Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

des Privatrechts, namentlich des Mandats, mit der durch das Wesen
desselben gegebenen und berechtigten individuellen Willkür denn doch in
einem tiefen Widerspruche stehen. Man mühte sich ab, in jenem prin-
cipiell privatrechtlichen Verhältniß ein Moment zu finden, welches jener
Willkür des Mandanten, des Königs, eine Gränze setzt; aber da man
nach der streng juristischen Bildung in allen innern Staatsangelegen-
heiten bei der juristischen Formulirung stehen blieb, so behielt das Recht
des Beamteten immer den Charakter eines Dienstvertrages zwischen
Königthum und Beamten, der alle Rechtsfragen beherrscht. Der Be-
amtete ist und bleibt ein persönlicher Diener des Königs, der ihn wie
jeden andern Mandatar, beliebig anstellen und entlassen kann, und
der dem persönlichen, individuellen Willen des Königs unbedingt ge-
horchen muß.

Erst mit dem Auftreten der staatsbürgerlichen Gesellschaft und ihres
staatsrechtlichen Princips ändert sich auch principiell das Wesen des
Amts und damit der Grundgedanke für das Staatsdienerrecht. Der
Gegensatz zwischen dem Rechte der königlichen und der ständischen Ver-
waltung verschwindet; es gibt nur noch eine Verwaltung des Staats,
und der Beamtete ist damit Diener des Staats. In diesem Ver-
hältniß wird das Recht dieses Staatsdieners seinen Inhalt nicht mehr
aus dem individuellen und willkürlichen Willen des Staatsoberhaupts,
sondern vielmehr aus dem Wesen des Amts empfangen. Und dieß
wird dadurch die wahre Quelle desjenigen Rechts, welches wir das
Staatsdienerrecht nennen. Ja man kann sagen, daß das Streben, dieß
Staatsdienerrecht so genau und klar als möglich darzustellen, der wich-
tigste Anlaß zum Verständniß des Wesens des Amts werden mußte;
denn in der That müssen selbst die positiven Gesetze über das erstere
ihren Grund und ja zum großen Theil auch ihre Interpretation in
diesem Wesen des Amts finden. Wirklich wendet sich auch mit dem
Auftreten des obigen Grundsatzes die Theorie dem Staatsdienerrechte
zu. Allein eine Reihe von Gründen haben es bewirkt, daß die Theorie
noch vorwaltend bei dem Standpunkte des positiven Rechtes stehen blieb;
zum Theil weil man dem Wesen des Amts nicht die Kraft zutraute,
eine Grundlage des positiven Rechtes zu bilden; dennoch ist das Verhält-
niß klar, und wir werden es auf seine einfachsten Elemente zurückführen.

Die staatsbürgerliche Gesellschaft ist die Schöpferin des eigentlichen
Amts, indem sie das allgemeine Interesse selbständig neben und über
das Einzelinteresse stellt, und das Amt zum selbständigen und dauernden
Organ des ersteren macht. Soll das Amt diese Stellung erfüllen, so
muß es zwei Dinge leisten. Es muß erstlich die genaue Kunde und
das richtige Verständniß der allgemeinen Interessen enthalten, und es

des Privatrechts, namentlich des Mandats, mit der durch das Weſen
deſſelben gegebenen und berechtigten individuellen Willkür denn doch in
einem tiefen Widerſpruche ſtehen. Man mühte ſich ab, in jenem prin-
cipiell privatrechtlichen Verhältniß ein Moment zu finden, welches jener
Willkür des Mandanten, des Königs, eine Gränze ſetzt; aber da man
nach der ſtreng juriſtiſchen Bildung in allen innern Staatsangelegen-
heiten bei der juriſtiſchen Formulirung ſtehen blieb, ſo behielt das Recht
des Beamteten immer den Charakter eines Dienſtvertrages zwiſchen
Königthum und Beamten, der alle Rechtsfragen beherrſcht. Der Be-
amtete iſt und bleibt ein perſönlicher Diener des Königs, der ihn wie
jeden andern Mandatar, beliebig anſtellen und entlaſſen kann, und
der dem perſönlichen, individuellen Willen des Königs unbedingt ge-
horchen muß.

Erſt mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und ihres
ſtaatsrechtlichen Princips ändert ſich auch principiell das Weſen des
Amts und damit der Grundgedanke für das Staatsdienerrecht. Der
Gegenſatz zwiſchen dem Rechte der königlichen und der ſtändiſchen Ver-
waltung verſchwindet; es gibt nur noch eine Verwaltung des Staats,
und der Beamtete iſt damit Diener des Staats. In dieſem Ver-
hältniß wird das Recht dieſes Staatsdieners ſeinen Inhalt nicht mehr
aus dem individuellen und willkürlichen Willen des Staatsoberhaupts,
ſondern vielmehr aus dem Weſen des Amts empfangen. Und dieß
wird dadurch die wahre Quelle desjenigen Rechts, welches wir das
Staatsdienerrecht nennen. Ja man kann ſagen, daß das Streben, dieß
Staatsdienerrecht ſo genau und klar als möglich darzuſtellen, der wich-
tigſte Anlaß zum Verſtändniß des Weſens des Amts werden mußte;
denn in der That müſſen ſelbſt die poſitiven Geſetze über das erſtere
ihren Grund und ja zum großen Theil auch ihre Interpretation in
dieſem Weſen des Amts finden. Wirklich wendet ſich auch mit dem
Auftreten des obigen Grundſatzes die Theorie dem Staatsdienerrechte
zu. Allein eine Reihe von Gründen haben es bewirkt, daß die Theorie
noch vorwaltend bei dem Standpunkte des poſitiven Rechtes ſtehen blieb;
zum Theil weil man dem Weſen des Amts nicht die Kraft zutraute,
eine Grundlage des poſitiven Rechtes zu bilden; dennoch iſt das Verhält-
niß klar, und wir werden es auf ſeine einfachſten Elemente zurückführen.

Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft iſt die Schöpferin des eigentlichen
Amts, indem ſie das allgemeine Intereſſe ſelbſtändig neben und über
das Einzelintereſſe ſtellt, und das Amt zum ſelbſtändigen und dauernden
Organ des erſteren macht. Soll das Amt dieſe Stellung erfüllen, ſo
muß es zwei Dinge leiſten. Es muß erſtlich die genaue Kunde und
das richtige Verſtändniß der allgemeinen Intereſſen enthalten, und es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0368" n="344"/>
des Privatrechts, namentlich des Mandats, mit der durch das We&#x017F;en<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben gegebenen und berechtigten individuellen Willkür denn doch in<lb/>
einem tiefen Wider&#x017F;pruche &#x017F;tehen. Man mühte &#x017F;ich ab, in jenem prin-<lb/>
cipiell privatrechtlichen Verhältniß ein Moment zu finden, welches jener<lb/>
Willkür des Mandanten, des Königs, eine Gränze &#x017F;etzt; aber da man<lb/>
nach der &#x017F;treng juri&#x017F;ti&#x017F;chen Bildung in allen innern Staatsangelegen-<lb/>
heiten bei der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Formulirung &#x017F;tehen blieb, &#x017F;o behielt das Recht<lb/>
des Beamteten immer den Charakter eines <hi rendition="#g">Dien&#x017F;tvertrages</hi> zwi&#x017F;chen<lb/>
Königthum und Beamten, der alle Rechtsfragen beherr&#x017F;cht. Der Be-<lb/>
amtete i&#x017F;t und bleibt ein per&#x017F;önlicher Diener des Königs, der ihn wie<lb/>
jeden andern Mandatar, beliebig an&#x017F;tellen und entla&#x017F;&#x017F;en kann, und<lb/>
der dem per&#x017F;önlichen, individuellen Willen des Königs unbedingt ge-<lb/>
horchen muß.</p><lb/>
              <p>Er&#x017F;t mit dem Auftreten der &#x017F;taatsbürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und ihres<lb/>
&#x017F;taatsrechtlichen Princips ändert &#x017F;ich auch principiell das We&#x017F;en des<lb/>
Amts und damit der Grundgedanke für das Staatsdienerrecht. Der<lb/>
Gegen&#x017F;atz zwi&#x017F;chen dem Rechte der königlichen und der &#x017F;tändi&#x017F;chen Ver-<lb/>
waltung ver&#x017F;chwindet; es gibt nur noch eine Verwaltung des Staats,<lb/>
und der Beamtete i&#x017F;t damit <hi rendition="#g">Diener des Staats</hi>. In die&#x017F;em Ver-<lb/>
hältniß wird das Recht die&#x017F;es Staatsdieners &#x017F;einen Inhalt nicht mehr<lb/>
aus dem individuellen und willkürlichen Willen des Staatsoberhaupts,<lb/>
&#x017F;ondern vielmehr aus dem <hi rendition="#g">We&#x017F;en des Amts</hi> empfangen. Und dieß<lb/>
wird dadurch die wahre Quelle desjenigen Rechts, welches wir das<lb/>
Staatsdienerrecht nennen. Ja man kann &#x017F;agen, daß das Streben, dieß<lb/>
Staatsdienerrecht &#x017F;o genau und klar als möglich darzu&#x017F;tellen, der wich-<lb/>
tig&#x017F;te Anlaß zum Ver&#x017F;tändniß des We&#x017F;ens des Amts werden mußte;<lb/>
denn in der That mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t die po&#x017F;itiven Ge&#x017F;etze über das er&#x017F;tere<lb/>
ihren Grund und ja zum großen Theil auch ihre Interpretation in<lb/>
die&#x017F;em We&#x017F;en des Amts finden. Wirklich wendet &#x017F;ich auch mit dem<lb/>
Auftreten des obigen Grund&#x017F;atzes die Theorie dem Staatsdienerrechte<lb/>
zu. Allein eine Reihe von Gründen haben es bewirkt, daß die Theorie<lb/>
noch vorwaltend bei dem Standpunkte des po&#x017F;itiven Rechtes &#x017F;tehen blieb;<lb/>
zum Theil weil man dem We&#x017F;en des Amts nicht die Kraft zutraute,<lb/>
eine Grundlage des po&#x017F;itiven Rechtes zu bilden; dennoch i&#x017F;t das Verhält-<lb/>
niß klar, und wir werden es auf &#x017F;eine einfach&#x017F;ten Elemente zurückführen.</p><lb/>
              <p>Die &#x017F;taatsbürgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft i&#x017F;t die Schöpferin des eigentlichen<lb/>
Amts, indem &#x017F;ie das allgemeine Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;tändig neben und über<lb/>
das Einzelintere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tellt, und das Amt zum &#x017F;elb&#x017F;tändigen und dauernden<lb/>
Organ des er&#x017F;teren macht. Soll das Amt die&#x017F;e Stellung erfüllen, &#x017F;o<lb/>
muß es zwei Dinge lei&#x017F;ten. Es muß er&#x017F;tlich die genaue Kunde und<lb/>
das richtige Ver&#x017F;tändniß der allgemeinen Intere&#x017F;&#x017F;en enthalten, und es<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0368] des Privatrechts, namentlich des Mandats, mit der durch das Weſen deſſelben gegebenen und berechtigten individuellen Willkür denn doch in einem tiefen Widerſpruche ſtehen. Man mühte ſich ab, in jenem prin- cipiell privatrechtlichen Verhältniß ein Moment zu finden, welches jener Willkür des Mandanten, des Königs, eine Gränze ſetzt; aber da man nach der ſtreng juriſtiſchen Bildung in allen innern Staatsangelegen- heiten bei der juriſtiſchen Formulirung ſtehen blieb, ſo behielt das Recht des Beamteten immer den Charakter eines Dienſtvertrages zwiſchen Königthum und Beamten, der alle Rechtsfragen beherrſcht. Der Be- amtete iſt und bleibt ein perſönlicher Diener des Königs, der ihn wie jeden andern Mandatar, beliebig anſtellen und entlaſſen kann, und der dem perſönlichen, individuellen Willen des Königs unbedingt ge- horchen muß. Erſt mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und ihres ſtaatsrechtlichen Princips ändert ſich auch principiell das Weſen des Amts und damit der Grundgedanke für das Staatsdienerrecht. Der Gegenſatz zwiſchen dem Rechte der königlichen und der ſtändiſchen Ver- waltung verſchwindet; es gibt nur noch eine Verwaltung des Staats, und der Beamtete iſt damit Diener des Staats. In dieſem Ver- hältniß wird das Recht dieſes Staatsdieners ſeinen Inhalt nicht mehr aus dem individuellen und willkürlichen Willen des Staatsoberhaupts, ſondern vielmehr aus dem Weſen des Amts empfangen. Und dieß wird dadurch die wahre Quelle desjenigen Rechts, welches wir das Staatsdienerrecht nennen. Ja man kann ſagen, daß das Streben, dieß Staatsdienerrecht ſo genau und klar als möglich darzuſtellen, der wich- tigſte Anlaß zum Verſtändniß des Weſens des Amts werden mußte; denn in der That müſſen ſelbſt die poſitiven Geſetze über das erſtere ihren Grund und ja zum großen Theil auch ihre Interpretation in dieſem Weſen des Amts finden. Wirklich wendet ſich auch mit dem Auftreten des obigen Grundſatzes die Theorie dem Staatsdienerrechte zu. Allein eine Reihe von Gründen haben es bewirkt, daß die Theorie noch vorwaltend bei dem Standpunkte des poſitiven Rechtes ſtehen blieb; zum Theil weil man dem Weſen des Amts nicht die Kraft zutraute, eine Grundlage des poſitiven Rechtes zu bilden; dennoch iſt das Verhält- niß klar, und wir werden es auf ſeine einfachſten Elemente zurückführen. Die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft iſt die Schöpferin des eigentlichen Amts, indem ſie das allgemeine Intereſſe ſelbſtändig neben und über das Einzelintereſſe ſtellt, und das Amt zum ſelbſtändigen und dauernden Organ des erſteren macht. Soll das Amt dieſe Stellung erfüllen, ſo muß es zwei Dinge leiſten. Es muß erſtlich die genaue Kunde und das richtige Verſtändniß der allgemeinen Intereſſen enthalten, und es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/368
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/368>, abgerufen am 05.05.2024.