Bild darbietet als auf dem Continent. Oder, um schon hier diese unglückliche Benützung jener Ausdrücke, die so unendlich viel Unklarheit in Wissenschaft und Praxis hineingebracht haben, definitiv zu beseitigen, daß während auf dem Con- tinent die Aussprüche der Behörde auch dann, wenn sie Urtheile über gesetz- liche Rechte enthalten, behandelt werden wie Verfügungen einer Verwaltungs- behörde, in England auch die Verfügungen der Verwaltungsbehörde behandelt werden wie gerichtliche Urtheile; und zwar darum weil hier wie dort dieselben Organe zugleich Recht sprechen und Verfügungen erlassen. Wo daher eine Be- schwerde hätte eintreten sollen, da tritt in England eine Appellation ein, weil von jeder Verordnung angenommen wird, daß sie nur der Vollzug eines Gesetzes ist, während auf dem Continent, wo ein Klagrecht hätte eintreten sollen, nur eine Beschwerde zulässig wird, weil der Ausspruch der Behörden nicht als Gesetz sondern als Verordnung betrachtet wird. Man sieht daher, daß das englische Recht zwar im Princip, nicht aber in der Ausführung dem continen- talen ganz gleichartig ist; und das ist es nun, was der zweiten Gestaltung des englischen Rechts in diesem Punkte seinen Inhalt gibt.
Offenbar nämlich mußte die Aufgabe des Friedensrichters, als Verwaltungs- behörde dennoch nur Justizbehörde zu sein, zunächst die erste, schon oben be- zeichnete Folge haben. Der Friedensrichter mußte für jeden Erlaß demjenigen bürgerlich haften, den er zum Gehorsam zwang. Dieser Grundsatz wird ganz offen anerkannt, und so entsteht das, was Gneist so schön als die straf- rechtliche und die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter darstellt (§. 74. 75). Das wäre nun vollständig consequent gewesen, wenn die Thätigkeit dieses Organs auch wirklich nur eine judicielle, oder dasselbe nur die reine, zu keiner selbständigen Willensaktion in einer Verordnung berechtigte Be- hörde für die Vollziehung gewesen wäre. Allein der Friedensrichter sollte zu- gleich die Verordnungsgewalt handhaben. Dadurch entstand nun natürlich der Widerspruch, daß das Klagrecht auch auf denjenigen Punkten berechtigt erschien, auf welchem der Natur der Sache nach nur die Beschwerde zulässig sein kann. Um dieser Klage zu entgehen, mußte der Friedensrichter daher für jede Verordnung ein positives Recht anführen können, dessen strenge Ausführung diese Verordnung enthalten sollte. Konnte er das nicht, so war er natürlich sachfällig, mochte sonst die Verordnung auch noch so nothwendig erscheinen. Das nun machte selbstverständlich den ganzen Theil der Verwaltung, der nun einmal auf den Verordnungen beruht, im höchsten Grade gefährlich für die Friedens- richter als Verwaltungsbehörde, und setzte ihn jedenfalls namentlich da, wo er mit reichen und mächtigen Männern zu thun hatte, weitläuftigen und schwierigen Processen aus. Der Widerspruch, das Beschwerderecht nur als Klagrecht zur Geltung bringen zu wollen, erzeugte somit eine große Unsicherheit in der Voll- ziehung überhaupt. Das englische Leben ward dadurch gezwungen, einen Weg zu finden, der, ohne das Princip der richterlichen Thätigkeit und das der strengen Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu brechen, dennoch jenem Bedürfniß Rechnung tragen konnte. Wie dieß geschehen ist, hat Gneist theils in seinem großen Werke, theils in dem angeführten Gutachten sehr schön dargestellt, obgleich wir durch- aus nicht mit ihm darin übereinstimmen können, daß dieß eine "Jurisdiction
Bild darbietet als auf dem Continent. Oder, um ſchon hier dieſe unglückliche Benützung jener Ausdrücke, die ſo unendlich viel Unklarheit in Wiſſenſchaft und Praxis hineingebracht haben, definitiv zu beſeitigen, daß während auf dem Con- tinent die Ausſprüche der Behörde auch dann, wenn ſie Urtheile über geſetz- liche Rechte enthalten, behandelt werden wie Verfügungen einer Verwaltungs- behörde, in England auch die Verfügungen der Verwaltungsbehörde behandelt werden wie gerichtliche Urtheile; und zwar darum weil hier wie dort dieſelben Organe zugleich Recht ſprechen und Verfügungen erlaſſen. Wo daher eine Be- ſchwerde hätte eintreten ſollen, da tritt in England eine Appellation ein, weil von jeder Verordnung angenommen wird, daß ſie nur der Vollzug eines Geſetzes iſt, während auf dem Continent, wo ein Klagrecht hätte eintreten ſollen, nur eine Beſchwerde zuläſſig wird, weil der Ausſpruch der Behörden nicht als Geſetz ſondern als Verordnung betrachtet wird. Man ſieht daher, daß das engliſche Recht zwar im Princip, nicht aber in der Ausführung dem continen- talen ganz gleichartig iſt; und das iſt es nun, was der zweiten Geſtaltung des engliſchen Rechts in dieſem Punkte ſeinen Inhalt gibt.
Offenbar nämlich mußte die Aufgabe des Friedensrichters, als Verwaltungs- behörde dennoch nur Juſtizbehörde zu ſein, zunächſt die erſte, ſchon oben be- zeichnete Folge haben. Der Friedensrichter mußte für jeden Erlaß demjenigen bürgerlich haften, den er zum Gehorſam zwang. Dieſer Grundſatz wird ganz offen anerkannt, und ſo entſteht das, was Gneiſt ſo ſchön als die ſtraf- rechtliche und die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter darſtellt (§. 74. 75). Das wäre nun vollſtändig conſequent geweſen, wenn die Thätigkeit dieſes Organs auch wirklich nur eine judicielle, oder daſſelbe nur die reine, zu keiner ſelbſtändigen Willensaktion in einer Verordnung berechtigte Be- hörde für die Vollziehung geweſen wäre. Allein der Friedensrichter ſollte zu- gleich die Verordnungsgewalt handhaben. Dadurch entſtand nun natürlich der Widerſpruch, daß das Klagrecht auch auf denjenigen Punkten berechtigt erſchien, auf welchem der Natur der Sache nach nur die Beſchwerde zuläſſig ſein kann. Um dieſer Klage zu entgehen, mußte der Friedensrichter daher für jede Verordnung ein poſitives Recht anführen können, deſſen ſtrenge Ausführung dieſe Verordnung enthalten ſollte. Konnte er das nicht, ſo war er natürlich ſachfällig, mochte ſonſt die Verordnung auch noch ſo nothwendig erſcheinen. Das nun machte ſelbſtverſtändlich den ganzen Theil der Verwaltung, der nun einmal auf den Verordnungen beruht, im höchſten Grade gefährlich für die Friedens- richter als Verwaltungsbehörde, und ſetzte ihn jedenfalls namentlich da, wo er mit reichen und mächtigen Männern zu thun hatte, weitläuftigen und ſchwierigen Proceſſen aus. Der Widerſpruch, das Beſchwerderecht nur als Klagrecht zur Geltung bringen zu wollen, erzeugte ſomit eine große Unſicherheit in der Voll- ziehung überhaupt. Das engliſche Leben ward dadurch gezwungen, einen Weg zu finden, der, ohne das Princip der richterlichen Thätigkeit und das der ſtrengen Geſetzmäßigkeit der Verwaltung zu brechen, dennoch jenem Bedürfniß Rechnung tragen konnte. Wie dieß geſchehen iſt, hat Gneiſt theils in ſeinem großen Werke, theils in dem angeführten Gutachten ſehr ſchön dargeſtellt, obgleich wir durch- aus nicht mit ihm darin übereinſtimmen können, daß dieß eine „Jurisdiction
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Bild darbietet als auf dem Continent. Oder, um ſchon hier dieſe unglückliche
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Praxis hineingebracht haben, definitiv zu beſeitigen, daß während auf dem Con-
tinent die Ausſprüche der Behörde auch dann, wenn ſie Urtheile über geſetz-
liche Rechte enthalten, behandelt werden wie Verfügungen einer Verwaltungs-
behörde, in England auch die Verfügungen der Verwaltungsbehörde behandelt
werden wie gerichtliche Urtheile; und zwar darum weil hier wie dort dieſelben
Organe zugleich Recht ſprechen und Verfügungen erlaſſen. Wo daher eine Be-
ſchwerde hätte eintreten ſollen, da tritt in England eine Appellation ein, weil von
jeder Verordnung angenommen wird, daß ſie nur der Vollzug eines Geſetzes
iſt, während auf dem Continent, wo ein Klagrecht hätte eintreten ſollen, nur
eine Beſchwerde zuläſſig wird, weil der Ausſpruch der Behörden nicht als
Geſetz ſondern als Verordnung betrachtet wird. Man ſieht daher, daß das
engliſche Recht zwar im Princip, nicht aber in der Ausführung dem continen-
talen ganz gleichartig iſt; und das iſt es nun, was der zweiten Geſtaltung des
engliſchen Rechts in dieſem Punkte ſeinen Inhalt gibt.
Offenbar nämlich mußte die Aufgabe des Friedensrichters, als Verwaltungs-
behörde dennoch nur Juſtizbehörde zu ſein, zunächſt die erſte, ſchon oben be-
zeichnete Folge haben. Der Friedensrichter mußte für jeden Erlaß demjenigen
bürgerlich haften, den er zum Gehorſam zwang. Dieſer Grundſatz wird
ganz offen anerkannt, und ſo entſteht das, was Gneiſt ſo ſchön als die ſtraf-
rechtliche und die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter darſtellt
(§. 74. 75). Das wäre nun vollſtändig conſequent geweſen, wenn die Thätigkeit
dieſes Organs auch wirklich nur eine judicielle, oder daſſelbe nur die reine,
zu keiner ſelbſtändigen Willensaktion in einer Verordnung berechtigte Be-
hörde für die Vollziehung geweſen wäre. Allein der Friedensrichter ſollte zu-
gleich die Verordnungsgewalt handhaben. Dadurch entſtand nun natürlich der
Widerſpruch, daß das Klagrecht auch auf denjenigen Punkten berechtigt erſchien,
auf welchem der Natur der Sache nach nur die Beſchwerde zuläſſig ſein
kann. Um dieſer Klage zu entgehen, mußte der Friedensrichter daher für jede
Verordnung ein poſitives Recht anführen können, deſſen ſtrenge Ausführung
dieſe Verordnung enthalten ſollte. Konnte er das nicht, ſo war er natürlich
ſachfällig, mochte ſonſt die Verordnung auch noch ſo nothwendig erſcheinen. Das
nun machte ſelbſtverſtändlich den ganzen Theil der Verwaltung, der nun einmal
auf den Verordnungen beruht, im höchſten Grade gefährlich für die Friedens-
richter als Verwaltungsbehörde, und ſetzte ihn jedenfalls namentlich da, wo er
mit reichen und mächtigen Männern zu thun hatte, weitläuftigen und ſchwierigen
Proceſſen aus. Der Widerſpruch, das Beſchwerderecht nur als Klagrecht zur
Geltung bringen zu wollen, erzeugte ſomit eine große Unſicherheit in der Voll-
ziehung überhaupt. Das engliſche Leben ward dadurch gezwungen, einen Weg
zu finden, der, ohne das Princip der richterlichen Thätigkeit und das der ſtrengen
Geſetzmäßigkeit der Verwaltung zu brechen, dennoch jenem Bedürfniß Rechnung
tragen konnte. Wie dieß geſchehen iſt, hat Gneiſt theils in ſeinem großen Werke,
theils in dem angeführten Gutachten ſehr ſchön dargeſtellt, obgleich wir durch-
aus nicht mit ihm darin übereinſtimmen können, daß dieß eine „Jurisdiction
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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