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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Verhältniß eine sich wiederholende Leistung, auf welche sich Beschwerde
oder Gesuch bezogen, so kann wieder nicht das Gericht, sondern nur die
obere Behörde auf Grundlage einer neuen Eingabe im zweifelhaften
Falle diesen Punkt entscheiden.

3) Die große Macht, welche auf diese Weise der vollziehenden Ge-
walt gegenüber dem Einzelnen eingeräumt ist, hat nun den Satz er-
zeugt, daß eine solche Entscheidung über die Interessen der Einzelnen
im Verhältniß zur Vollziehung auch so fern als möglich von diesen
Interessen stehen, also nicht von den, der vollziehenden Handlung nahe
stehenden Behörde endgültig gefällt werden dürfe. Man hat daher zwar
kein eigenes Verfahren, wohl aber ein eigenes System von Organen
aufgestellt, welche über jene Streitigkeiten zwischen Einzelnen und Be-
hörden entscheiden, und es ist natürlich, daß sich für die Behandlung
solcher Fragen eine allgemeine und ziemlich feste Uebung bildet, die
man innehält, ohne jedoch an dieselbe gebunden zu sein. Mögen nun
diese Organe und Uebungen sein, welche sie wollen, so gelten doch zwei
formell unbedingte Grundsätze für dieselben. Erstlich gibt es im Be-
schwerde- und Gesuchswege überhaupt keine Litispendenz, und mithin
keine Sistirung der Vollziehung, so wenig wie bei der Klage; zweitens
ist nicht einmal, wenn nicht eine besondre Vorschrift darüber besteht,
eine Pflicht zu einer formellen Entscheidung auf dieselbe nachweisbar
-- obwohl dieselbe natürlich üblich sein wird. -- Daß von einer Frist
bei Eingabe einer Beschwerde an sich keine Rede sein kann, ist klar;
zweckmäßig ist es jedoch, eine solche vorzuschreiben. Dennoch ist die Be-
hörde nicht an die Versäumniß derselben gebunden. -- Ebenso ist es
zweckmäßig, für gewisse Einzelne die Anlagen vorher zu bestimmen.
Gebunden an das Vorhandensein derselben ist wiederum die Be-
hörde nicht.

4) Von allen diesen Grundsätzen sind jedoch diejenigen Eingaben
ausgeschlossen, zu welchen in Folge einer Aufforderung zur Contrahirung
eines privatrechtlichen Vertrages, Lieferung etc. von Seiten der Behörde
die Einzelnen aufgefordert werden. Hier beginnt das Gebiet des Privat-
rechts, gleichviel ob der Zweck des Vertrages in die Aufgaben der
Verwaltung hineingehört oder nicht.

5) Da sich nun auf der obigen Grundlage nicht bloß ein System
von Entscheidungsorganen und der Grundsatz gebildet hat, daß der
Einzelne seine Beschwerde oder sein Gesuch in einer, der Appellation
entsprechenden Stufenfolge von der niedern verordnenden Behörde bis
zur höchsten Regierungsgewalt vorbringen kann, sondern sich auch durch
die fortwährende Uebung und die innere Gleichartigkeit der Fülle eine
Gleichartigkeit der Entscheidungen von selbst erzeugt, welche schwer zu

Verhältniß eine ſich wiederholende Leiſtung, auf welche ſich Beſchwerde
oder Geſuch bezogen, ſo kann wieder nicht das Gericht, ſondern nur die
obere Behörde auf Grundlage einer neuen Eingabe im zweifelhaften
Falle dieſen Punkt entſcheiden.

3) Die große Macht, welche auf dieſe Weiſe der vollziehenden Ge-
walt gegenüber dem Einzelnen eingeräumt iſt, hat nun den Satz er-
zeugt, daß eine ſolche Entſcheidung über die Intereſſen der Einzelnen
im Verhältniß zur Vollziehung auch ſo fern als möglich von dieſen
Intereſſen ſtehen, alſo nicht von den, der vollziehenden Handlung nahe
ſtehenden Behörde endgültig gefällt werden dürfe. Man hat daher zwar
kein eigenes Verfahren, wohl aber ein eigenes Syſtem von Organen
aufgeſtellt, welche über jene Streitigkeiten zwiſchen Einzelnen und Be-
hörden entſcheiden, und es iſt natürlich, daß ſich für die Behandlung
ſolcher Fragen eine allgemeine und ziemlich feſte Uebung bildet, die
man innehält, ohne jedoch an dieſelbe gebunden zu ſein. Mögen nun
dieſe Organe und Uebungen ſein, welche ſie wollen, ſo gelten doch zwei
formell unbedingte Grundſätze für dieſelben. Erſtlich gibt es im Be-
ſchwerde- und Geſuchswege überhaupt keine Litispendenz, und mithin
keine Siſtirung der Vollziehung, ſo wenig wie bei der Klage; zweitens
iſt nicht einmal, wenn nicht eine beſondre Vorſchrift darüber beſteht,
eine Pflicht zu einer formellen Entſcheidung auf dieſelbe nachweisbar
— obwohl dieſelbe natürlich üblich ſein wird. — Daß von einer Friſt
bei Eingabe einer Beſchwerde an ſich keine Rede ſein kann, iſt klar;
zweckmäßig iſt es jedoch, eine ſolche vorzuſchreiben. Dennoch iſt die Be-
hörde nicht an die Verſäumniß derſelben gebunden. — Ebenſo iſt es
zweckmäßig, für gewiſſe Einzelne die Anlagen vorher zu beſtimmen.
Gebunden an das Vorhandenſein derſelben iſt wiederum die Be-
hörde nicht.

4) Von allen dieſen Grundſätzen ſind jedoch diejenigen Eingaben
ausgeſchloſſen, zu welchen in Folge einer Aufforderung zur Contrahirung
eines privatrechtlichen Vertrages, Lieferung ꝛc. von Seiten der Behörde
die Einzelnen aufgefordert werden. Hier beginnt das Gebiet des Privat-
rechts, gleichviel ob der Zweck des Vertrages in die Aufgaben der
Verwaltung hineingehört oder nicht.

5) Da ſich nun auf der obigen Grundlage nicht bloß ein Syſtem
von Entſcheidungsorganen und der Grundſatz gebildet hat, daß der
Einzelne ſeine Beſchwerde oder ſein Geſuch in einer, der Appellation
entſprechenden Stufenfolge von der niedern verordnenden Behörde bis
zur höchſten Regierungsgewalt vorbringen kann, ſondern ſich auch durch
die fortwährende Uebung und die innere Gleichartigkeit der Fülle eine
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[127/0151] Verhältniß eine ſich wiederholende Leiſtung, auf welche ſich Beſchwerde oder Geſuch bezogen, ſo kann wieder nicht das Gericht, ſondern nur die obere Behörde auf Grundlage einer neuen Eingabe im zweifelhaften Falle dieſen Punkt entſcheiden. 3) Die große Macht, welche auf dieſe Weiſe der vollziehenden Ge- walt gegenüber dem Einzelnen eingeräumt iſt, hat nun den Satz er- zeugt, daß eine ſolche Entſcheidung über die Intereſſen der Einzelnen im Verhältniß zur Vollziehung auch ſo fern als möglich von dieſen Intereſſen ſtehen, alſo nicht von den, der vollziehenden Handlung nahe ſtehenden Behörde endgültig gefällt werden dürfe. Man hat daher zwar kein eigenes Verfahren, wohl aber ein eigenes Syſtem von Organen aufgeſtellt, welche über jene Streitigkeiten zwiſchen Einzelnen und Be- hörden entſcheiden, und es iſt natürlich, daß ſich für die Behandlung ſolcher Fragen eine allgemeine und ziemlich feſte Uebung bildet, die man innehält, ohne jedoch an dieſelbe gebunden zu ſein. Mögen nun dieſe Organe und Uebungen ſein, welche ſie wollen, ſo gelten doch zwei formell unbedingte Grundſätze für dieſelben. Erſtlich gibt es im Be- ſchwerde- und Geſuchswege überhaupt keine Litispendenz, und mithin keine Siſtirung der Vollziehung, ſo wenig wie bei der Klage; zweitens iſt nicht einmal, wenn nicht eine beſondre Vorſchrift darüber beſteht, eine Pflicht zu einer formellen Entſcheidung auf dieſelbe nachweisbar — obwohl dieſelbe natürlich üblich ſein wird. — Daß von einer Friſt bei Eingabe einer Beſchwerde an ſich keine Rede ſein kann, iſt klar; zweckmäßig iſt es jedoch, eine ſolche vorzuſchreiben. Dennoch iſt die Be- hörde nicht an die Verſäumniß derſelben gebunden. — Ebenſo iſt es zweckmäßig, für gewiſſe Einzelne die Anlagen vorher zu beſtimmen. Gebunden an das Vorhandenſein derſelben iſt wiederum die Be- hörde nicht. 4) Von allen dieſen Grundſätzen ſind jedoch diejenigen Eingaben ausgeſchloſſen, zu welchen in Folge einer Aufforderung zur Contrahirung eines privatrechtlichen Vertrages, Lieferung ꝛc. von Seiten der Behörde die Einzelnen aufgefordert werden. Hier beginnt das Gebiet des Privat- rechts, gleichviel ob der Zweck des Vertrages in die Aufgaben der Verwaltung hineingehört oder nicht. 5) Da ſich nun auf der obigen Grundlage nicht bloß ein Syſtem von Entſcheidungsorganen und der Grundſatz gebildet hat, daß der Einzelne ſeine Beſchwerde oder ſein Geſuch in einer, der Appellation entſprechenden Stufenfolge von der niedern verordnenden Behörde bis zur höchſten Regierungsgewalt vorbringen kann, ſondern ſich auch durch die fortwährende Uebung und die innere Gleichartigkeit der Fülle eine Gleichartigkeit der Entſcheidungen von ſelbſt erzeugt, welche ſchwer zu

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/151>, abgerufen am 28.03.2024.