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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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daß diese Verschiedenheit selber wieder ihren tiefern Grund in der orga-
nischen Stellung der Staatsidee selber hat. Die Vergleichung des Staats-
dienerrechts ist gerade darum so belehrend, weil sie eben gar nicht ohne
ein Zurückgehen auf die tieferen Unterschiede des Staatslebens möglich
ist. Wir können hier nur bemerken, daß auf diesem Gebiete nur noch
ein erster großer Versuch von Gneist vorliegt. Im Uebrigen ist noch
alles zu schaffen.

Vielleicht gibt es gar keinen Theil des öffentlichen Rechts, in welchem der
Unterschied zwischen den drei großen Kulturvölkern, den wir auch hier als Aus-
gangspunkt weiterer Vergleichung zum Grunde legen, so schlagend hervortritt,
als gerade im Gebiete des Staatsdienerrechts. England hat eigentlich gar kein
Staatsdienerrecht, Frankreich hat nur Staatsdienerverpflichtungen, und erst
Deutschland ist die Heimath eines organisch gestalteten und ethisch so hoch
stehenden Beamtenthums, daß dasselbe, wie wir unbedenklich zur Ehre dieses
so vielfach angegriffenen Standes behaupten, mit keinem andern der Welt zu
vergleichen ist.

In England ist der Beamtete unter der Herrschaft des Gegensatzes zwischen
der königlichen und Selbstverwaltung, der als Rest der ständischen Epoche übrig
geblieben ist, der Form nach Diener nicht des Staats, sondern des Königs,
dem Inhalte nach Diener der herrschenden Partei. Es gibt daher keine Staats-
diener im deutschen Sinne des Worts, und selbst die englische Sprache ist
unfähig, das Wort "Beamteter" zu übersetzen. Es gibt daher in England auch
keinen Beruf zum Amt, keine Vorbildung, kein Staatsdienerrecht. Den tiefen
organischen Mangel des englischen Staatslebens, der darin liegt, hat das
englische Volk allerdings durch die Entwicklung der Selbstverwaltung und der
edlen Eigenschaften, auf welchen dieselbe beruht, ausgeglichen; aber es hat die
üblen Folgen desselben innerhalb der Gebiete, in welchem die organische Natur
des Staatslebens ein Amt nothwendig fordert, natürlich nicht ausgleichen
können. Die eigentliche Amtsverwaltung ist daher hier eben so schlecht, als
die Selbstverwaltung gut ist; und das hat für das übrige Europa die Meinung
erzeugt, als könne man überhaupt das Amt durch die Selbstverwaltung er-
setzen. Dennoch macht sich auch in England das Bedürfniß nach einem organi-
schen Staatsdienerrecht geltend, und es wird die Zeit kommen, wo selbst die
Interessen der Parteiherrschaft sich dieser Forderung beugen werden (s. unten).

In Frankreich ist der Beamtete theils durch den Charakter des Volkes,
theils aber auch durch das Princip der strengen, individuellen, administrativen
Verantwortlichkeit der Minister nichts als der Diener der Verwaltung. Die
letztere stellt die Forderung des unbedingten amtlichen Gehorsams, welcher dem
Amt seine Selbständigkeit gegenüber der höheren Gewalt principiell abspricht,
und die Natur des Volkscharakters macht die Erfüllung dieser Forderung in
allen einzelnen Aemtern möglich. Nirgends ist daher die Befolgung der Be-
fehle, die spezielle Amtsführung, besser und verständiger, als in Frankreich;
aber nirgends ist auch die Abhängigkeit der einzelnen Beamteten von einem solchen
Befehle, ohne Rücksicht auf seinen administrativen Werth, größer, als hier.

daß dieſe Verſchiedenheit ſelber wieder ihren tiefern Grund in der orga-
niſchen Stellung der Staatsidee ſelber hat. Die Vergleichung des Staats-
dienerrechts iſt gerade darum ſo belehrend, weil ſie eben gar nicht ohne
ein Zurückgehen auf die tieferen Unterſchiede des Staatslebens möglich
iſt. Wir können hier nur bemerken, daß auf dieſem Gebiete nur noch
ein erſter großer Verſuch von Gneiſt vorliegt. Im Uebrigen iſt noch
alles zu ſchaffen.

Vielleicht gibt es gar keinen Theil des öffentlichen Rechts, in welchem der
Unterſchied zwiſchen den drei großen Kulturvölkern, den wir auch hier als Aus-
gangspunkt weiterer Vergleichung zum Grunde legen, ſo ſchlagend hervortritt,
als gerade im Gebiete des Staatsdienerrechts. England hat eigentlich gar kein
Staatsdienerrecht, Frankreich hat nur Staatsdienerverpflichtungen, und erſt
Deutſchland iſt die Heimath eines organiſch geſtalteten und ethiſch ſo hoch
ſtehenden Beamtenthums, daß daſſelbe, wie wir unbedenklich zur Ehre dieſes
ſo vielfach angegriffenen Standes behaupten, mit keinem andern der Welt zu
vergleichen iſt.

In England iſt der Beamtete unter der Herrſchaft des Gegenſatzes zwiſchen
der königlichen und Selbſtverwaltung, der als Reſt der ſtändiſchen Epoche übrig
geblieben iſt, der Form nach Diener nicht des Staats, ſondern des Königs,
dem Inhalte nach Diener der herrſchenden Partei. Es gibt daher keine Staats-
diener im deutſchen Sinne des Worts, und ſelbſt die engliſche Sprache iſt
unfähig, das Wort „Beamteter“ zu überſetzen. Es gibt daher in England auch
keinen Beruf zum Amt, keine Vorbildung, kein Staatsdienerrecht. Den tiefen
organiſchen Mangel des engliſchen Staatslebens, der darin liegt, hat das
engliſche Volk allerdings durch die Entwicklung der Selbſtverwaltung und der
edlen Eigenſchaften, auf welchen dieſelbe beruht, ausgeglichen; aber es hat die
üblen Folgen deſſelben innerhalb der Gebiete, in welchem die organiſche Natur
des Staatslebens ein Amt nothwendig fordert, natürlich nicht ausgleichen
können. Die eigentliche Amtsverwaltung iſt daher hier eben ſo ſchlecht, als
die Selbſtverwaltung gut iſt; und das hat für das übrige Europa die Meinung
erzeugt, als könne man überhaupt das Amt durch die Selbſtverwaltung er-
ſetzen. Dennoch macht ſich auch in England das Bedürfniß nach einem organi-
ſchen Staatsdienerrecht geltend, und es wird die Zeit kommen, wo ſelbſt die
Intereſſen der Parteiherrſchaft ſich dieſer Forderung beugen werden (ſ. unten).

In Frankreich iſt der Beamtete theils durch den Charakter des Volkes,
theils aber auch durch das Princip der ſtrengen, individuellen, adminiſtrativen
Verantwortlichkeit der Miniſter nichts als der Diener der Verwaltung. Die
letztere ſtellt die Forderung des unbedingten amtlichen Gehorſams, welcher dem
Amt ſeine Selbſtändigkeit gegenüber der höheren Gewalt principiell abſpricht,
und die Natur des Volkscharakters macht die Erfüllung dieſer Forderung in
allen einzelnen Aemtern möglich. Nirgends iſt daher die Befolgung der Be-
fehle, die ſpezielle Amtsführung, beſſer und verſtändiger, als in Frankreich;
aber nirgends iſt auch die Abhängigkeit der einzelnen Beamteten von einem ſolchen
Befehle, ohne Rückſicht auf ſeinen adminiſtrativen Werth, größer, als hier.

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[347/0371] daß dieſe Verſchiedenheit ſelber wieder ihren tiefern Grund in der orga- niſchen Stellung der Staatsidee ſelber hat. Die Vergleichung des Staats- dienerrechts iſt gerade darum ſo belehrend, weil ſie eben gar nicht ohne ein Zurückgehen auf die tieferen Unterſchiede des Staatslebens möglich iſt. Wir können hier nur bemerken, daß auf dieſem Gebiete nur noch ein erſter großer Verſuch von Gneiſt vorliegt. Im Uebrigen iſt noch alles zu ſchaffen. Vielleicht gibt es gar keinen Theil des öffentlichen Rechts, in welchem der Unterſchied zwiſchen den drei großen Kulturvölkern, den wir auch hier als Aus- gangspunkt weiterer Vergleichung zum Grunde legen, ſo ſchlagend hervortritt, als gerade im Gebiete des Staatsdienerrechts. England hat eigentlich gar kein Staatsdienerrecht, Frankreich hat nur Staatsdienerverpflichtungen, und erſt Deutſchland iſt die Heimath eines organiſch geſtalteten und ethiſch ſo hoch ſtehenden Beamtenthums, daß daſſelbe, wie wir unbedenklich zur Ehre dieſes ſo vielfach angegriffenen Standes behaupten, mit keinem andern der Welt zu vergleichen iſt. In England iſt der Beamtete unter der Herrſchaft des Gegenſatzes zwiſchen der königlichen und Selbſtverwaltung, der als Reſt der ſtändiſchen Epoche übrig geblieben iſt, der Form nach Diener nicht des Staats, ſondern des Königs, dem Inhalte nach Diener der herrſchenden Partei. Es gibt daher keine Staats- diener im deutſchen Sinne des Worts, und ſelbſt die engliſche Sprache iſt unfähig, das Wort „Beamteter“ zu überſetzen. Es gibt daher in England auch keinen Beruf zum Amt, keine Vorbildung, kein Staatsdienerrecht. Den tiefen organiſchen Mangel des engliſchen Staatslebens, der darin liegt, hat das engliſche Volk allerdings durch die Entwicklung der Selbſtverwaltung und der edlen Eigenſchaften, auf welchen dieſelbe beruht, ausgeglichen; aber es hat die üblen Folgen deſſelben innerhalb der Gebiete, in welchem die organiſche Natur des Staatslebens ein Amt nothwendig fordert, natürlich nicht ausgleichen können. Die eigentliche Amtsverwaltung iſt daher hier eben ſo ſchlecht, als die Selbſtverwaltung gut iſt; und das hat für das übrige Europa die Meinung erzeugt, als könne man überhaupt das Amt durch die Selbſtverwaltung er- ſetzen. Dennoch macht ſich auch in England das Bedürfniß nach einem organi- ſchen Staatsdienerrecht geltend, und es wird die Zeit kommen, wo ſelbſt die Intereſſen der Parteiherrſchaft ſich dieſer Forderung beugen werden (ſ. unten). In Frankreich iſt der Beamtete theils durch den Charakter des Volkes, theils aber auch durch das Princip der ſtrengen, individuellen, adminiſtrativen Verantwortlichkeit der Miniſter nichts als der Diener der Verwaltung. Die letztere ſtellt die Forderung des unbedingten amtlichen Gehorſams, welcher dem Amt ſeine Selbſtändigkeit gegenüber der höheren Gewalt principiell abſpricht, und die Natur des Volkscharakters macht die Erfüllung dieſer Forderung in allen einzelnen Aemtern möglich. Nirgends iſt daher die Befolgung der Be- fehle, die ſpezielle Amtsführung, beſſer und verſtändiger, als in Frankreich; aber nirgends iſt auch die Abhängigkeit der einzelnen Beamteten von einem ſolchen Befehle, ohne Rückſicht auf ſeinen adminiſtrativen Werth, größer, als hier.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/371>, abgerufen am 22.11.2024.