Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, so weiß ich nicht, ob Sie es so ganz von Herzen hinnehmen werden, wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab, den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten schuldig sind; denn Sie haben uns wissenschaftlich das englische Leben und sein Recht erobert, und wenn es früher schwer war, darüber zu reden, so ist es jetzt noch schwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen, wie man England verstehen muß. Aber indem ich danke, möchte ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszusprechen, eine Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das denke, was, wie ich innig überzeugt bin, schon die nächste Generation zu leisten bestimmt ist.
Als zum ersten Mal die mächtige Gestaltung des römischen Rechts die Alpen überschritt und auch bei uns heimisch wurde, da war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß eine Quelle des römischen Rechts, eine unerschöpfliche Fundgrube für die Bausteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die sich mühevoll aus der stän- dischen herausarbeitete, der juristische Träger eines neuen socialen Lebens -- es war zugleich ein geistiges Band für die Rechts- gelehrten in Europa, ein gemeinschaftlicher Mittelpunkt für alle, die an jenem Werke mit oder ohne sociales Bewußtsein mitarbeiteten;
Dem Herrn Profeſſor Dr.Rudolph Gneiſt in Berlin.
Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, ſo weiß ich nicht, ob Sie es ſo ganz von Herzen hinnehmen werden, wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab, den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten ſchuldig ſind; denn Sie haben uns wiſſenſchaftlich das engliſche Leben und ſein Recht erobert, und wenn es früher ſchwer war, darüber zu reden, ſo iſt es jetzt noch ſchwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen, wie man England verſtehen muß. Aber indem ich danke, möchte ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszuſprechen, eine Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das denke, was, wie ich innig überzeugt bin, ſchon die nächſte Generation zu leiſten beſtimmt iſt.
Als zum erſten Mal die mächtige Geſtaltung des römiſchen Rechts die Alpen überſchritt und auch bei uns heimiſch wurde, da war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß eine Quelle des römiſchen Rechts, eine unerſchöpfliche Fundgrube für die Bauſteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, die ſich mühevoll aus der ſtän- diſchen herausarbeitete, der juriſtiſche Träger eines neuen ſocialen Lebens — es war zugleich ein geiſtiges Band für die Rechts- gelehrten in Europa, ein gemeinſchaftlicher Mittelpunkt für alle, die an jenem Werke mit oder ohne ſociales Bewußtſein mitarbeiteten;
<TEI><text><front><pbfacs="#f0011"n="[V]"/><divtype="dedication"><p><hirendition="#c">Dem Herrn Profeſſor<lb/><hirendition="#b"><hirendition="#aq">Dr.</hi><hirendition="#g">Rudolph Gneiſt</hi></hi><lb/>
in Berlin.</hi></p><lb/><p>Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, ſo<lb/>
weiß ich nicht, ob Sie es ſo ganz von Herzen hinnehmen werden,<lb/>
wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab,<lb/>
den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten ſchuldig ſind; denn Sie<lb/>
haben uns wiſſenſchaftlich das engliſche Leben und ſein Recht<lb/>
erobert, und wenn es früher ſchwer war, darüber zu reden, ſo<lb/>
iſt es jetzt noch ſchwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts<lb/>
in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen,<lb/>
wie man England verſtehen muß. Aber indem ich danke, möchte<lb/>
ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszuſprechen, eine<lb/>
Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das<lb/>
denke, was, wie ich innig überzeugt bin, ſchon die nächſte Generation<lb/>
zu leiſten beſtimmt iſt.</p><lb/><p>Als zum erſten Mal die mächtige Geſtaltung des römiſchen<lb/>
Rechts die Alpen überſchritt und auch bei uns heimiſch wurde, da<lb/>
war es anders in Europa. Das <hirendition="#aq">Corpus Juris</hi> war nicht bloß<lb/>
eine Quelle des römiſchen Rechts, eine unerſchöpfliche Fundgrube<lb/>
für die Bauſteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung<lb/>
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, die ſich mühevoll aus der ſtän-<lb/>
diſchen herausarbeitete, der juriſtiſche Träger eines neuen ſocialen<lb/>
Lebens — es war zugleich ein geiſtiges Band für die Rechts-<lb/>
gelehrten in Europa, ein gemeinſchaftlicher Mittelpunkt für alle,<lb/>
die an jenem Werke mit oder ohne ſociales Bewußtſein mitarbeiteten;<lb/></p></div></front></text></TEI>
[[V]/0011]
Dem Herrn Profeſſor
Dr. Rudolph Gneiſt
in Berlin.
Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, ſo
weiß ich nicht, ob Sie es ſo ganz von Herzen hinnehmen werden,
wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab,
den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten ſchuldig ſind; denn Sie
haben uns wiſſenſchaftlich das engliſche Leben und ſein Recht
erobert, und wenn es früher ſchwer war, darüber zu reden, ſo
iſt es jetzt noch ſchwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts
in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen,
wie man England verſtehen muß. Aber indem ich danke, möchte
ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszuſprechen, eine
Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das
denke, was, wie ich innig überzeugt bin, ſchon die nächſte Generation
zu leiſten beſtimmt iſt.
Als zum erſten Mal die mächtige Geſtaltung des römiſchen
Rechts die Alpen überſchritt und auch bei uns heimiſch wurde, da
war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß
eine Quelle des römiſchen Rechts, eine unerſchöpfliche Fundgrube
für die Bauſteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung
der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, die ſich mühevoll aus der ſtän-
diſchen herausarbeitete, der juriſtiſche Träger eines neuen ſocialen
Lebens — es war zugleich ein geiſtiges Band für die Rechts-
gelehrten in Europa, ein gemeinſchaftlicher Mittelpunkt für alle,
die an jenem Werke mit oder ohne ſociales Bewußtſein mitarbeiteten;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/11>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.