Inhalt der amtlichen Verwaltung haben. Sie unterscheiden sich wesent- lich von den Räthen des Continents dadurch, daß sie nicht etwa einem amtlichen Organe untergeordnet, sondern eigentlich selbst das amtliche Organ sind, und daher selbst für gewisse Gebiete die höchsten Stellen bilden. Es ist das Ganze im Grunde nichts anderes, als das Collegial- wesen, das den verfassungsmäßigen Ministern auf dem Continent vor- aufging (s. oben). Sie sind selbst wieder theils Unterabtheilungen des Staatsrathes, theils selbständige Räthe. Gneist hat uns zuerst ein klares Bild von diesen Verhältnissen gegeben. Wir werden sie sogleich aufführen.
Während nun auf diese Weise das erste Element der Selbstver- waltung, die Vertretungen, eine höchst eigenthümliche Gestalt haben, ist dieß nicht weniger der Fall mit dem zweiten Element, den Selbst- verwaltungskörpern.
Allerdings sehen wir auch hier die drei Grundformen herrschend hervortreten. Allein nicht bloß daß das, was wir die Landschaft nennen, in der County Englands und in dem Friedensgericht als Bezirk der Selbstverwaltung eine ganz andere Gestalt haben, auch die Gemeinde ist eine andere, während endlich die Körperschaft eine weit größere Selbständigkeit hat als auf dem Continent. Wir haben das spezielle Verhältniß derselben unten darzustellen. Es wird aber von nicht geringem Interesse sein, den allgemeinen Charakter dieser Körper schon hier als einen wesentlichen Beitrag zur Individualität Englands zu bezeichnen.
Die Selbstverwaltungskörper in England sind nämlich nicht wie in Frankreich aus dem Gedanken einer zweckmäßigen Organisation für die Zwecke der staatlichen Verwaltung entsprungen, und beruhen auch nicht wie in Deutschland in ihrem Umfang und Inhalt auf dem histo- rischen Recht auf Selbstverwaltung. Sondern, da die Staatsverwaltung für die innere Verwaltung nichts thut und rechtlich nichts thun darf, dennoch aber die Verwaltungsgesetze einerseits befolgt werden müssen, andererseits die Bedürfnisse nicht abzuweisen sind, so haben sich diese Selbstverwaltungskörper wesentlich an die Aufgaben der örtlichen Ver- waltung selbst angeschlossen, und bestehen daher nicht so sehr als örtlich, sondern vielmehr als sachlich berechtigte Organe; d. h. es sind lauter selbständige Selbstverwaltungsorgane entstanden, die nicht zusammen eine organische Einheit bilden, wie die Gemeinde in Deutsch- land, sondern für jede Aufgabe hat sich innerhalb der rein örtlichen, territorialen Gränzen von Landschaft und Gemeinde ein eigenes Organ durch Wahlen gebildet, welches aber deßhalb auch nicht an eine Gemeinde, oder an die County gebunden ist, sondern vielmehr seinen Wirkungskreis nach dem Bedarf der Verhältnisse entweder bei diesen stehen bleibt, oder die ganze Landschaft umfaßt, ohne daß diese Organe wieder unter
Inhalt der amtlichen Verwaltung haben. Sie unterſcheiden ſich weſent- lich von den Räthen des Continents dadurch, daß ſie nicht etwa einem amtlichen Organe untergeordnet, ſondern eigentlich ſelbſt das amtliche Organ ſind, und daher ſelbſt für gewiſſe Gebiete die höchſten Stellen bilden. Es iſt das Ganze im Grunde nichts anderes, als das Collegial- weſen, das den verfaſſungsmäßigen Miniſtern auf dem Continent vor- aufging (ſ. oben). Sie ſind ſelbſt wieder theils Unterabtheilungen des Staatsrathes, theils ſelbſtändige Räthe. Gneiſt hat uns zuerſt ein klares Bild von dieſen Verhältniſſen gegeben. Wir werden ſie ſogleich aufführen.
Während nun auf dieſe Weiſe das erſte Element der Selbſtver- waltung, die Vertretungen, eine höchſt eigenthümliche Geſtalt haben, iſt dieß nicht weniger der Fall mit dem zweiten Element, den Selbſt- verwaltungskörpern.
Allerdings ſehen wir auch hier die drei Grundformen herrſchend hervortreten. Allein nicht bloß daß das, was wir die Landſchaft nennen, in der County Englands und in dem Friedensgericht als Bezirk der Selbſtverwaltung eine ganz andere Geſtalt haben, auch die Gemeinde iſt eine andere, während endlich die Körperſchaft eine weit größere Selbſtändigkeit hat als auf dem Continent. Wir haben das ſpezielle Verhältniß derſelben unten darzuſtellen. Es wird aber von nicht geringem Intereſſe ſein, den allgemeinen Charakter dieſer Körper ſchon hier als einen weſentlichen Beitrag zur Individualität Englands zu bezeichnen.
Die Selbſtverwaltungskörper in England ſind nämlich nicht wie in Frankreich aus dem Gedanken einer zweckmäßigen Organiſation für die Zwecke der ſtaatlichen Verwaltung entſprungen, und beruhen auch nicht wie in Deutſchland in ihrem Umfang und Inhalt auf dem hiſto- riſchen Recht auf Selbſtverwaltung. Sondern, da die Staatsverwaltung für die innere Verwaltung nichts thut und rechtlich nichts thun darf, dennoch aber die Verwaltungsgeſetze einerſeits befolgt werden müſſen, andererſeits die Bedürfniſſe nicht abzuweiſen ſind, ſo haben ſich dieſe Selbſtverwaltungskörper weſentlich an die Aufgaben der örtlichen Ver- waltung ſelbſt angeſchloſſen, und beſtehen daher nicht ſo ſehr als örtlich, ſondern vielmehr als ſachlich berechtigte Organe; d. h. es ſind lauter ſelbſtändige Selbſtverwaltungsorgane entſtanden, die nicht zuſammen eine organiſche Einheit bilden, wie die Gemeinde in Deutſch- land, ſondern für jede Aufgabe hat ſich innerhalb der rein örtlichen, territorialen Gränzen von Landſchaft und Gemeinde ein eigenes Organ durch Wahlen gebildet, welches aber deßhalb auch nicht an eine Gemeinde, oder an die County gebunden iſt, ſondern vielmehr ſeinen Wirkungskreis nach dem Bedarf der Verhältniſſe entweder bei dieſen ſtehen bleibt, oder die ganze Landſchaft umfaßt, ohne daß dieſe Organe wieder unter
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Inhalt der amtlichen Verwaltung haben. Sie unterſcheiden ſich weſent-
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amtlichen Organe untergeordnet, ſondern eigentlich ſelbſt das amtliche
Organ ſind, und daher ſelbſt für gewiſſe Gebiete die höchſten Stellen
bilden. Es iſt das Ganze im Grunde nichts anderes, als das Collegial-
weſen, das den verfaſſungsmäßigen Miniſtern auf dem Continent vor-
aufging (ſ. oben). Sie ſind ſelbſt wieder theils Unterabtheilungen des
Staatsrathes, theils ſelbſtändige Räthe. Gneiſt hat uns zuerſt ein klares
Bild von dieſen Verhältniſſen gegeben. Wir werden ſie ſogleich aufführen.
Während nun auf dieſe Weiſe das erſte Element der Selbſtver-
waltung, die Vertretungen, eine höchſt eigenthümliche Geſtalt haben,
iſt dieß nicht weniger der Fall mit dem zweiten Element, den Selbſt-
verwaltungskörpern.
Allerdings ſehen wir auch hier die drei Grundformen herrſchend
hervortreten. Allein nicht bloß daß das, was wir die Landſchaft nennen,
in der County Englands und in dem Friedensgericht als Bezirk der
Selbſtverwaltung eine ganz andere Geſtalt haben, auch die Gemeinde
iſt eine andere, während endlich die Körperſchaft eine weit größere
Selbſtändigkeit hat als auf dem Continent. Wir haben das ſpezielle
Verhältniß derſelben unten darzuſtellen. Es wird aber von nicht geringem
Intereſſe ſein, den allgemeinen Charakter dieſer Körper ſchon hier als
einen weſentlichen Beitrag zur Individualität Englands zu bezeichnen.
Die Selbſtverwaltungskörper in England ſind nämlich nicht wie
in Frankreich aus dem Gedanken einer zweckmäßigen Organiſation für
die Zwecke der ſtaatlichen Verwaltung entſprungen, und beruhen auch
nicht wie in Deutſchland in ihrem Umfang und Inhalt auf dem hiſto-
riſchen Recht auf Selbſtverwaltung. Sondern, da die Staatsverwaltung
für die innere Verwaltung nichts thut und rechtlich nichts thun darf,
dennoch aber die Verwaltungsgeſetze einerſeits befolgt werden müſſen,
andererſeits die Bedürfniſſe nicht abzuweiſen ſind, ſo haben ſich dieſe
Selbſtverwaltungskörper weſentlich an die Aufgaben der örtlichen Ver-
waltung ſelbſt angeſchloſſen, und beſtehen daher nicht ſo ſehr als
örtlich, ſondern vielmehr als ſachlich berechtigte Organe; d. h. es
ſind lauter ſelbſtändige Selbſtverwaltungsorgane entſtanden, die nicht
zuſammen eine organiſche Einheit bilden, wie die Gemeinde in Deutſch-
land, ſondern für jede Aufgabe hat ſich innerhalb der rein örtlichen,
territorialen Gränzen von Landſchaft und Gemeinde ein eigenes Organ
durch Wahlen gebildet, welches aber deßhalb auch nicht an eine Gemeinde,
oder an die County gebunden iſt, ſondern vielmehr ſeinen Wirkungskreis
nach dem Bedarf der Verhältniſſe entweder bei dieſen ſtehen bleibt,
oder die ganze Landſchaft umfaßt, ohne daß dieſe Organe wieder unter
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/413>, abgerufen am 22.11.2024.
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