Verfassung den Staatsbürger zur Theilnahme am Willen des Staats zuläßt, so wird eine solche Theilnahme auch an der wirklichen Thätigkeit des Staats als die einfache Folgerung desselben Princips erscheinen. Diese Theilnahme an der Verwaltung macht aus derselben die freie Verwaltung; insofern sie sich aber auf örtlich oder sachlich begränzte und damit dauernde, in der Natur des Staats selbst liegende Auf- gaben der letzteren bezieht, heißt sie Selbstverwaltung. Und da nun die That des Staats selbst wieder theils als Wille, theils als wirkliche Ausführung erscheint, so zerfällt diese Selbstverwaltung in zwei Grund- formen. Sie kann erstlich sich bloß auf die Bildung des, der Voll- ziehung zu Grunde liegenden Willens beziehen, und sie kann zugleich die Ausführung mit umfassen. Denjenigen Organismus nun, vermöge dessen das Staatsbürgerthum an jener Bildung des vollziehenden Willens Theil nimmt, nennen wir die Vertretung; denjenigen da- gegen, vermöge dessen zugleich die wirkliche Ausführung der Theilnahme des Staatsbürgerthums örtlich zusteht, nennen wir die (eigentliche) Selbstverwaltung. Das Wesen aller Vertretung besteht daher in der Theilnahme an der Verordnungsgewalt, das Wesen aller eigentlichen Selbstverwaltung in der Theilnahme an der Ausführung, also speziell an der Organisations- und Polizeigewalt. Beide zugleich erfüllen den Begriff der Selbstverwaltung mit seinem concreten Inhalt. Wir können daher von einer Selbstverwaltung im weitesten Sinne reden, welche die Vertretungen mit umfaßt, und von der eigent- lichen Selbstverwaltung, die nur in den Selbstverwaltungskörpern erscheint. Es ist die Aufgabe des Folgenden, dieß genauer zu ent- wickeln. Mit diesen Grundformen aber und mit allen aus ihnen sich ergebenden weiteren Bildungen erscheint die Selbstverwaltung stets als ein organischer Theil des Staatslebens. Und als solcher fordert sie eine vorläufige Beachtung.
Das Obige ist, wie jede reine wissenschaftliche Definition, allerdings sehr einfach. Allein schon in ihm selber liegen die Elemente der unend- lichen Vielfältigkeit, die das wirkliche Leben gerade in diesem Gebiete weit mehr noch als in der amtlichen Organisation entwickelt.
Wir haben gezeigt, daß die Verordnungsgewalt die Organisation und die Polizei umfaßt; die Ausführung beider enthält daher umgekehrt auch eine gewisse Verordnungsgewalt. Es ist daher schon dem Wesen der Sache nach denkbar, daß die Vertretungen neben ihrer eigentlichen Aufgabe auch einen Theil der beiden andern enthalten können. Es ist auch möglich, daß einige Vertretungsformen es enthalten, andere nicht. Es ist möglich, daß jede Vertretungsform zugleich Selbstver- waltung ist. Es ist möglich, daß eine höchst verschiedene Gränze für
Verfaſſung den Staatsbürger zur Theilnahme am Willen des Staats zuläßt, ſo wird eine ſolche Theilnahme auch an der wirklichen Thätigkeit des Staats als die einfache Folgerung deſſelben Princips erſcheinen. Dieſe Theilnahme an der Verwaltung macht aus derſelben die freie Verwaltung; inſofern ſie ſich aber auf örtlich oder ſachlich begränzte und damit dauernde, in der Natur des Staats ſelbſt liegende Auf- gaben der letzteren bezieht, heißt ſie Selbſtverwaltung. Und da nun die That des Staats ſelbſt wieder theils als Wille, theils als wirkliche Ausführung erſcheint, ſo zerfällt dieſe Selbſtverwaltung in zwei Grund- formen. Sie kann erſtlich ſich bloß auf die Bildung des, der Voll- ziehung zu Grunde liegenden Willens beziehen, und ſie kann zugleich die Ausführung mit umfaſſen. Denjenigen Organismus nun, vermöge deſſen das Staatsbürgerthum an jener Bildung des vollziehenden Willens Theil nimmt, nennen wir die Vertretung; denjenigen da- gegen, vermöge deſſen zugleich die wirkliche Ausführung der Theilnahme des Staatsbürgerthums örtlich zuſteht, nennen wir die (eigentliche) Selbſtverwaltung. Das Weſen aller Vertretung beſteht daher in der Theilnahme an der Verordnungsgewalt, das Weſen aller eigentlichen Selbſtverwaltung in der Theilnahme an der Ausführung, alſo ſpeziell an der Organiſations- und Polizeigewalt. Beide zugleich erfüllen den Begriff der Selbſtverwaltung mit ſeinem concreten Inhalt. Wir können daher von einer Selbſtverwaltung im weiteſten Sinne reden, welche die Vertretungen mit umfaßt, und von der eigent- lichen Selbſtverwaltung, die nur in den Selbſtverwaltungskörpern erſcheint. Es iſt die Aufgabe des Folgenden, dieß genauer zu ent- wickeln. Mit dieſen Grundformen aber und mit allen aus ihnen ſich ergebenden weiteren Bildungen erſcheint die Selbſtverwaltung ſtets als ein organiſcher Theil des Staatslebens. Und als ſolcher fordert ſie eine vorläufige Beachtung.
Das Obige iſt, wie jede reine wiſſenſchaftliche Definition, allerdings ſehr einfach. Allein ſchon in ihm ſelber liegen die Elemente der unend- lichen Vielfältigkeit, die das wirkliche Leben gerade in dieſem Gebiete weit mehr noch als in der amtlichen Organiſation entwickelt.
Wir haben gezeigt, daß die Verordnungsgewalt die Organiſation und die Polizei umfaßt; die Ausführung beider enthält daher umgekehrt auch eine gewiſſe Verordnungsgewalt. Es iſt daher ſchon dem Weſen der Sache nach denkbar, daß die Vertretungen neben ihrer eigentlichen Aufgabe auch einen Theil der beiden andern enthalten können. Es iſt auch möglich, daß einige Vertretungsformen es enthalten, andere nicht. Es iſt möglich, daß jede Vertretungsform zugleich Selbſtver- waltung iſt. Es iſt möglich, daß eine höchſt verſchiedene Gränze für
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Verfaſſung den Staatsbürger zur Theilnahme am Willen des Staats
zuläßt, ſo wird eine ſolche Theilnahme auch an der wirklichen Thätigkeit
des Staats als die einfache Folgerung deſſelben Princips erſcheinen.
Dieſe Theilnahme an der Verwaltung macht aus derſelben die freie
Verwaltung; inſofern ſie ſich aber auf örtlich oder ſachlich begränzte
und damit dauernde, in der Natur des Staats ſelbſt liegende Auf-
gaben der letzteren bezieht, heißt ſie Selbſtverwaltung. Und da nun
die That des Staats ſelbſt wieder theils als Wille, theils als wirkliche
Ausführung erſcheint, ſo zerfällt dieſe Selbſtverwaltung in zwei Grund-
formen. Sie kann erſtlich ſich bloß auf die Bildung des, der Voll-
ziehung zu Grunde liegenden Willens beziehen, und ſie kann zugleich
die Ausführung mit umfaſſen. Denjenigen Organismus nun, vermöge
deſſen das Staatsbürgerthum an jener Bildung des vollziehenden
Willens Theil nimmt, nennen wir die Vertretung; denjenigen da-
gegen, vermöge deſſen zugleich die wirkliche Ausführung der Theilnahme
des Staatsbürgerthums örtlich zuſteht, nennen wir die (eigentliche)
Selbſtverwaltung. Das Weſen aller Vertretung beſteht daher in
der Theilnahme an der Verordnungsgewalt, das Weſen aller
eigentlichen Selbſtverwaltung in der Theilnahme an der Ausführung,
alſo ſpeziell an der Organiſations- und Polizeigewalt. Beide
zugleich erfüllen den Begriff der Selbſtverwaltung mit ſeinem concreten
Inhalt. Wir können daher von einer Selbſtverwaltung im weiteſten
Sinne reden, welche die Vertretungen mit umfaßt, und von der eigent-
lichen Selbſtverwaltung, die nur in den Selbſtverwaltungskörpern
erſcheint. Es iſt die Aufgabe des Folgenden, dieß genauer zu ent-
wickeln. Mit dieſen Grundformen aber und mit allen aus ihnen ſich
ergebenden weiteren Bildungen erſcheint die Selbſtverwaltung ſtets als
ein organiſcher Theil des Staatslebens. Und als ſolcher fordert ſie
eine vorläufige Beachtung.
Das Obige iſt, wie jede reine wiſſenſchaftliche Definition, allerdings
ſehr einfach. Allein ſchon in ihm ſelber liegen die Elemente der unend-
lichen Vielfältigkeit, die das wirkliche Leben gerade in dieſem Gebiete
weit mehr noch als in der amtlichen Organiſation entwickelt.
Wir haben gezeigt, daß die Verordnungsgewalt die Organiſation
und die Polizei umfaßt; die Ausführung beider enthält daher umgekehrt
auch eine gewiſſe Verordnungsgewalt. Es iſt daher ſchon dem Weſen
der Sache nach denkbar, daß die Vertretungen neben ihrer eigentlichen
Aufgabe auch einen Theil der beiden andern enthalten können. Es
iſt auch möglich, daß einige Vertretungsformen es enthalten, andere
nicht. Es iſt möglich, daß jede Vertretungsform zugleich Selbſtver-
waltung iſt. Es iſt möglich, daß eine höchſt verſchiedene Gränze für
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/390>, abgerufen am 24.11.2024.
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