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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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eine ganz bestimmte, wenn auch eine höchst großartige Form derselben,
die englische, als die eigentliche Selbstverwaltung betrachtet und be-
zeichnet hat, und dadurch zu der Vorstellung gekommen ist, als ob
einerseits kein anderes Volk eine Selbstverwaltung habe, andererseits
die höchste Entwicklung der letzteren nur in der Form Englands bestehen
könne. Geht man aber einen Schritt weiter, so erkennt man leicht,
daß jener Begriff nicht bloß ein viel allgemeinerer, sondern vielmehr ein
organischer ist. Es ist vielmehr wahr, daß jedes Land und jede Zeit
seine Art und sein Recht dieser Selbstverwaltung hat. Aber alle diese
höchst verschiedenen Formen haben dennoch zunächst ganz gleichartige
Grundlagen, auf welche man alle jene Besonderheiten zurückführen muß,
um sie verstehen zu können. Diese nun aufzustellen ist unsere erste
Aufgabe. Und erst daran können wir dann das Bild desjenigen an-
schließen, was wir die Individualität in der Selbstverwaltung nennen.
Diese aber gehört zu den reichsten und interessantesten Gebieten der
Staatswissenschaft. Vielleicht, daß es dem Folgenden Gelingt, ihr ihren
Platz in der letztern dauernd zu gewinnen.

II. Das organische Wesen der Selbstverwaltung.

Will man die Selbstverwaltung in dem oben aufgestellten Sinne
und in ihrer Individualität verstehen, so muß man allerdings sich
wieder das gesammte Bild des organischen Staatslebens vergegenwärti-
gen. Denn das Wesen derselben und ihre allgemein gültigen Grund-
lagen gehören eben nicht einer einzelnen Institution, sondern dem Begriffe
des Staats selber an.

Wir haben im Staate den Willen desselben von seiner That
geschieden, und diejenige Organisation, durch welche der erstere unter
Mitwirkung der Staatsbürger zum Gesetze wird, die Verfassung genannt.
Wir haben aber in dem Begriffe der That wieder den auf die äußere
Vollziehung gerichteten Willen von dieser wirklichen thatsächlichen Aus-
führung unterscheiden müssen. Wir haben diesen Willen der That als
die Verordnung bezeichnet, gegenüber dem Gesetze, als dem reinen
Willen. Wir haben das Wesen der Verordnung darin gesetzt, daß sie
die gegebenen Verhältnisse des wirklichen Lebens in den Willen des
Gesetzes aufnimmt und sie mit dem letzten vermittelt. Die Verordnung
ist die vollziehende Gewalt als Wille; und eben dieser Wille, der das
individuelle Leben der Staatsbürger erfaßt und bestimmt, erscheint zu-
nächst als selbständig persönlicher in der Organisation der Regierung,
dem Amtsorganismus, wie auch die wirkliche Vollziehung zunächst von
ihr ausgeht. So wie aber das Princip des Staatsbürgerthums in der

eine ganz beſtimmte, wenn auch eine höchſt großartige Form derſelben,
die engliſche, als die eigentliche Selbſtverwaltung betrachtet und be-
zeichnet hat, und dadurch zu der Vorſtellung gekommen iſt, als ob
einerſeits kein anderes Volk eine Selbſtverwaltung habe, andererſeits
die höchſte Entwicklung der letzteren nur in der Form Englands beſtehen
könne. Geht man aber einen Schritt weiter, ſo erkennt man leicht,
daß jener Begriff nicht bloß ein viel allgemeinerer, ſondern vielmehr ein
organiſcher iſt. Es iſt vielmehr wahr, daß jedes Land und jede Zeit
ſeine Art und ſein Recht dieſer Selbſtverwaltung hat. Aber alle dieſe
höchſt verſchiedenen Formen haben dennoch zunächſt ganz gleichartige
Grundlagen, auf welche man alle jene Beſonderheiten zurückführen muß,
um ſie verſtehen zu können. Dieſe nun aufzuſtellen iſt unſere erſte
Aufgabe. Und erſt daran können wir dann das Bild desjenigen an-
ſchließen, was wir die Individualität in der Selbſtverwaltung nennen.
Dieſe aber gehört zu den reichſten und intereſſanteſten Gebieten der
Staatswiſſenſchaft. Vielleicht, daß es dem Folgenden Gelingt, ihr ihren
Platz in der letztern dauernd zu gewinnen.

II. Das organiſche Weſen der Selbſtverwaltung.

Will man die Selbſtverwaltung in dem oben aufgeſtellten Sinne
und in ihrer Individualität verſtehen, ſo muß man allerdings ſich
wieder das geſammte Bild des organiſchen Staatslebens vergegenwärti-
gen. Denn das Weſen derſelben und ihre allgemein gültigen Grund-
lagen gehören eben nicht einer einzelnen Inſtitution, ſondern dem Begriffe
des Staats ſelber an.

Wir haben im Staate den Willen deſſelben von ſeiner That
geſchieden, und diejenige Organiſation, durch welche der erſtere unter
Mitwirkung der Staatsbürger zum Geſetze wird, die Verfaſſung genannt.
Wir haben aber in dem Begriffe der That wieder den auf die äußere
Vollziehung gerichteten Willen von dieſer wirklichen thatſächlichen Aus-
führung unterſcheiden müſſen. Wir haben dieſen Willen der That als
die Verordnung bezeichnet, gegenüber dem Geſetze, als dem reinen
Willen. Wir haben das Weſen der Verordnung darin geſetzt, daß ſie
die gegebenen Verhältniſſe des wirklichen Lebens in den Willen des
Geſetzes aufnimmt und ſie mit dem letzten vermittelt. Die Verordnung
iſt die vollziehende Gewalt als Wille; und eben dieſer Wille, der das
individuelle Leben der Staatsbürger erfaßt und beſtimmt, erſcheint zu-
nächſt als ſelbſtändig perſönlicher in der Organiſation der Regierung,
dem Amtsorganismus, wie auch die wirkliche Vollziehung zunächſt von
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[365/0389] eine ganz beſtimmte, wenn auch eine höchſt großartige Form derſelben, die engliſche, als die eigentliche Selbſtverwaltung betrachtet und be- zeichnet hat, und dadurch zu der Vorſtellung gekommen iſt, als ob einerſeits kein anderes Volk eine Selbſtverwaltung habe, andererſeits die höchſte Entwicklung der letzteren nur in der Form Englands beſtehen könne. Geht man aber einen Schritt weiter, ſo erkennt man leicht, daß jener Begriff nicht bloß ein viel allgemeinerer, ſondern vielmehr ein organiſcher iſt. Es iſt vielmehr wahr, daß jedes Land und jede Zeit ſeine Art und ſein Recht dieſer Selbſtverwaltung hat. Aber alle dieſe höchſt verſchiedenen Formen haben dennoch zunächſt ganz gleichartige Grundlagen, auf welche man alle jene Beſonderheiten zurückführen muß, um ſie verſtehen zu können. Dieſe nun aufzuſtellen iſt unſere erſte Aufgabe. Und erſt daran können wir dann das Bild desjenigen an- ſchließen, was wir die Individualität in der Selbſtverwaltung nennen. Dieſe aber gehört zu den reichſten und intereſſanteſten Gebieten der Staatswiſſenſchaft. Vielleicht, daß es dem Folgenden Gelingt, ihr ihren Platz in der letztern dauernd zu gewinnen. II. Das organiſche Weſen der Selbſtverwaltung. Will man die Selbſtverwaltung in dem oben aufgeſtellten Sinne und in ihrer Individualität verſtehen, ſo muß man allerdings ſich wieder das geſammte Bild des organiſchen Staatslebens vergegenwärti- gen. Denn das Weſen derſelben und ihre allgemein gültigen Grund- lagen gehören eben nicht einer einzelnen Inſtitution, ſondern dem Begriffe des Staats ſelber an. Wir haben im Staate den Willen deſſelben von ſeiner That geſchieden, und diejenige Organiſation, durch welche der erſtere unter Mitwirkung der Staatsbürger zum Geſetze wird, die Verfaſſung genannt. Wir haben aber in dem Begriffe der That wieder den auf die äußere Vollziehung gerichteten Willen von dieſer wirklichen thatſächlichen Aus- führung unterſcheiden müſſen. Wir haben dieſen Willen der That als die Verordnung bezeichnet, gegenüber dem Geſetze, als dem reinen Willen. Wir haben das Weſen der Verordnung darin geſetzt, daß ſie die gegebenen Verhältniſſe des wirklichen Lebens in den Willen des Geſetzes aufnimmt und ſie mit dem letzten vermittelt. Die Verordnung iſt die vollziehende Gewalt als Wille; und eben dieſer Wille, der das individuelle Leben der Staatsbürger erfaßt und beſtimmt, erſcheint zu- nächſt als ſelbſtändig perſönlicher in der Organiſation der Regierung, dem Amtsorganismus, wie auch die wirkliche Vollziehung zunächſt von ihr ausgeht. So wie aber das Princip des Staatsbürgerthums in der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/389>, abgerufen am 24.11.2024.