ist derjenige Proceß, durch welchen die Persönlichkeit den Eindruck der Dinge in sich aufnimmt, und sie in sich durch ihren Willen bestimmt; der zweite Theil ist der Proceß, der diesen Willen in die Außenwelt trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie- der mannigfach bedingt wird. Das ist für jede Persönlichkeit gültig, und mithin auch für den Staat. Und es versteht sich, daß dieser Selb- ständigkeit der That im Wesen des Staates nun auch bestimmte Organe entsprechen und bestimmte Gesetze und Regeln, nach welchen dieselbe vollbracht wird. Diese letzteren aber zerfallen wieder in die beiden großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung; und bei ihnen beginnt unsere eigentliche Aufgabe.
Allerdings ist hier nicht der Ort, weder eine historische, noch eine kritische Beurtheilung der Staatsphilosophie und der Begriffe vom Staate zu geben. Allein es ist dennoch unumgänglich unsere Grundauffassung neben der bisherigen scharf zu bestimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verständlich werden dürfte.
Der gemeinsame Charakter aller Staatsbegriffe seit Plato beruht darauf, den Staat als die organische Consequenz irgend eines andern Begriffes zu entwickeln; sei es des Rechts, sei es der sociabilitas, sei es des Gemeinwohls, sei es des Wesens der sittlichen Gesetze, sei es des sich selbst setzenden Begriffes. So heftig auch der Streit unter diesen verschiedenen Ansichten sein mag, so sind sie doch niemals sehr verschieden gewesen, wenigstens in ihrem Princip. Fast alle haben zwar den Irrthum gemein -- wenigstens kenne ich keinen, der ihn nicht theilte -- daß jeder von allen diesen Philosophen bloß dadurch, daß er auf einem andern Wege zu seinem Begriffe kam, auch einen wesentlich andern Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber sehr leicht zu zeigen, daß am Ende der in allen diesen Philosophien so entstandene Staat bei allen Philosophen stets fast ganz genau derselbe ist.
Wir müssen dem unsere Anschauung entgegensetzen. Wir thun es, weil es gewiß bleibt, daß alle Wissenschaft zuletzt ihre höchste Ordnung und Klarheit doch nur durch die Philosophie erhält. Vielleicht am meisten in der Staats- wissenschaft; gewiß innerhalb derselben am meisten auf unserm Felde.
Der Staat ist weder eine Anstalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine ethische Gestaltung, noch ein logischer Begriff, so wenig wie das Ich des Men- schen. Der Staat ist eine -- die höchste materielle -- Form der Persön- lichkeit. Es ist sein Wesen, seinen Grund in sich selbst zu haben. Es kann so wenig bewiesen werden, und so wenig "begründet" werden, als das Ich. Er ist er selber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln. Er ist die gewaltige Thatsache, daß die Gemeinschaft der Menschen, außerhalb und über dem Willen der Gemeinschaft selbst, ein eigenes, selb- ständiges und selbstthätiges Dasein hat.
Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philosophie sagt, nur eine "Bestimmung," und ist mit ihr erschöpft, sondern er hat ein Leben. Dieß
iſt derjenige Proceß, durch welchen die Perſönlichkeit den Eindruck der Dinge in ſich aufnimmt, und ſie in ſich durch ihren Willen beſtimmt; der zweite Theil iſt der Proceß, der dieſen Willen in die Außenwelt trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie- der mannigfach bedingt wird. Das iſt für jede Perſönlichkeit gültig, und mithin auch für den Staat. Und es verſteht ſich, daß dieſer Selb- ſtändigkeit der That im Weſen des Staates nun auch beſtimmte Organe entſprechen und beſtimmte Geſetze und Regeln, nach welchen dieſelbe vollbracht wird. Dieſe letzteren aber zerfallen wieder in die beiden großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung; und bei ihnen beginnt unſere eigentliche Aufgabe.
Allerdings iſt hier nicht der Ort, weder eine hiſtoriſche, noch eine kritiſche Beurtheilung der Staatsphiloſophie und der Begriffe vom Staate zu geben. Allein es iſt dennoch unumgänglich unſere Grundauffaſſung neben der bisherigen ſcharf zu beſtimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verſtändlich werden dürfte.
Der gemeinſame Charakter aller Staatsbegriffe ſeit Plato beruht darauf, den Staat als die organiſche Conſequenz irgend eines andern Begriffes zu entwickeln; ſei es des Rechts, ſei es der sociabilitas, ſei es des Gemeinwohls, ſei es des Weſens der ſittlichen Geſetze, ſei es des ſich ſelbſt ſetzenden Begriffes. So heftig auch der Streit unter dieſen verſchiedenen Anſichten ſein mag, ſo ſind ſie doch niemals ſehr verſchieden geweſen, wenigſtens in ihrem Princip. Faſt alle haben zwar den Irrthum gemein — wenigſtens kenne ich keinen, der ihn nicht theilte — daß jeder von allen dieſen Philoſophen bloß dadurch, daß er auf einem andern Wege zu ſeinem Begriffe kam, auch einen weſentlich andern Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber ſehr leicht zu zeigen, daß am Ende der in allen dieſen Philoſophien ſo entſtandene Staat bei allen Philoſophen ſtets faſt ganz genau derſelbe iſt.
Wir müſſen dem unſere Anſchauung entgegenſetzen. Wir thun es, weil es gewiß bleibt, daß alle Wiſſenſchaft zuletzt ihre höchſte Ordnung und Klarheit doch nur durch die Philoſophie erhält. Vielleicht am meiſten in der Staats- wiſſenſchaft; gewiß innerhalb derſelben am meiſten auf unſerm Felde.
Der Staat iſt weder eine Anſtalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine ethiſche Geſtaltung, noch ein logiſcher Begriff, ſo wenig wie das Ich des Men- ſchen. Der Staat iſt eine — die höchſte materielle — Form der Perſön- lichkeit. Es iſt ſein Weſen, ſeinen Grund in ſich ſelbſt zu haben. Es kann ſo wenig bewieſen werden, und ſo wenig „begründet“ werden, als das Ich. Er iſt er ſelber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln. Er iſt die gewaltige Thatſache, daß die Gemeinſchaft der Menſchen, außerhalb und über dem Willen der Gemeinſchaft ſelbſt, ein eigenes, ſelb- ſtändiges und ſelbſtthätiges Daſein hat.
Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philoſophie ſagt, nur eine „Beſtimmung,“ und iſt mit ihr erſchöpft, ſondern er hat ein Leben. Dieß
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iſt derjenige Proceß, durch welchen die Perſönlichkeit den Eindruck der
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der zweite Theil iſt der Proceß, der dieſen Willen in die Außenwelt
trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie-
der mannigfach bedingt wird. Das iſt für jede Perſönlichkeit gültig,
und mithin auch für den Staat. Und es verſteht ſich, daß dieſer Selb-
ſtändigkeit der That im Weſen des Staates nun auch beſtimmte Organe
entſprechen und beſtimmte Geſetze und Regeln, nach welchen dieſelbe
vollbracht wird. Dieſe letzteren aber zerfallen wieder in die beiden
großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung; und
bei ihnen beginnt unſere eigentliche Aufgabe.
Allerdings iſt hier nicht der Ort, weder eine hiſtoriſche, noch eine kritiſche
Beurtheilung der Staatsphiloſophie und der Begriffe vom Staate zu geben.
Allein es iſt dennoch unumgänglich unſere Grundauffaſſung neben der bisherigen
ſcharf zu beſtimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verſtändlich
werden dürfte.
Der gemeinſame Charakter aller Staatsbegriffe ſeit Plato beruht darauf,
den Staat als die organiſche Conſequenz irgend eines andern Begriffes
zu entwickeln; ſei es des Rechts, ſei es der sociabilitas, ſei es des Gemeinwohls,
ſei es des Weſens der ſittlichen Geſetze, ſei es des ſich ſelbſt ſetzenden Begriffes.
So heftig auch der Streit unter dieſen verſchiedenen Anſichten ſein mag, ſo ſind
ſie doch niemals ſehr verſchieden geweſen, wenigſtens in ihrem Princip. Faſt
alle haben zwar den Irrthum gemein — wenigſtens kenne ich keinen, der ihn
nicht theilte — daß jeder von allen dieſen Philoſophen bloß dadurch, daß er
auf einem andern Wege zu ſeinem Begriffe kam, auch einen weſentlich andern
Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber ſehr leicht zu zeigen, daß am
Ende der in allen dieſen Philoſophien ſo entſtandene Staat bei allen Philoſophen
ſtets faſt ganz genau derſelbe iſt.
Wir müſſen dem unſere Anſchauung entgegenſetzen. Wir thun es, weil
es gewiß bleibt, daß alle Wiſſenſchaft zuletzt ihre höchſte Ordnung und Klarheit
doch nur durch die Philoſophie erhält. Vielleicht am meiſten in der Staats-
wiſſenſchaft; gewiß innerhalb derſelben am meiſten auf unſerm Felde.
Der Staat iſt weder eine Anſtalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine
ethiſche Geſtaltung, noch ein logiſcher Begriff, ſo wenig wie das Ich des Men-
ſchen. Der Staat iſt eine — die höchſte materielle — Form der Perſön-
lichkeit. Es iſt ſein Weſen, ſeinen Grund in ſich ſelbſt zu haben. Es kann
ſo wenig bewieſen werden, und ſo wenig „begründet“ werden, als das Ich. Er
iſt er ſelber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln.
Er iſt die gewaltige Thatſache, daß die Gemeinſchaft der Menſchen,
außerhalb und über dem Willen der Gemeinſchaft ſelbſt, ein eigenes, ſelb-
ſtändiges und ſelbſtthätiges Daſein hat.
Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philoſophie ſagt, nur
eine „Beſtimmung,“ und iſt mit ihr erſchöpft, ſondern er hat ein Leben. Dieß
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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