhunderts bildete, und alle Gesetze in das Verord- nungsrecht aufgehen ließ. Ihre Verantwortlichkeit ist nicht die lebendige der Verfassung, sondern die privatrechtliche eines Mandatars. So ward sie aufgefaßt, und auch benannt; aber es war ein leeres Wort. Die Unmöglichkeit der Sache war nicht geringer als die des entgegengesetzten Zustandes im achtzehnten Jahrhundert. Kein Gesetz kann das Wesen der an sich selbstthätigen Vollziehung vernichten. Bald genug macht sich diese geltend. Gesetzgebung und Vollziehung gerathen in Kampf; es entsteht die wunderbare Erscheinung eines tiefen, fast instinktmäßigen Hasses beider gegeneinander. Dieser Haß wird zur offenen Verfolgung;
Princips. Der Wille überhaupt ſoll herrſchen, der Staatswille ſoll im Staate herrſchen, das Geſetz iſt der Staatswille, es kann nichts über dem Geſetze geben; die Volksvertretung iſt das herrſchende Organ des Staatslebens. Alle Thätigkeiten müſſen daher dem Geſetz unterthan ſein; ſie können keine Selbſtändigkeit gegenüber dem Geſetze haben; ſie ſind Diener des Geſetzes. Die Vollziehung iſt daher nichts als eine Aeußerung des Geſetzes; nur inſofern iſt ſie ſelbſtändig; ſie ſoll keinen Willen für ſich haben; höchſtens darf ſie die Unmöglichkeit des Staats- willens im Veto erklären. Damit hat das Staatsoberhaupt ſeinen wahren Charakter verloren. Er iſt nicht mehr Staatsoberhaupt, ſon- dern der ganze Staat hat ſich in die zwei Gewalten, die geſetzgebende und die vollziehende geſchieden; das Staatsoberhaupt iſt nichts, als das Haupt der vollziehenden Gewalt. Er darf eben ſo wenig mehr ſein, als die That mehr ſein darf, als der Wille; er ſteht unbe- dingt unter dem Willen, und dieſe Unterordnung formulirt ſich zum Recht der Verantwortlichkeit. Die vollziehende Gewalt kann dieſen Ge- horſam fordern, aber nicht im Namen des Staats, ſondern im Namen des Geſetzes. An und für ſich iſt ſie rechtlos. Es gibt daher dem öffentlich-rechtlichen Begriff nach nur noch reine Vollzugsverordnungen; keine Verordnung kann das Recht des Geſetzes für ſich in Anſpruch nehmen. Das iſt das Princip des franzöſiſchen Contrat social, zuerſt zum geltenden Recht erhoben in Nordamerika, dann in der franzöſiſchen Revolution, und im Jahre 1848 wieder in einigen romaniſchen Ver- faſſungen anerkannt.
Offenbar enthält dieſe Auffaſſung den Widerſpruch, daß der Ver- ordnungsgewalt damit das Recht genommen iſt, die Stelle des Geſetzes da zu vertreten, wo das Geſetz nothwendig iſt, aber fehlt. Sie lähmt den Staat, indem ſie jede Thätigkeit deſſelben von der Volksvertretung abhängig macht; ſie iſt unerfüllbar, weil die Geſetzgebung den Auf- gaben der Verwaltung nie ganz genügt. Sie iſt daher auch nur erklär- bar als Gegenſatz gegen das umgekehrte Verhältniß, welches das Recht des achtzehnten Jahrhunderts bildete, und alle Geſetze in das Verord- nungsrecht aufgehen ließ. Ihre Verantwortlichkeit iſt nicht die lebendige der Verfaſſung, ſondern die privatrechtliche eines Mandatars. So ward ſie aufgefaßt, und auch benannt; aber es war ein leeres Wort. Die Unmöglichkeit der Sache war nicht geringer als die des entgegengeſetzten Zuſtandes im achtzehnten Jahrhundert. Kein Geſetz kann das Weſen der an ſich ſelbſtthätigen Vollziehung vernichten. Bald genug macht ſich dieſe geltend. Geſetzgebung und Vollziehung gerathen in Kampf; es entſteht die wunderbare Erſcheinung eines tiefen, faſt inſtinktmäßigen Haſſes beider gegeneinander. Dieſer Haß wird zur offenen Verfolgung;
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Princips. Der Wille überhaupt ſoll herrſchen, der Staatswille ſoll im
Staate herrſchen, das Geſetz iſt der Staatswille, es kann nichts über
dem Geſetze geben; die Volksvertretung iſt das herrſchende Organ des
Staatslebens. Alle Thätigkeiten müſſen daher dem Geſetz unterthan
ſein; ſie können keine Selbſtändigkeit gegenüber dem Geſetze haben; ſie
ſind Diener des Geſetzes. Die Vollziehung iſt daher nichts als eine
Aeußerung des Geſetzes; nur inſofern iſt ſie ſelbſtändig; ſie ſoll keinen
Willen für ſich haben; höchſtens darf ſie die Unmöglichkeit des Staats-
willens im Veto erklären. Damit hat das Staatsoberhaupt ſeinen
wahren Charakter verloren. Er iſt nicht mehr Staatsoberhaupt, ſon-
dern der ganze Staat hat ſich in die zwei Gewalten, die geſetzgebende
und die vollziehende geſchieden; das Staatsoberhaupt iſt nichts, als das
Haupt der vollziehenden Gewalt. Er darf eben ſo wenig
mehr ſein, als die That mehr ſein darf, als der Wille; er ſteht unbe-
dingt unter dem Willen, und dieſe Unterordnung formulirt ſich zum
Recht der Verantwortlichkeit. Die vollziehende Gewalt kann dieſen Ge-
horſam fordern, aber nicht im Namen des Staats, ſondern im Namen
des Geſetzes. An und für ſich iſt ſie rechtlos. Es gibt daher dem
öffentlich-rechtlichen Begriff nach nur noch reine Vollzugsverordnungen;
keine Verordnung kann das Recht des Geſetzes für ſich in Anſpruch
nehmen. Das iſt das Princip des franzöſiſchen Contrat social, zuerſt
zum geltenden Recht erhoben in Nordamerika, dann in der franzöſiſchen
Revolution, und im Jahre 1848 wieder in einigen romaniſchen Ver-
faſſungen anerkannt.
Offenbar enthält dieſe Auffaſſung den Widerſpruch, daß der Ver-
ordnungsgewalt damit das Recht genommen iſt, die Stelle des Geſetzes
da zu vertreten, wo das Geſetz nothwendig iſt, aber fehlt. Sie lähmt
den Staat, indem ſie jede Thätigkeit deſſelben von der Volksvertretung
abhängig macht; ſie iſt unerfüllbar, weil die Geſetzgebung den Auf-
gaben der Verwaltung nie ganz genügt. Sie iſt daher auch nur erklär-
bar als Gegenſatz gegen das umgekehrte Verhältniß, welches das Recht
des achtzehnten Jahrhunderts bildete, und alle Geſetze in das Verord-
nungsrecht aufgehen ließ. Ihre Verantwortlichkeit iſt nicht die lebendige
der Verfaſſung, ſondern die privatrechtliche eines Mandatars. So ward
ſie aufgefaßt, und auch benannt; aber es war ein leeres Wort. Die
Unmöglichkeit der Sache war nicht geringer als die des entgegengeſetzten
Zuſtandes im achtzehnten Jahrhundert. Kein Geſetz kann das Weſen
der an ſich ſelbſtthätigen Vollziehung vernichten. Bald genug macht
ſich dieſe geltend. Geſetzgebung und Vollziehung gerathen in Kampf;
es entſteht die wunderbare Erſcheinung eines tiefen, faſt inſtinktmäßigen
Haſſes beider gegeneinander. Dieſer Haß wird zur offenen Verfolgung;
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/87>, abgerufen am 21.11.2024.
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