Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite
C. Das Vereinswesen.
I. Begriff und System.

Der Begriff des Vereinswesens im weitesten Sinne umfaßt alle
Formen, in denen sich Einzelne zu einem bestimmten Zweck freiwillig
verbinden. Das Vereinswesen als Theil der vollziehenden Gewalt da-
gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung
irgend einer Aufgabe der Verwaltung durch freie Verbindung
von Mitteln und Kräften ist. Dadurch tritt dieser Theil des Vereins-
wesens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs-
lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbesondere hinein, so
daß in der That die letztere ohne sie unvollständig erscheint. Der bis-
herige Entwicklungsgang in Gesetzgebung und Literatur macht es aber
nothwendig, das ganze System des Vereinswesens zu übersehen, um
einen festen Boden für das Vereinsrecht zu finden.

Die untersten Formen der menschlichen Vereinigungen entstehen
theils durch das natürliche Element des Geschlechts in Ehe und Familie,
theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens
in der Communio und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide
dem eigentlichen Vereinswesen nicht an.

Das eigentliche Vereinswesen beginnt, wenn man in dem Verein
die Elemente eines selbständigen persönlichen Lebens erkennt, also nebst
dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That.
Erst auf dieser Grundlage ist ein System des Vereinswesens möglich.
Innerhalb dieses Systems entstehen dann die Arten der Vereinigungen
und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches sie sich setzen.

Gemeinschaften nennen wir diejenigen Formen der Vereini-
gung, welche nur durch das materielle Element, den Besitz, entstehen,
und daher wesentlich einen historischen Charakter haben. Eben dadurch
bilden sie den Uebergang zu den Corporationen.

Versammlungen sind diejenigen Vereinigungen, welche nur
dazu dienen, eine gemeinsame Ansicht auszusprechen; ihr Inhalt ist
rein geistiger Natur; sie bilden den Uebergang zu den Vertretungen.

Die Gesellschaften sind diejenigen Vereinigungen, die um des
Erwerbes ihrer Mitglieder willen entstanden sind, und bei denen daher
die Vereinigung nur das Mittel für diese wirthschaftlichen Erwerbs-
zwecke der Einzelnen sind. Das sind die stille, die offene und die
Commandit-Gesellschaft.

Die Aktiengesellschaften bilden den Uebergang zu den eigent-
lichen Vereinen, indem der Zweck stets der Erwerb der Gesellschafter

C. Das Vereinsweſen.
I. Begriff und Syſtem.

Der Begriff des Vereinsweſens im weiteſten Sinne umfaßt alle
Formen, in denen ſich Einzelne zu einem beſtimmten Zweck freiwillig
verbinden. Das Vereinsweſen als Theil der vollziehenden Gewalt da-
gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung
irgend einer Aufgabe der Verwaltung durch freie Verbindung
von Mitteln und Kräften iſt. Dadurch tritt dieſer Theil des Vereins-
weſens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs-
lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbeſondere hinein, ſo
daß in der That die letztere ohne ſie unvollſtändig erſcheint. Der bis-
herige Entwicklungsgang in Geſetzgebung und Literatur macht es aber
nothwendig, das ganze Syſtem des Vereinsweſens zu überſehen, um
einen feſten Boden für das Vereinsrecht zu finden.

Die unterſten Formen der menſchlichen Vereinigungen entſtehen
theils durch das natürliche Element des Geſchlechts in Ehe und Familie,
theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens
in der Communio und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide
dem eigentlichen Vereinsweſen nicht an.

Das eigentliche Vereinsweſen beginnt, wenn man in dem Verein
die Elemente eines ſelbſtändigen perſönlichen Lebens erkennt, alſo nebſt
dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That.
Erſt auf dieſer Grundlage iſt ein Syſtem des Vereinsweſens möglich.
Innerhalb dieſes Syſtems entſtehen dann die Arten der Vereinigungen
und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches ſie ſich ſetzen.

Gemeinſchaften nennen wir diejenigen Formen der Vereini-
gung, welche nur durch das materielle Element, den Beſitz, entſtehen,
und daher weſentlich einen hiſtoriſchen Charakter haben. Eben dadurch
bilden ſie den Uebergang zu den Corporationen.

Verſammlungen ſind diejenigen Vereinigungen, welche nur
dazu dienen, eine gemeinſame Anſicht auszuſprechen; ihr Inhalt iſt
rein geiſtiger Natur; ſie bilden den Uebergang zu den Vertretungen.

Die Geſellſchaften ſind diejenigen Vereinigungen, die um des
Erwerbes ihrer Mitglieder willen entſtanden ſind, und bei denen daher
die Vereinigung nur das Mittel für dieſe wirthſchaftlichen Erwerbs-
zwecke der Einzelnen ſind. Das ſind die ſtille, die offene und die
Commandit-Geſellſchaft.

Die Aktiengeſellſchaften bilden den Uebergang zu den eigent-
lichen Vereinen, indem der Zweck ſtets der Erwerb der Geſellſchafter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0056" n="32"/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">C.</hi><hi rendition="#g">Das Vereinswe&#x017F;en</hi>.</hi> </head><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Begriff und Sy&#x017F;tem.</hi> </head><lb/>
                <p>Der Begriff des Vereinswe&#x017F;ens im <hi rendition="#g">weite&#x017F;ten</hi> Sinne umfaßt alle<lb/>
Formen, in denen &#x017F;ich Einzelne zu einem be&#x017F;timmten Zweck freiwillig<lb/>
verbinden. Das Vereinswe&#x017F;en als Theil der vollziehenden Gewalt da-<lb/>
gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung<lb/>
irgend einer <hi rendition="#g">Aufgabe der Verwaltung</hi> durch freie Verbindung<lb/>
von Mitteln und Kräften i&#x017F;t. Dadurch tritt die&#x017F;er Theil des Vereins-<lb/>
we&#x017F;ens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs-<lb/>
lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbe&#x017F;ondere hinein, &#x017F;o<lb/>
daß in der That die letztere ohne &#x017F;ie unvoll&#x017F;tändig er&#x017F;cheint. Der bis-<lb/>
herige Entwicklungsgang in Ge&#x017F;etzgebung und Literatur macht es aber<lb/>
nothwendig, das ganze Sy&#x017F;tem des Vereinswe&#x017F;ens zu über&#x017F;ehen, um<lb/>
einen fe&#x017F;ten Boden für das Vereinsrecht zu finden.</p><lb/>
                <p>Die unter&#x017F;ten Formen der men&#x017F;chlichen Vereinigungen ent&#x017F;tehen<lb/>
theils durch das natürliche Element des Ge&#x017F;chlechts in Ehe und Familie,<lb/>
theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens<lb/>
in der <hi rendition="#aq">Communio</hi> und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide<lb/>
dem eigentlichen Vereinswe&#x017F;en <hi rendition="#g">nicht</hi> an.</p><lb/>
                <p>Das eigentliche Vereinswe&#x017F;en beginnt, wenn man in dem Verein<lb/>
die Elemente eines &#x017F;elb&#x017F;tändigen per&#x017F;önlichen Lebens erkennt, al&#x017F;o neb&#x017F;t<lb/>
dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That.<lb/>
Er&#x017F;t auf die&#x017F;er Grundlage i&#x017F;t ein Sy&#x017F;tem des Vereinswe&#x017F;ens möglich.<lb/>
Innerhalb die&#x017F;es Sy&#x017F;tems ent&#x017F;tehen dann die <hi rendition="#g">Arten</hi> der Vereinigungen<lb/>
und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;etzen.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#g">Gemein&#x017F;chaften</hi> nennen wir diejenigen Formen der Vereini-<lb/>
gung, welche nur durch das materielle Element, den Be&#x017F;itz, ent&#x017F;tehen,<lb/>
und daher we&#x017F;entlich einen hi&#x017F;tori&#x017F;chen Charakter haben. Eben dadurch<lb/>
bilden &#x017F;ie den Uebergang zu den Corporationen.</p><lb/>
                <p><hi rendition="#g">Ver&#x017F;ammlungen</hi> &#x017F;ind diejenigen Vereinigungen, welche nur<lb/>
dazu dienen, eine gemein&#x017F;ame An&#x017F;icht auszu&#x017F;prechen; ihr Inhalt i&#x017F;t<lb/>
rein gei&#x017F;tiger Natur; &#x017F;ie bilden den Uebergang zu den Vertretungen.</p><lb/>
                <p>Die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften</hi> &#x017F;ind diejenigen Vereinigungen, die um des<lb/>
Erwerbes ihrer Mitglieder willen ent&#x017F;tanden &#x017F;ind, und bei denen daher<lb/>
die Vereinigung nur das Mittel für die&#x017F;e wirth&#x017F;chaftlichen Erwerbs-<lb/>
zwecke der Einzelnen &#x017F;ind. Das &#x017F;ind die &#x017F;tille, die offene und die<lb/>
Commandit-Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft.</p><lb/>
                <p>Die <hi rendition="#g">Aktienge&#x017F;ell&#x017F;chaften</hi> bilden den Uebergang zu den eigent-<lb/>
lichen Vereinen, indem der Zweck &#x017F;tets der Erwerb der Ge&#x017F;ell&#x017F;chafter<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0056] C. Das Vereinsweſen. I. Begriff und Syſtem. Der Begriff des Vereinsweſens im weiteſten Sinne umfaßt alle Formen, in denen ſich Einzelne zu einem beſtimmten Zweck freiwillig verbinden. Das Vereinsweſen als Theil der vollziehenden Gewalt da- gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung irgend einer Aufgabe der Verwaltung durch freie Verbindung von Mitteln und Kräften iſt. Dadurch tritt dieſer Theil des Vereins- weſens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs- lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbeſondere hinein, ſo daß in der That die letztere ohne ſie unvollſtändig erſcheint. Der bis- herige Entwicklungsgang in Geſetzgebung und Literatur macht es aber nothwendig, das ganze Syſtem des Vereinsweſens zu überſehen, um einen feſten Boden für das Vereinsrecht zu finden. Die unterſten Formen der menſchlichen Vereinigungen entſtehen theils durch das natürliche Element des Geſchlechts in Ehe und Familie, theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens in der Communio und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide dem eigentlichen Vereinsweſen nicht an. Das eigentliche Vereinsweſen beginnt, wenn man in dem Verein die Elemente eines ſelbſtändigen perſönlichen Lebens erkennt, alſo nebſt dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That. Erſt auf dieſer Grundlage iſt ein Syſtem des Vereinsweſens möglich. Innerhalb dieſes Syſtems entſtehen dann die Arten der Vereinigungen und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches ſie ſich ſetzen. Gemeinſchaften nennen wir diejenigen Formen der Vereini- gung, welche nur durch das materielle Element, den Beſitz, entſtehen, und daher weſentlich einen hiſtoriſchen Charakter haben. Eben dadurch bilden ſie den Uebergang zu den Corporationen. Verſammlungen ſind diejenigen Vereinigungen, welche nur dazu dienen, eine gemeinſame Anſicht auszuſprechen; ihr Inhalt iſt rein geiſtiger Natur; ſie bilden den Uebergang zu den Vertretungen. Die Geſellſchaften ſind diejenigen Vereinigungen, die um des Erwerbes ihrer Mitglieder willen entſtanden ſind, und bei denen daher die Vereinigung nur das Mittel für dieſe wirthſchaftlichen Erwerbs- zwecke der Einzelnen ſind. Das ſind die ſtille, die offene und die Commandit-Geſellſchaft. Die Aktiengeſellſchaften bilden den Uebergang zu den eigent- lichen Vereinen, indem der Zweck ſtets der Erwerb der Geſellſchafter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/56
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/56>, abgerufen am 25.11.2024.