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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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ihres Fortschrittes nicht mehr bloß in ihrer autokratischen Herrschaft und
auch nicht in der Festigkeit der ständischen Unterschiede finden, sondern
in der Entwicklung jedes einzelnen Staatsbürgers, nehmen sie jede
Kraft, welche diese fördert, gerne auf, und bereiten ihr selbst den Weg.
Darum ist, wie wir schon gesagt haben, die Epoche der staatsbürger-
lichen Gesellschaft die Epoche des Vereinswesens, und der Charakter
dieses Verhältnisses läßt sich nunmehr auch ziemlich leicht und klar
bestimmen. Dieser nun liegt wohl in folgenden Punkten.

Zuerst verbreitet sich das Vereinswesen mit der ihm eigenthüm-
lichen Gestaltung der vereinigten Kräfte über alle Gebiete der Ver-
waltung
. Es gibt gar keinen Theil derselben, in welchem das Ver-
einswesen nicht auf eine oder die andere Weise erschiene; denn in der
That ist ja das Wesen der staatsbürgerlichen Gesellschaft, daß sie vom
Staate seinem Begriffe nach die Verwirklichung derselben Aufgaben
fordert, die sie selbst ihren gesellschaftlichen Interessen nach wünschen
muß. Wie nun diese Aufgaben der Staatsverwaltung ihre Verschieden-
heiten zu einem organischen Systeme gestalten, so ergibt auch die, mit
jenen gleichen Schritt haltende Mannichfaltigkeit der Vereine ein inner-
lich durchsichtiges System, nur mit dem Unterschiede, daß jenes durch
die Organe und Thätigkeiten der Verwaltung erfüllt sein muß, während
dieses durch die Vereine und ihre Bewegung nur erfüllt sein kann.
In diesem Sinne kann man dann zwar von einem Organismus des
Vereinswesens reden; nur ist dieser Organismus hier nicht ein persön-
licher, sondern ein objektiver; das ist, die Ausfüllung und Verwirklichung
der einzelnen Theile des Systems beruhen nicht auf einem gegebenen
Willen wie der Organismus der amtlichen Verwaltung und sogar der
Selbstverwaltung, sondern auf dem freien Beschlusse des Einzelnen, und
sind daher nicht objektiv gewiß, sondern nur wünschenswerth. Aber
auch so bilden die Vereine, selbst in unvollkommener Entwicklung, einen
wesentlichen Theil des gesammten Verwaltungsorganismus, und stellen
sich in würdiger Weise neben den Organismus der Selbstverwaltung.
Denn wie das Gemeindewesen örtlich das ganze Land umfaßt, so um-
faßt das Vereinswesen sachlich die ganze Verwaltung; die Vereine treten
aus der Entfremdung von der Verwaltungsgewalt, in der sie sich noch
im Anfange dieses Jahrhunderts befinden, mehr und mehr heraus, und
verschmelzen mit derselben, anfangs mit einer gewissen Scheu und Un-
beholfenheit, in der das Gefühl einer traditionellen Feindschaft noch
eine Zeit lang sich erhält, bis endlich die Identität der Interessen sich
Bahn bricht und beide gemeinsam vorgehen. Und da ergibt sich dann
dasjenige, was wohl am meisten gerade den gegenwärtigen Standpunkt
des Vereinswesens in dieser Beziehung charakterisirt. In diesem gegen-

ihres Fortſchrittes nicht mehr bloß in ihrer autokratiſchen Herrſchaft und
auch nicht in der Feſtigkeit der ſtändiſchen Unterſchiede finden, ſondern
in der Entwicklung jedes einzelnen Staatsbürgers, nehmen ſie jede
Kraft, welche dieſe fördert, gerne auf, und bereiten ihr ſelbſt den Weg.
Darum iſt, wie wir ſchon geſagt haben, die Epoche der ſtaatsbürger-
lichen Geſellſchaft die Epoche des Vereinsweſens, und der Charakter
dieſes Verhältniſſes läßt ſich nunmehr auch ziemlich leicht und klar
beſtimmen. Dieſer nun liegt wohl in folgenden Punkten.

Zuerſt verbreitet ſich das Vereinsweſen mit der ihm eigenthüm-
lichen Geſtaltung der vereinigten Kräfte über alle Gebiete der Ver-
waltung
. Es gibt gar keinen Theil derſelben, in welchem das Ver-
einsweſen nicht auf eine oder die andere Weiſe erſchiene; denn in der
That iſt ja das Weſen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, daß ſie vom
Staate ſeinem Begriffe nach die Verwirklichung derſelben Aufgaben
fordert, die ſie ſelbſt ihren geſellſchaftlichen Intereſſen nach wünſchen
muß. Wie nun dieſe Aufgaben der Staatsverwaltung ihre Verſchieden-
heiten zu einem organiſchen Syſteme geſtalten, ſo ergibt auch die, mit
jenen gleichen Schritt haltende Mannichfaltigkeit der Vereine ein inner-
lich durchſichtiges Syſtem, nur mit dem Unterſchiede, daß jenes durch
die Organe und Thätigkeiten der Verwaltung erfüllt ſein muß, während
dieſes durch die Vereine und ihre Bewegung nur erfüllt ſein kann.
In dieſem Sinne kann man dann zwar von einem Organismus des
Vereinsweſens reden; nur iſt dieſer Organismus hier nicht ein perſön-
licher, ſondern ein objektiver; das iſt, die Ausfüllung und Verwirklichung
der einzelnen Theile des Syſtems beruhen nicht auf einem gegebenen
Willen wie der Organismus der amtlichen Verwaltung und ſogar der
Selbſtverwaltung, ſondern auf dem freien Beſchluſſe des Einzelnen, und
ſind daher nicht objektiv gewiß, ſondern nur wünſchenswerth. Aber
auch ſo bilden die Vereine, ſelbſt in unvollkommener Entwicklung, einen
weſentlichen Theil des geſammten Verwaltungsorganismus, und ſtellen
ſich in würdiger Weiſe neben den Organismus der Selbſtverwaltung.
Denn wie das Gemeindeweſen örtlich das ganze Land umfaßt, ſo um-
faßt das Vereinsweſen ſachlich die ganze Verwaltung; die Vereine treten
aus der Entfremdung von der Verwaltungsgewalt, in der ſie ſich noch
im Anfange dieſes Jahrhunderts befinden, mehr und mehr heraus, und
verſchmelzen mit derſelben, anfangs mit einer gewiſſen Scheu und Un-
beholfenheit, in der das Gefühl einer traditionellen Feindſchaft noch
eine Zeit lang ſich erhält, bis endlich die Identität der Intereſſen ſich
Bahn bricht und beide gemeinſam vorgehen. Und da ergibt ſich dann
dasjenige, was wohl am meiſten gerade den gegenwärtigen Standpunkt
des Vereinsweſens in dieſer Beziehung charakteriſirt. In dieſem gegen-

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[534/0558] ihres Fortſchrittes nicht mehr bloß in ihrer autokratiſchen Herrſchaft und auch nicht in der Feſtigkeit der ſtändiſchen Unterſchiede finden, ſondern in der Entwicklung jedes einzelnen Staatsbürgers, nehmen ſie jede Kraft, welche dieſe fördert, gerne auf, und bereiten ihr ſelbſt den Weg. Darum iſt, wie wir ſchon geſagt haben, die Epoche der ſtaatsbürger- lichen Geſellſchaft die Epoche des Vereinsweſens, und der Charakter dieſes Verhältniſſes läßt ſich nunmehr auch ziemlich leicht und klar beſtimmen. Dieſer nun liegt wohl in folgenden Punkten. Zuerſt verbreitet ſich das Vereinsweſen mit der ihm eigenthüm- lichen Geſtaltung der vereinigten Kräfte über alle Gebiete der Ver- waltung. Es gibt gar keinen Theil derſelben, in welchem das Ver- einsweſen nicht auf eine oder die andere Weiſe erſchiene; denn in der That iſt ja das Weſen der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, daß ſie vom Staate ſeinem Begriffe nach die Verwirklichung derſelben Aufgaben fordert, die ſie ſelbſt ihren geſellſchaftlichen Intereſſen nach wünſchen muß. Wie nun dieſe Aufgaben der Staatsverwaltung ihre Verſchieden- heiten zu einem organiſchen Syſteme geſtalten, ſo ergibt auch die, mit jenen gleichen Schritt haltende Mannichfaltigkeit der Vereine ein inner- lich durchſichtiges Syſtem, nur mit dem Unterſchiede, daß jenes durch die Organe und Thätigkeiten der Verwaltung erfüllt ſein muß, während dieſes durch die Vereine und ihre Bewegung nur erfüllt ſein kann. In dieſem Sinne kann man dann zwar von einem Organismus des Vereinsweſens reden; nur iſt dieſer Organismus hier nicht ein perſön- licher, ſondern ein objektiver; das iſt, die Ausfüllung und Verwirklichung der einzelnen Theile des Syſtems beruhen nicht auf einem gegebenen Willen wie der Organismus der amtlichen Verwaltung und ſogar der Selbſtverwaltung, ſondern auf dem freien Beſchluſſe des Einzelnen, und ſind daher nicht objektiv gewiß, ſondern nur wünſchenswerth. Aber auch ſo bilden die Vereine, ſelbſt in unvollkommener Entwicklung, einen weſentlichen Theil des geſammten Verwaltungsorganismus, und ſtellen ſich in würdiger Weiſe neben den Organismus der Selbſtverwaltung. Denn wie das Gemeindeweſen örtlich das ganze Land umfaßt, ſo um- faßt das Vereinsweſen ſachlich die ganze Verwaltung; die Vereine treten aus der Entfremdung von der Verwaltungsgewalt, in der ſie ſich noch im Anfange dieſes Jahrhunderts befinden, mehr und mehr heraus, und verſchmelzen mit derſelben, anfangs mit einer gewiſſen Scheu und Un- beholfenheit, in der das Gefühl einer traditionellen Feindſchaft noch eine Zeit lang ſich erhält, bis endlich die Identität der Intereſſen ſich Bahn bricht und beide gemeinſam vorgehen. Und da ergibt ſich dann dasjenige, was wohl am meiſten gerade den gegenwärtigen Standpunkt des Vereinsweſens in dieſer Beziehung charakteriſirt. In dieſem gegen-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/558>, abgerufen am 21.11.2024.