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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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einem gemeinschaftlichen Haupt ständen, und als Vollzugsorgane einer
Gesammtberathung erschienen, wie etwa die Magistrate unserer Städte.
Das Recht zur Bildung dieser Organe beruht ferner nicht etwa auf
einem Gesetze oder auf einer historischen Thatsache, wie bei Stadt und
Land des Continents, sondern auf dem historisch gültigen Princip, daß
die Mittel für die Erfüllung jener Thätigkeit durch Selbstbesteurung
aufgebracht werden. Daraus entsteht der, für die ganze Selbstverwal-
tung Englands gültige Grundsatz, daß jeder Verwaltungsaufgabe
eine eigene Steuer
entspricht, und daß jeder Selbstverwaltungs-
körper wieder als ein eigener Steuerkörper erscheint. Steuer
und Selbstverwaltung sind daher in England gar nicht zu trennen;
das Steuersystem ist zugleich das innere Verwaltungssystem, und das
Recht zur Theilnahme an der Wahl der Verwaltungskörper beruht auf
der Verpflichtung, für ihre Thätigkeit beizutragen. Es ist klar, daß
dadurch die innere Selbstverwaltung ein viel größeres Maaß von Selb-
ständigkeit hat, als auf dem Continent: allein es ist keine andere Ge-
währ für die tüchtige Verwaltung selbst vorhanden, als die lebendige
Theilnahme und Tüchtigkeit der Wähler selbst. Darin beruht ihr Werth
und darin auch ihre Gefahr.

Faßt man nun dieß zusammen, so sieht man wie die Selbstver-
waltung in England nicht bloß eine eigenthümliche Gestalt darbietet,
sondern auch einen ganz anderen Proceß zeigt wie auf dem Continent.
Vortrefflich hat dieß Toqueville in seiner Democratie de l'Amerique
dargestellt, indem er das Wesen der nordamerikanischen Selbstverwaltung
an die englische anschließt I. 93 ff. Die Thätigkeit der Selbstverwaltung
beruht hier nicht auf Befehl, Gebot und Genehmigung, sondern sie ist
eine Vollziehung eines Gesetzes, und steht unter dem Klagrecht; sie ist
keine amtliche, sondern eine persönliche; sie geschieht ohne Behörden, aber
sie ist dafür auch nur vom örtlichen Interesse beherrscht. Die schemati-
schen Grundzüge dieser Selbstverwaltung wären demnach etwa folgende:

[Tabelle]

einem gemeinſchaftlichen Haupt ſtänden, und als Vollzugsorgane einer
Geſammtberathung erſchienen, wie etwa die Magiſtrate unſerer Städte.
Das Recht zur Bildung dieſer Organe beruht ferner nicht etwa auf
einem Geſetze oder auf einer hiſtoriſchen Thatſache, wie bei Stadt und
Land des Continents, ſondern auf dem hiſtoriſch gültigen Princip, daß
die Mittel für die Erfüllung jener Thätigkeit durch Selbſtbeſteurung
aufgebracht werden. Daraus entſteht der, für die ganze Selbſtverwal-
tung Englands gültige Grundſatz, daß jeder Verwaltungsaufgabe
eine eigene Steuer
entſpricht, und daß jeder Selbſtverwaltungs-
körper wieder als ein eigener Steuerkörper erſcheint. Steuer
und Selbſtverwaltung ſind daher in England gar nicht zu trennen;
das Steuerſyſtem iſt zugleich das innere Verwaltungsſyſtem, und das
Recht zur Theilnahme an der Wahl der Verwaltungskörper beruht auf
der Verpflichtung, für ihre Thätigkeit beizutragen. Es iſt klar, daß
dadurch die innere Selbſtverwaltung ein viel größeres Maaß von Selb-
ſtändigkeit hat, als auf dem Continent: allein es iſt keine andere Ge-
währ für die tüchtige Verwaltung ſelbſt vorhanden, als die lebendige
Theilnahme und Tüchtigkeit der Wähler ſelbſt. Darin beruht ihr Werth
und darin auch ihre Gefahr.

Faßt man nun dieß zuſammen, ſo ſieht man wie die Selbſtver-
waltung in England nicht bloß eine eigenthümliche Geſtalt darbietet,
ſondern auch einen ganz anderen Proceß zeigt wie auf dem Continent.
Vortrefflich hat dieß Toqueville in ſeiner Démocratie de l’Amérique
dargeſtellt, indem er das Weſen der nordamerikaniſchen Selbſtverwaltung
an die engliſche anſchließt I. 93 ff. Die Thätigkeit der Selbſtverwaltung
beruht hier nicht auf Befehl, Gebot und Genehmigung, ſondern ſie iſt
eine Vollziehung eines Geſetzes, und ſteht unter dem Klagrecht; ſie iſt
keine amtliche, ſondern eine perſönliche; ſie geſchieht ohne Behörden, aber
ſie iſt dafür auch nur vom örtlichen Intereſſe beherrſcht. Die ſchemati-
ſchen Grundzüge dieſer Selbſtverwaltung wären demnach etwa folgende:

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[390/0414] einem gemeinſchaftlichen Haupt ſtänden, und als Vollzugsorgane einer Geſammtberathung erſchienen, wie etwa die Magiſtrate unſerer Städte. Das Recht zur Bildung dieſer Organe beruht ferner nicht etwa auf einem Geſetze oder auf einer hiſtoriſchen Thatſache, wie bei Stadt und Land des Continents, ſondern auf dem hiſtoriſch gültigen Princip, daß die Mittel für die Erfüllung jener Thätigkeit durch Selbſtbeſteurung aufgebracht werden. Daraus entſteht der, für die ganze Selbſtverwal- tung Englands gültige Grundſatz, daß jeder Verwaltungsaufgabe eine eigene Steuer entſpricht, und daß jeder Selbſtverwaltungs- körper wieder als ein eigener Steuerkörper erſcheint. Steuer und Selbſtverwaltung ſind daher in England gar nicht zu trennen; das Steuerſyſtem iſt zugleich das innere Verwaltungsſyſtem, und das Recht zur Theilnahme an der Wahl der Verwaltungskörper beruht auf der Verpflichtung, für ihre Thätigkeit beizutragen. Es iſt klar, daß dadurch die innere Selbſtverwaltung ein viel größeres Maaß von Selb- ſtändigkeit hat, als auf dem Continent: allein es iſt keine andere Ge- währ für die tüchtige Verwaltung ſelbſt vorhanden, als die lebendige Theilnahme und Tüchtigkeit der Wähler ſelbſt. Darin beruht ihr Werth und darin auch ihre Gefahr. Faßt man nun dieß zuſammen, ſo ſieht man wie die Selbſtver- waltung in England nicht bloß eine eigenthümliche Geſtalt darbietet, ſondern auch einen ganz anderen Proceß zeigt wie auf dem Continent. Vortrefflich hat dieß Toqueville in ſeiner Démocratie de l’Amérique dargeſtellt, indem er das Weſen der nordamerikaniſchen Selbſtverwaltung an die engliſche anſchließt I. 93 ff. Die Thätigkeit der Selbſtverwaltung beruht hier nicht auf Befehl, Gebot und Genehmigung, ſondern ſie iſt eine Vollziehung eines Geſetzes, und ſteht unter dem Klagrecht; ſie iſt keine amtliche, ſondern eine perſönliche; ſie geſchieht ohne Behörden, aber ſie iſt dafür auch nur vom örtlichen Intereſſe beherrſcht. Die ſchemati- ſchen Grundzüge dieſer Selbſtverwaltung wären demnach etwa folgende:

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/414>, abgerufen am 23.11.2024.