erreichen, sind zweifacher Natur. Zuerst bilden sie durch regelmäßige Beiträge einen Unterstützungsfonds für die Arbeiter, welche durch die systematisch von der Verbindung ausgehende Niederlegung der Arbeit ihren Unterhalt verlieren. Dann aber streben sie das Bewußtsein des Arbeiterstandes durch Presse und Vorträge zu heben, und ihnen geistig den Kampf mit dem Capitale möglich zu machen. Ihre Rechtsbasis ist der Satz, daß die Arbeit frei ist. Ihr Verfahren ist der Versuch, nach geschehener Niederlegung mit den Unternehmern in Verhandlung zu treten, und die Lohnerhöhung -- oft auch andere Wünsche -- da- durch vertragsmäßig zu erzielen. Die Verwaltung ihrerseits kann einer- seits die durch dieses System entstehende Gefahr für die wirthschaftliche Ordnung nicht verkennen, indem nicht bloß Noth und Armuth vieler Einzelnen, sondern auch eine systematische Ausbeutung des Capitals durch die Arbeit dadurch entsteht. Es ist daher erklärlich, daß sie an- fangs das Entstehen und die Wirksamkeit solcher Vereine zu hindern sucht. Allein sie erkennt bald, daß ihre Bestrebungen in dieser Rich- tung einerseits nichts nützen, und zweitens, daß sie die freie Selbstbe- stimmung der Arbeiter nicht hindern kann, ohne überhaupt die Frei- heit der Volkswirthschaft aufzuheben. Die natürliche Entwicklung des öffentlichen Rechts hat daher den in den meisten Gesetzgebungen auch schon formell anerkannten Grundsatz erzeugt, daß die Arbeiterverbin- dungen an sich frei sein, aber unter den allgemeinen Rechtsprincipien des Versammlungs- und Vereinsrechts stehen sollen. Diese aber sind volle Oeffentlichkeit jedes Theiles ihrer Verhandlungen, und Aufhebung des Vereins nebst Bestrafung der Mitglieder, wenn er die Anwendung von direkten oder indirekten Zwangsmitteln gegen Mitglieder oder Dritte für seine Zwecke beschließt oder durchführt. Ein festes System in dieser Beziehung ist noch nicht gewonnen. Es wird eine der großen Aufgaben der nächsten Zukunft sein, ein allgemeines Rechtsbewußtsein über diese bedeutsame Frage zu bilden, und die Rechts- principien im Einzelnen mit Maß und Nachdruck zugleich durchzuführen. Die wahre Lösung derselben aber liegt auch hier in der Idee der Harmonie der Interessen, welche nicht bloß örtlich, sondern volkswirth- schaftlich nachweist, daß wenn die eine Bedingung des wirthschaftlichen Fortschrittes allerdings die Funktion des großen Capitals ist, die zweite in der Fähigkeit der Arbeit liegt, durch sich selbst zur wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Unabhängigkeit zu gelangen. Hier aber, wie bei andern großen Fragen, beginnt das wahre Verständniß der gegebenen Zustände und Bewegungen damit, daß man alles Gegenwärtige als ein Entwicklungsstadium der Zukunft erkennt, die uns das Falsche wie das Gute allein richtig messen lehrt.
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 30
erreichen, ſind zweifacher Natur. Zuerſt bilden ſie durch regelmäßige Beiträge einen Unterſtützungsfonds für die Arbeiter, welche durch die ſyſtematiſch von der Verbindung ausgehende Niederlegung der Arbeit ihren Unterhalt verlieren. Dann aber ſtreben ſie das Bewußtſein des Arbeiterſtandes durch Preſſe und Vorträge zu heben, und ihnen geiſtig den Kampf mit dem Capitale möglich zu machen. Ihre Rechtsbaſis iſt der Satz, daß die Arbeit frei iſt. Ihr Verfahren iſt der Verſuch, nach geſchehener Niederlegung mit den Unternehmern in Verhandlung zu treten, und die Lohnerhöhung — oft auch andere Wünſche — da- durch vertragsmäßig zu erzielen. Die Verwaltung ihrerſeits kann einer- ſeits die durch dieſes Syſtem entſtehende Gefahr für die wirthſchaftliche Ordnung nicht verkennen, indem nicht bloß Noth und Armuth vieler Einzelnen, ſondern auch eine ſyſtematiſche Ausbeutung des Capitals durch die Arbeit dadurch entſteht. Es iſt daher erklärlich, daß ſie an- fangs das Entſtehen und die Wirkſamkeit ſolcher Vereine zu hindern ſucht. Allein ſie erkennt bald, daß ihre Beſtrebungen in dieſer Rich- tung einerſeits nichts nützen, und zweitens, daß ſie die freie Selbſtbe- ſtimmung der Arbeiter nicht hindern kann, ohne überhaupt die Frei- heit der Volkswirthſchaft aufzuheben. Die natürliche Entwicklung des öffentlichen Rechts hat daher den in den meiſten Geſetzgebungen auch ſchon formell anerkannten Grundſatz erzeugt, daß die Arbeiterverbin- dungen an ſich frei ſein, aber unter den allgemeinen Rechtsprincipien des Verſammlungs- und Vereinsrechts ſtehen ſollen. Dieſe aber ſind volle Oeffentlichkeit jedes Theiles ihrer Verhandlungen, und Aufhebung des Vereins nebſt Beſtrafung der Mitglieder, wenn er die Anwendung von direkten oder indirekten Zwangsmitteln gegen Mitglieder oder Dritte für ſeine Zwecke beſchließt oder durchführt. Ein feſtes Syſtem in dieſer Beziehung iſt noch nicht gewonnen. Es wird eine der großen Aufgaben der nächſten Zukunft ſein, ein allgemeines Rechtsbewußtſein über dieſe bedeutſame Frage zu bilden, und die Rechts- principien im Einzelnen mit Maß und Nachdruck zugleich durchzuführen. Die wahre Löſung derſelben aber liegt auch hier in der Idee der Harmonie der Intereſſen, welche nicht bloß örtlich, ſondern volkswirth- ſchaftlich nachweist, daß wenn die eine Bedingung des wirthſchaftlichen Fortſchrittes allerdings die Funktion des großen Capitals iſt, die zweite in der Fähigkeit der Arbeit liegt, durch ſich ſelbſt zur wirthſchaftlichen und geſellſchaftlichen Unabhängigkeit zu gelangen. Hier aber, wie bei andern großen Fragen, beginnt das wahre Verſtändniß der gegebenen Zuſtände und Bewegungen damit, daß man alles Gegenwärtige als ein Entwicklungsſtadium der Zukunft erkennt, die uns das Falſche wie das Gute allein richtig meſſen lehrt.
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 30
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ihren Unterhalt verlieren. Dann aber ſtreben ſie das Bewußtſein des
Arbeiterſtandes durch Preſſe und Vorträge zu heben, und ihnen geiſtig
den Kampf mit dem Capitale möglich zu machen. Ihre Rechtsbaſis iſt
der Satz, daß die Arbeit frei iſt. Ihr Verfahren iſt der Verſuch,
nach geſchehener Niederlegung mit den Unternehmern in Verhandlung
zu treten, und die Lohnerhöhung — oft auch andere Wünſche — da-
durch vertragsmäßig zu erzielen. Die Verwaltung ihrerſeits kann einer-
ſeits die durch dieſes Syſtem entſtehende Gefahr für die wirthſchaftliche
Ordnung nicht verkennen, indem nicht bloß Noth und Armuth vieler
Einzelnen, ſondern auch eine ſyſtematiſche Ausbeutung des Capitals
durch die Arbeit dadurch entſteht. Es iſt daher erklärlich, daß ſie an-
fangs das Entſtehen und die Wirkſamkeit ſolcher Vereine zu hindern
ſucht. Allein ſie erkennt bald, daß ihre Beſtrebungen in dieſer Rich-
tung einerſeits nichts nützen, und zweitens, daß ſie die freie Selbſtbe-
ſtimmung der Arbeiter nicht hindern kann, ohne überhaupt die Frei-
heit der Volkswirthſchaft aufzuheben. Die natürliche Entwicklung des
öffentlichen Rechts hat daher den in den meiſten Geſetzgebungen auch
ſchon formell anerkannten Grundſatz erzeugt, daß die Arbeiterverbin-
dungen an ſich frei ſein, aber unter den allgemeinen Rechtsprincipien
des Verſammlungs- und Vereinsrechts ſtehen ſollen. Dieſe aber ſind
volle Oeffentlichkeit jedes Theiles ihrer Verhandlungen, und
Aufhebung des Vereins nebſt Beſtrafung der Mitglieder, wenn er
die Anwendung von direkten oder indirekten Zwangsmitteln gegen
Mitglieder oder Dritte für ſeine Zwecke beſchließt oder durchführt. Ein
feſtes Syſtem in dieſer Beziehung iſt noch nicht gewonnen. Es wird
eine der großen Aufgaben der nächſten Zukunft ſein, ein allgemeines
Rechtsbewußtſein über dieſe bedeutſame Frage zu bilden, und die Rechts-
principien im Einzelnen mit Maß und Nachdruck zugleich durchzuführen.
Die wahre Löſung derſelben aber liegt auch hier in der Idee der
Harmonie der Intereſſen, welche nicht bloß örtlich, ſondern volkswirth-
ſchaftlich nachweist, daß wenn die eine Bedingung des wirthſchaftlichen
Fortſchrittes allerdings die Funktion des großen Capitals iſt, die zweite
in der Fähigkeit der Arbeit liegt, durch ſich ſelbſt zur wirthſchaftlichen
und geſellſchaftlichen Unabhängigkeit zu gelangen. Hier aber, wie bei
andern großen Fragen, beginnt das wahre Verſtändniß der gegebenen
Zuſtände und Bewegungen damit, daß man alles Gegenwärtige als
ein Entwicklungsſtadium der Zukunft erkennt, die uns das Falſche wie
das Gute allein richtig meſſen lehrt.
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 30
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/481>, abgerufen am 26.11.2024.
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