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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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lautet, auch für Dritte kein Recht macht. Dasselbe greift daher das
Recht der vollziehenden Behörde, gegen Dritte dieselbe Handlung zu
vollziehen und Gehorsam von ihr zu fordern, nicht an, um so weni-
ger, als ja über den Rechtsgrund ihrer Forderungen, die Verordnung
selbst, überhaupt kein Urtheil gefällt ist und gefällt werden konnte;
denn diese erscheint ja nur in den Erwägungen als Entscheidungsgrund.

Ebenso wenig kann man ein consortium litis bei dem admini-
strativen Klagrecht einräumen, da jeder Einzelne als solcher Gegenstand
der Rechtsverletzung ist. Daß übrigens eine juristische Persönlichkeit
gerade so gut als Kläger auftreten kann als der Einzelne, versteht sich
von selbst; wo aber eine vollziehende Handlung gegen eine juristische
Persönlichkeit geht, kann den einzelnen Mitgliedern weder ein Klag-
recht zugestanden, noch ein besonderes Urtheil für sie gefällt werden.

8) Schwieriger ist die Frage, ob der Kläger, der ein günstiges
Urtheil über die Ungesetzlichkeit der Verordnung und mithin gegen die
aus derselben fließenden Vollzugshandlung erzielt hat, verpflichtet ist,
zum zweiten Male derselben Verordnung Gehorsam zu leisten. Wir
müssen diese Frage entschieden bejahen. Denn das Urtheil hat ja über-
haupt nicht die Gültigkeit der Verordnung zum Inhalt; bleibt sie da-
her gültig, so muß die Behörde sie auch zum zweitenmal vollziehen,
und die Pflicht des Gehorsams ist damit klar, wobei natürlich der
passive Widerstand nicht ausgeschlossen ist.

9) Der letzte und ernsteste Fall ist endlich der, wo die Ausführung
einer, einem Gesetze entgegenstehenden Verordnung einen dauernden
Zustand herbeiführt, gegen den das öffentliche Klagrecht gebraucht wird,
und wo daher das Petitum nicht mehr bloß auf Ersatz eines Schadens,
sondern auf die Aufhebung dieses Zustandes, beziehungsweise auf die
Einstellung der zwar verordnungsmäßigen, aber gesetzwidrigen Voll-
ziehung leiten muß. Hier muß das Gericht mit einem, auf gerichtliches
Verbot dieser administrativen Thätigkeit gerichteten Urtheil einschreiten.
Gibt nun ein solches Urtheil dem Einzelnen das Recht des Wider-
standes gegen die, vom Gericht als gesetzwidrig erkannte dauernde Voll-
ziehung, oder, ist die Pflicht zum Gehorsam in diesem Falle durch das
Urtheil aufgehoben?

Wir müssen das entschieden verneinen. Ein Widerstand des
Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt wäre eben nichts andres als
eine eigenmächtige Execution von Seiten des siegreichen Klägers gegen
den Verurtheilten, die niemals berechtigt ist; denn die Execution kann
nur das Gericht führen. Vermag dasselbe diese Execution nicht durch-
zuführen, so ist das allerdings ein Bruch des Rechts; das gibt aber
noch dem Einzelnen nicht die Berechtigung, einen zweiten Rechtsbruch

lautet, auch für Dritte kein Recht macht. Daſſelbe greift daher das
Recht der vollziehenden Behörde, gegen Dritte dieſelbe Handlung zu
vollziehen und Gehorſam von ihr zu fordern, nicht an, um ſo weni-
ger, als ja über den Rechtsgrund ihrer Forderungen, die Verordnung
ſelbſt, überhaupt kein Urtheil gefällt iſt und gefällt werden konnte;
denn dieſe erſcheint ja nur in den Erwägungen als Entſcheidungsgrund.

Ebenſo wenig kann man ein consortium litis bei dem admini-
ſtrativen Klagrecht einräumen, da jeder Einzelne als ſolcher Gegenſtand
der Rechtsverletzung iſt. Daß übrigens eine juriſtiſche Perſönlichkeit
gerade ſo gut als Kläger auftreten kann als der Einzelne, verſteht ſich
von ſelbſt; wo aber eine vollziehende Handlung gegen eine juriſtiſche
Perſönlichkeit geht, kann den einzelnen Mitgliedern weder ein Klag-
recht zugeſtanden, noch ein beſonderes Urtheil für ſie gefällt werden.

8) Schwieriger iſt die Frage, ob der Kläger, der ein günſtiges
Urtheil über die Ungeſetzlichkeit der Verordnung und mithin gegen die
aus derſelben fließenden Vollzugshandlung erzielt hat, verpflichtet iſt,
zum zweiten Male derſelben Verordnung Gehorſam zu leiſten. Wir
müſſen dieſe Frage entſchieden bejahen. Denn das Urtheil hat ja über-
haupt nicht die Gültigkeit der Verordnung zum Inhalt; bleibt ſie da-
her gültig, ſo muß die Behörde ſie auch zum zweitenmal vollziehen,
und die Pflicht des Gehorſams iſt damit klar, wobei natürlich der
paſſive Widerſtand nicht ausgeſchloſſen iſt.

9) Der letzte und ernſteſte Fall iſt endlich der, wo die Ausführung
einer, einem Geſetze entgegenſtehenden Verordnung einen dauernden
Zuſtand herbeiführt, gegen den das öffentliche Klagrecht gebraucht wird,
und wo daher das Petitum nicht mehr bloß auf Erſatz eines Schadens,
ſondern auf die Aufhebung dieſes Zuſtandes, beziehungsweiſe auf die
Einſtellung der zwar verordnungsmäßigen, aber geſetzwidrigen Voll-
ziehung leiten muß. Hier muß das Gericht mit einem, auf gerichtliches
Verbot dieſer adminiſtrativen Thätigkeit gerichteten Urtheil einſchreiten.
Gibt nun ein ſolches Urtheil dem Einzelnen das Recht des Wider-
ſtandes gegen die, vom Gericht als geſetzwidrig erkannte dauernde Voll-
ziehung, oder, iſt die Pflicht zum Gehorſam in dieſem Falle durch das
Urtheil aufgehoben?

Wir müſſen das entſchieden verneinen. Ein Widerſtand des
Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt wäre eben nichts andres als
eine eigenmächtige Execution von Seiten des ſiegreichen Klägers gegen
den Verurtheilten, die niemals berechtigt iſt; denn die Execution kann
nur das Gericht führen. Vermag daſſelbe dieſe Execution nicht durch-
zuführen, ſo iſt das allerdings ein Bruch des Rechts; das gibt aber
noch dem Einzelnen nicht die Berechtigung, einen zweiten Rechtsbruch

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[120/0144] lautet, auch für Dritte kein Recht macht. Daſſelbe greift daher das Recht der vollziehenden Behörde, gegen Dritte dieſelbe Handlung zu vollziehen und Gehorſam von ihr zu fordern, nicht an, um ſo weni- ger, als ja über den Rechtsgrund ihrer Forderungen, die Verordnung ſelbſt, überhaupt kein Urtheil gefällt iſt und gefällt werden konnte; denn dieſe erſcheint ja nur in den Erwägungen als Entſcheidungsgrund. Ebenſo wenig kann man ein consortium litis bei dem admini- ſtrativen Klagrecht einräumen, da jeder Einzelne als ſolcher Gegenſtand der Rechtsverletzung iſt. Daß übrigens eine juriſtiſche Perſönlichkeit gerade ſo gut als Kläger auftreten kann als der Einzelne, verſteht ſich von ſelbſt; wo aber eine vollziehende Handlung gegen eine juriſtiſche Perſönlichkeit geht, kann den einzelnen Mitgliedern weder ein Klag- recht zugeſtanden, noch ein beſonderes Urtheil für ſie gefällt werden. 8) Schwieriger iſt die Frage, ob der Kläger, der ein günſtiges Urtheil über die Ungeſetzlichkeit der Verordnung und mithin gegen die aus derſelben fließenden Vollzugshandlung erzielt hat, verpflichtet iſt, zum zweiten Male derſelben Verordnung Gehorſam zu leiſten. Wir müſſen dieſe Frage entſchieden bejahen. Denn das Urtheil hat ja über- haupt nicht die Gültigkeit der Verordnung zum Inhalt; bleibt ſie da- her gültig, ſo muß die Behörde ſie auch zum zweitenmal vollziehen, und die Pflicht des Gehorſams iſt damit klar, wobei natürlich der paſſive Widerſtand nicht ausgeſchloſſen iſt. 9) Der letzte und ernſteſte Fall iſt endlich der, wo die Ausführung einer, einem Geſetze entgegenſtehenden Verordnung einen dauernden Zuſtand herbeiführt, gegen den das öffentliche Klagrecht gebraucht wird, und wo daher das Petitum nicht mehr bloß auf Erſatz eines Schadens, ſondern auf die Aufhebung dieſes Zuſtandes, beziehungsweiſe auf die Einſtellung der zwar verordnungsmäßigen, aber geſetzwidrigen Voll- ziehung leiten muß. Hier muß das Gericht mit einem, auf gerichtliches Verbot dieſer adminiſtrativen Thätigkeit gerichteten Urtheil einſchreiten. Gibt nun ein ſolches Urtheil dem Einzelnen das Recht des Wider- ſtandes gegen die, vom Gericht als geſetzwidrig erkannte dauernde Voll- ziehung, oder, iſt die Pflicht zum Gehorſam in dieſem Falle durch das Urtheil aufgehoben? Wir müſſen das entſchieden verneinen. Ein Widerſtand des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt wäre eben nichts andres als eine eigenmächtige Execution von Seiten des ſiegreichen Klägers gegen den Verurtheilten, die niemals berechtigt iſt; denn die Execution kann nur das Gericht führen. Vermag daſſelbe dieſe Execution nicht durch- zuführen, ſo iſt das allerdings ein Bruch des Rechts; das gibt aber noch dem Einzelnen nicht die Berechtigung, einen zweiten Rechtsbruch

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/144>, abgerufen am 20.04.2024.