übersehen ist, so hat man den durch Beschwerde und Gesuch entstehenden Proceß gleichfalls als einen Zweig der Justiz, oder als ein Analogon derselben betrachtet, und dieß Verfahren im Beschwerdewege die Admi- nistrativjustiz genannt. Es ist das ein höchst unglücklicher Aus- druck, den man -- will man anders Klarheit in das bisher so ver- worrene Gebiet bringen -- um jeden Preis endgültig beseitigen müßte. Denn es ist von einem Rechte oder gar von einer Justiz dabei gar keine Rede, und das Wort erweckt dennoch die Vorstellung, als müsse doch hier ein Justizverfahren eintreten. Wir werden schwerlich mit dem Ganzen eher zu einem Abschluß gelangen, als bis wir diesen Ausdruck mit dem der "Justizsachen" und "Administrativsachen" definitiv aus dem Sprachgebrauch tilgen. Man soll daher künftig nur von dem Gegensatze des administrativen Klagrechts zu Beschwerde- und Gesuchs- recht reden. Freilich gehört dazu eine feste Bestimmung von Gesetz und Verordnung, die wir ja wohl einmal bekommen, und das richtige Ver- ständniß des französischen contentieux, das wir unten zu geben ver- suchen werden.
Vergleichung des Systems des Klag- und Beschwerderechts in England, Frankreich und Deutschland.
Wenn aus unsrer Darstellung hervorgegangen ist, daß das ganze Verhältniß der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt auf dem formellen, und diese wieder auf dem tiefern organischen Unterschiede von Gesetz und Verordnung, gesetz- geberischer und verwaltender Thätigkeit beruht, und daß zuletzt dieser Unterschied in dem durchgreifenden Unterschiede des Klag- und des Beschwerderechts zur Erscheinung gelangt, so wird nun damit auch die Grundlage einer Vergleichung der Auffassung gegeben sein, von welcher die drei großen Kulturvölker bei der Ordnung jener Fragen ausgegangen sind. Diese Ordnung, wenn auch im Ein- zelnen vielfach unklar, hat dennoch eine Grundauffassung über das Verhältniß der vollziehenden Thätigkeit zu Recht und Verordnung zur Basis. Eine Ver- gleichung ist dann selbst nur möglich, indem man die letzte auf die für alle gültigen, wenn auch mehr oder weniger entwickelten und so oder anders formell erscheinenden von uns aufgestellten Kategorien zurückführt.
Da dieß hier zum erstenmale versucht wird, so mag mancher Irrthum und manche Unvollständigkeit entschuldigt bleiben.
Im Allgemeinen ist aber für alle drei Völker festzuhalten, daß sich sowohl das Bewußtsein als die positive Gesetzgebung über Klage und Beschwerde, oder über das Verhältniß der Verordnung und der Vollziehung zum Gesetz einerseits, und zu den einzelnen vollziehenden Akten anderseits allenthalben nur lang- sam entwickelt hat, und daß, wie es in der Natur der Sache selbst liegt, diese Entwicklung im Wesentlichen bedingt ist durch die formell gültige Unterscheidung von Gesetz und Verordnung. Wir dürfen daher unsre Andeutung über die Ge- schichte des letzteren hier als bekannt voraussetzen.
überſehen iſt, ſo hat man den durch Beſchwerde und Geſuch entſtehenden Proceß gleichfalls als einen Zweig der Juſtiz, oder als ein Analogon derſelben betrachtet, und dieß Verfahren im Beſchwerdewege die Admi- niſtrativjuſtiz genannt. Es iſt das ein höchſt unglücklicher Aus- druck, den man — will man anders Klarheit in das bisher ſo ver- worrene Gebiet bringen — um jeden Preis endgültig beſeitigen müßte. Denn es iſt von einem Rechte oder gar von einer Juſtiz dabei gar keine Rede, und das Wort erweckt dennoch die Vorſtellung, als müſſe doch hier ein Juſtizverfahren eintreten. Wir werden ſchwerlich mit dem Ganzen eher zu einem Abſchluß gelangen, als bis wir dieſen Ausdruck mit dem der „Juſtizſachen“ und „Adminiſtrativſachen“ definitiv aus dem Sprachgebrauch tilgen. Man ſoll daher künftig nur von dem Gegenſatze des adminiſtrativen Klagrechts zu Beſchwerde- und Geſuchs- recht reden. Freilich gehört dazu eine feſte Beſtimmung von Geſetz und Verordnung, die wir ja wohl einmal bekommen, und das richtige Ver- ſtändniß des franzöſiſchen contentieux, das wir unten zu geben ver- ſuchen werden.
Vergleichung des Syſtems des Klag- und Beſchwerderechts in England, Frankreich und Deutſchland.
Wenn aus unſrer Darſtellung hervorgegangen iſt, daß das ganze Verhältniß der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt auf dem formellen, und dieſe wieder auf dem tiefern organiſchen Unterſchiede von Geſetz und Verordnung, geſetz- geberiſcher und verwaltender Thätigkeit beruht, und daß zuletzt dieſer Unterſchied in dem durchgreifenden Unterſchiede des Klag- und des Beſchwerderechts zur Erſcheinung gelangt, ſo wird nun damit auch die Grundlage einer Vergleichung der Auffaſſung gegeben ſein, von welcher die drei großen Kulturvölker bei der Ordnung jener Fragen ausgegangen ſind. Dieſe Ordnung, wenn auch im Ein- zelnen vielfach unklar, hat dennoch eine Grundauffaſſung über das Verhältniß der vollziehenden Thätigkeit zu Recht und Verordnung zur Baſis. Eine Ver- gleichung iſt dann ſelbſt nur möglich, indem man die letzte auf die für alle gültigen, wenn auch mehr oder weniger entwickelten und ſo oder anders formell erſcheinenden von uns aufgeſtellten Kategorien zurückführt.
Da dieß hier zum erſtenmale verſucht wird, ſo mag mancher Irrthum und manche Unvollſtändigkeit entſchuldigt bleiben.
Im Allgemeinen iſt aber für alle drei Völker feſtzuhalten, daß ſich ſowohl das Bewußtſein als die poſitive Geſetzgebung über Klage und Beſchwerde, oder über das Verhältniß der Verordnung und der Vollziehung zum Geſetz einerſeits, und zu den einzelnen vollziehenden Akten anderſeits allenthalben nur lang- ſam entwickelt hat, und daß, wie es in der Natur der Sache ſelbſt liegt, dieſe Entwicklung im Weſentlichen bedingt iſt durch die formell gültige Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung. Wir dürfen daher unſre Andeutung über die Ge- ſchichte des letzteren hier als bekannt vorausſetzen.
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überſehen iſt, ſo hat man den durch Beſchwerde und Geſuch entſtehenden
Proceß gleichfalls als einen Zweig der Juſtiz, oder als ein Analogon
derſelben betrachtet, und dieß Verfahren im Beſchwerdewege die Admi-
niſtrativjuſtiz genannt. Es iſt das ein höchſt unglücklicher Aus-
druck, den man — will man anders Klarheit in das bisher ſo ver-
worrene Gebiet bringen — um jeden Preis endgültig beſeitigen
müßte. Denn es iſt von einem Rechte oder gar von einer Juſtiz dabei
gar keine Rede, und das Wort erweckt dennoch die Vorſtellung, als
müſſe doch hier ein Juſtizverfahren eintreten. Wir werden ſchwerlich
mit dem Ganzen eher zu einem Abſchluß gelangen, als bis wir dieſen
Ausdruck mit dem der „Juſtizſachen“ und „Adminiſtrativſachen“ definitiv
aus dem Sprachgebrauch tilgen. Man ſoll daher künftig nur von dem
Gegenſatze des adminiſtrativen Klagrechts zu Beſchwerde- und Geſuchs-
recht reden. Freilich gehört dazu eine feſte Beſtimmung von Geſetz und
Verordnung, die wir ja wohl einmal bekommen, und das richtige Ver-
ſtändniß des franzöſiſchen contentieux, das wir unten zu geben ver-
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Vergleichung des Syſtems des Klag- und Beſchwerderechts in
England, Frankreich und Deutſchland.
Wenn aus unſrer Darſtellung hervorgegangen iſt, daß das ganze Verhältniß
der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt auf dem formellen, und dieſe wieder
auf dem tiefern organiſchen Unterſchiede von Geſetz und Verordnung, geſetz-
geberiſcher und verwaltender Thätigkeit beruht, und daß zuletzt dieſer Unterſchied
in dem durchgreifenden Unterſchiede des Klag- und des Beſchwerderechts zur
Erſcheinung gelangt, ſo wird nun damit auch die Grundlage einer Vergleichung
der Auffaſſung gegeben ſein, von welcher die drei großen Kulturvölker bei der
Ordnung jener Fragen ausgegangen ſind. Dieſe Ordnung, wenn auch im Ein-
zelnen vielfach unklar, hat dennoch eine Grundauffaſſung über das Verhältniß
der vollziehenden Thätigkeit zu Recht und Verordnung zur Baſis. Eine Ver-
gleichung iſt dann ſelbſt nur möglich, indem man die letzte auf die für alle
gültigen, wenn auch mehr oder weniger entwickelten und ſo oder anders formell
erſcheinenden von uns aufgeſtellten Kategorien zurückführt.
Da dieß hier zum erſtenmale verſucht wird, ſo mag mancher Irrthum und
manche Unvollſtändigkeit entſchuldigt bleiben.
Im Allgemeinen iſt aber für alle drei Völker feſtzuhalten, daß ſich ſowohl
das Bewußtſein als die poſitive Geſetzgebung über Klage und Beſchwerde, oder
über das Verhältniß der Verordnung und der Vollziehung zum Geſetz einerſeits,
und zu den einzelnen vollziehenden Akten anderſeits allenthalben nur lang-
ſam entwickelt hat, und daß, wie es in der Natur der Sache ſelbſt liegt, dieſe
Entwicklung im Weſentlichen bedingt iſt durch die formell gültige Unterſcheidung
von Geſetz und Verordnung. Wir dürfen daher unſre Andeutung über die Ge-
ſchichte des letzteren hier als bekannt vorausſetzen.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/152>, abgerufen am 22.11.2024.
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