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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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wird und deßhalb unter die Waisenpflege fällt. Der Werth der ge-
heimen Aufnahme der Neugeborenen (Drehladen) beruht daher am
letzten Ende auf der Frage, ob dieselbe jene Zwecke auch wirklich er-
füllen; und mit Recht erscheint daher das von der Waisenpflege ge-
trennte
Findelwesen vielmehr als eine Anstalt der Sicherheitspolizei
als der Armenpflege. Die Statistik zeigt nun, daß die eigenen Findel-
häuser jene Zwecke eben nicht erfüllen, indem sie weder Kindesmorde
noch Abtreibungen vermindern. Es kommt daher darauf an, das Findel-
wesen auf die Aufnahme in die erste Abtheilung der Waisenhäuser
(a bureau ouvert) zu reduciren, alle übrigen Bestimmungen über
Findlinge dagegen mit denen über die veredelte Waisenpflege in
ein Ganzes zu verschmelzen.

In England Versuche seit dem 18. Jahrhundert; das Londoner Findel-
haus 1756 als Staatsanstalt mit Beibehaltung der Kinder bis zum fünfzehnten
Jahre; Literatur und Kampf über dasselbe bei Gerando II. 196--276 und 348.
-- In Frankreich seit dem 16. Jahrhundert; Recht der Findlinge in der
Const. von 1791 anerkannt (I. 15). Später Organisation der Hospices des
enfants trouves
(Gerando II. 271 ff.). Decret vom 19. Jan. 1841 über en-
fants abandonnes.
Andere Länder ebend. 284 ff. -- In Deutschland Ver-
bindung mit den Gebäranstalten; die Frage selbst wesentlich vom polizeilichen
Gesichtspunkt aufgefaßt (Rau II. 355), sonst mit der der Waisenhäuser iden-
tificirt (Mohl, Polizeiwissenschaft I. 63). Eigene Gesetzgebungen mangeln.
Vergl. Franz Hügel, das Findelwesen Europas, Jahrbuch für Gesetzkunde
und Statistik 1862. S. 272; besonders aber dessen gründliches Werk: die
Findelhäuser und das Findelwesen Europas 1863. -- Findelaufsicht in Oester-
reich: Stubenrauch II. 266.

c) Krippen und Warteschulen.

Waisenhäuser und Findelhäuser haben es nur mit der wirklichen
Noth der Armenkinder zu thun; da aber, wo statt der wirklichen Noth
vermöge der Zustände der Familie, sei es verschuldet oder unverschuldet,
nur noch die Gefahr des Versinkens der ungeschützten Kinder ein
physisches und sittliches Verkommen entsteht, treten die Krippen und
die Warteschulen ein. Ihre Aufgabe ist es, die erste Kinder-
erziehung da zu ersetzen, wo die Lage oder die Beschäftigung der
Eltern es nicht möglich machen. Sie sind natürlich in dem Grade noth-
wendiger, in welchem die Eltern mehr vom Hause entfernt sind, und
in dem Grade wichtiger, in welchem die Dichtigkeit der Arbeiterbevöl-
kerung zunimmt. Sie sind bis jetzt nur noch durch das Vereinswesen
entstanden und erhalten. Es wird und muß aber die Zeit kommen,
wo die Krippen und Warteschulen mit dem großen Segen, den sie über

wird und deßhalb unter die Waiſenpflege fällt. Der Werth der ge-
heimen Aufnahme der Neugeborenen (Drehladen) beruht daher am
letzten Ende auf der Frage, ob dieſelbe jene Zwecke auch wirklich er-
füllen; und mit Recht erſcheint daher das von der Waiſenpflege ge-
trennte
Findelweſen vielmehr als eine Anſtalt der Sicherheitspolizei
als der Armenpflege. Die Statiſtik zeigt nun, daß die eigenen Findel-
häuſer jene Zwecke eben nicht erfüllen, indem ſie weder Kindesmorde
noch Abtreibungen vermindern. Es kommt daher darauf an, das Findel-
weſen auf die Aufnahme in die erſte Abtheilung der Waiſenhäuſer
(à bureau ouvert) zu reduciren, alle übrigen Beſtimmungen über
Findlinge dagegen mit denen über die veredelte Waiſenpflege in
ein Ganzes zu verſchmelzen.

In England Verſuche ſeit dem 18. Jahrhundert; das Londoner Findel-
haus 1756 als Staatsanſtalt mit Beibehaltung der Kinder bis zum fünfzehnten
Jahre; Literatur und Kampf über daſſelbe bei Gerando II. 196—276 und 348.
— In Frankreich ſeit dem 16. Jahrhundert; Recht der Findlinge in der
Conſt. von 1791 anerkannt (I. 15). Später Organiſation der Hospices des
enfants trouvés
(Gerando II. 271 ff.). Decret vom 19. Jan. 1841 über en-
fants abandonnés.
Andere Länder ebend. 284 ff. — In Deutſchland Ver-
bindung mit den Gebäranſtalten; die Frage ſelbſt weſentlich vom polizeilichen
Geſichtspunkt aufgefaßt (Rau II. 355), ſonſt mit der der Waiſenhäuſer iden-
tificirt (Mohl, Polizeiwiſſenſchaft I. 63). Eigene Geſetzgebungen mangeln.
Vergl. Franz Hügel, das Findelweſen Europas, Jahrbuch für Geſetzkunde
und Statiſtik 1862. S. 272; beſonders aber deſſen gründliches Werk: die
Findelhäuſer und das Findelweſen Europas 1863. — Findelaufſicht in Oeſter-
reich: Stubenrauch II. 266.

c) Krippen und Warteſchulen.

Waiſenhäuſer und Findelhäuſer haben es nur mit der wirklichen
Noth der Armenkinder zu thun; da aber, wo ſtatt der wirklichen Noth
vermöge der Zuſtände der Familie, ſei es verſchuldet oder unverſchuldet,
nur noch die Gefahr des Verſinkens der ungeſchützten Kinder ein
phyſiſches und ſittliches Verkommen entſteht, treten die Krippen und
die Warteſchulen ein. Ihre Aufgabe iſt es, die erſte Kinder-
erziehung da zu erſetzen, wo die Lage oder die Beſchäftigung der
Eltern es nicht möglich machen. Sie ſind natürlich in dem Grade noth-
wendiger, in welchem die Eltern mehr vom Hauſe entfernt ſind, und
in dem Grade wichtiger, in welchem die Dichtigkeit der Arbeiterbevöl-
kerung zunimmt. Sie ſind bis jetzt nur noch durch das Vereinsweſen
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[434/0458] wird und deßhalb unter die Waiſenpflege fällt. Der Werth der ge- heimen Aufnahme der Neugeborenen (Drehladen) beruht daher am letzten Ende auf der Frage, ob dieſelbe jene Zwecke auch wirklich er- füllen; und mit Recht erſcheint daher das von der Waiſenpflege ge- trennte Findelweſen vielmehr als eine Anſtalt der Sicherheitspolizei als der Armenpflege. Die Statiſtik zeigt nun, daß die eigenen Findel- häuſer jene Zwecke eben nicht erfüllen, indem ſie weder Kindesmorde noch Abtreibungen vermindern. Es kommt daher darauf an, das Findel- weſen auf die Aufnahme in die erſte Abtheilung der Waiſenhäuſer (à bureau ouvert) zu reduciren, alle übrigen Beſtimmungen über Findlinge dagegen mit denen über die veredelte Waiſenpflege in ein Ganzes zu verſchmelzen. In England Verſuche ſeit dem 18. Jahrhundert; das Londoner Findel- haus 1756 als Staatsanſtalt mit Beibehaltung der Kinder bis zum fünfzehnten Jahre; Literatur und Kampf über daſſelbe bei Gerando II. 196—276 und 348. — In Frankreich ſeit dem 16. Jahrhundert; Recht der Findlinge in der Conſt. von 1791 anerkannt (I. 15). Später Organiſation der Hospices des enfants trouvés (Gerando II. 271 ff.). Decret vom 19. Jan. 1841 über en- fants abandonnés. Andere Länder ebend. 284 ff. — In Deutſchland Ver- bindung mit den Gebäranſtalten; die Frage ſelbſt weſentlich vom polizeilichen Geſichtspunkt aufgefaßt (Rau II. 355), ſonſt mit der der Waiſenhäuſer iden- tificirt (Mohl, Polizeiwiſſenſchaft I. 63). Eigene Geſetzgebungen mangeln. Vergl. Franz Hügel, das Findelweſen Europas, Jahrbuch für Geſetzkunde und Statiſtik 1862. S. 272; beſonders aber deſſen gründliches Werk: die Findelhäuſer und das Findelweſen Europas 1863. — Findelaufſicht in Oeſter- reich: Stubenrauch II. 266. c) Krippen und Warteſchulen. Waiſenhäuſer und Findelhäuſer haben es nur mit der wirklichen Noth der Armenkinder zu thun; da aber, wo ſtatt der wirklichen Noth vermöge der Zuſtände der Familie, ſei es verſchuldet oder unverſchuldet, nur noch die Gefahr des Verſinkens der ungeſchützten Kinder ein phyſiſches und ſittliches Verkommen entſteht, treten die Krippen und die Warteſchulen ein. Ihre Aufgabe iſt es, die erſte Kinder- erziehung da zu erſetzen, wo die Lage oder die Beſchäftigung der Eltern es nicht möglich machen. Sie ſind natürlich in dem Grade noth- wendiger, in welchem die Eltern mehr vom Hauſe entfernt ſind, und in dem Grade wichtiger, in welchem die Dichtigkeit der Arbeiterbevöl- kerung zunimmt. Sie ſind bis jetzt nur noch durch das Vereinsweſen entſtanden und erhalten. Es wird und muß aber die Zeit kommen, wo die Krippen und Warteſchulen mit dem großen Segen, den ſie über

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/458>, abgerufen am 23.11.2024.