ist, und andererseits vermöge der Verschiedenheit der Verhältnisse, welche es umfaßt, durch verschiedene Organe verwaltet werden muß. Sie ist von hoher Wichtigkeit, aber bisher nur wenig selbständig behandelt. Ihr inniger Zusammenhang mit dem ganzen Leben der Völker gibt ihr wieder in jedem Staate einen individuellen Charakter; jedoch sind die Elemente derselben stets die gleichen. Zu dem Ende ist es allerdings nothwendig, dieselbe auf die Grundformen aller Vollziehung zurückzu- führen, statt bei allgemeinen Grundsätzen stehen zu bleiben. Darnach gestaltet sich dieselbe in folgender Weise.
I. Die Armengesetzgebung hat auch hier die Aufgabe, das Gleichartige in dem gesammten Armenwesen festzustellen; die Regie- rung ihrerseits soll die von der Gesetzgebung aufgestellten allgemeinen Regeln zur gleichmäßigen Durchführung bringen. Beide entstehen eben deßhalb erst dann, wenn die Armuth nicht mehr örtlich auftritt, son- dern als allgemeiner Zustand erscheint. Sie gehört daher der neueren Zeit an; es ist aber eben deßhalb klar, daß die Gesetzgebung stets zu- gleich das Hülfswesen direkt oder indirekt mit umfaßt, während die Regierung in ihrem Recht und ihrer Funktion wesentlich durch die Rechtsbildung und Thätigkeit der folgenden Organe bestimmt wird. Demnach ist es klar, daß die centrale Verwaltung, eine Oberbehörde für das Armenwesen, in dem Grade nothwendiger wird, je mehr die Elemente des Hülfswesens in dasselbe aufgenommen, und je mehr sich das gesellschaftliche Armenwesen aus dem rein wirthschaftlichen entwickelt.
II. Den zweiten großen Organismus der Armenverwaltung bilden die Selbstverwaltungskörper. Sie sind die eigentlichen Träger des Armenwesens. Auch hier sind Landschaft, Gemeinde und Stiftungen zu scheiden, weil nicht bloß jedes derselben seine eigene Organisation, sondern auch seinen eigenen Charakter hat. Die Landschaften haben einerseits diejenigen Aufgaben, welche für die Gemeinden und Stif- tungen zu groß sind; andererseits sollen sie die Oberaufsicht über die Armenverwaltung der beiden letzteren haben, und es sollte in jeder Landschaft dafür ein eigenes Organ bestimmt sein. Die Gemeinde hat das örtliche Armenwesen zu verwalten und zwar auf der Grund- lage, daß in jedem Gemeinderath eine eigene Sektion dafür bestimmt sein muß, während die wirkliche Ausübung der Armenpflege im Ein- zelnen wieder auf dem Organismus der Armenväter beruhen soll. Die Stiftungen endlich sind für ihren speciellen Zweck bestimmt, und empfangen die Organisation deßhalb theils durch die Stiftungs- urkunde, theils aber da, wo sie wie die Hospitäler u. s. w. zum Theil von den Gemeinden mit erhalten werden, unter Mitwirkung der
iſt, und andererſeits vermöge der Verſchiedenheit der Verhältniſſe, welche es umfaßt, durch verſchiedene Organe verwaltet werden muß. Sie iſt von hoher Wichtigkeit, aber bisher nur wenig ſelbſtändig behandelt. Ihr inniger Zuſammenhang mit dem ganzen Leben der Völker gibt ihr wieder in jedem Staate einen individuellen Charakter; jedoch ſind die Elemente derſelben ſtets die gleichen. Zu dem Ende iſt es allerdings nothwendig, dieſelbe auf die Grundformen aller Vollziehung zurückzu- führen, ſtatt bei allgemeinen Grundſätzen ſtehen zu bleiben. Darnach geſtaltet ſich dieſelbe in folgender Weiſe.
I. Die Armengeſetzgebung hat auch hier die Aufgabe, das Gleichartige in dem geſammten Armenweſen feſtzuſtellen; die Regie- rung ihrerſeits ſoll die von der Geſetzgebung aufgeſtellten allgemeinen Regeln zur gleichmäßigen Durchführung bringen. Beide entſtehen eben deßhalb erſt dann, wenn die Armuth nicht mehr örtlich auftritt, ſon- dern als allgemeiner Zuſtand erſcheint. Sie gehört daher der neueren Zeit an; es iſt aber eben deßhalb klar, daß die Geſetzgebung ſtets zu- gleich das Hülfsweſen direkt oder indirekt mit umfaßt, während die Regierung in ihrem Recht und ihrer Funktion weſentlich durch die Rechtsbildung und Thätigkeit der folgenden Organe beſtimmt wird. Demnach iſt es klar, daß die centrale Verwaltung, eine Oberbehörde für das Armenweſen, in dem Grade nothwendiger wird, je mehr die Elemente des Hülfsweſens in daſſelbe aufgenommen, und je mehr ſich das geſellſchaftliche Armenweſen aus dem rein wirthſchaftlichen entwickelt.
II. Den zweiten großen Organismus der Armenverwaltung bilden die Selbſtverwaltungskörper. Sie ſind die eigentlichen Träger des Armenweſens. Auch hier ſind Landſchaft, Gemeinde und Stiftungen zu ſcheiden, weil nicht bloß jedes derſelben ſeine eigene Organiſation, ſondern auch ſeinen eigenen Charakter hat. Die Landſchaften haben einerſeits diejenigen Aufgaben, welche für die Gemeinden und Stif- tungen zu groß ſind; andererſeits ſollen ſie die Oberaufſicht über die Armenverwaltung der beiden letzteren haben, und es ſollte in jeder Landſchaft dafür ein eigenes Organ beſtimmt ſein. Die Gemeinde hat das örtliche Armenweſen zu verwalten und zwar auf der Grund- lage, daß in jedem Gemeinderath eine eigene Sektion dafür beſtimmt ſein muß, während die wirkliche Ausübung der Armenpflege im Ein- zelnen wieder auf dem Organismus der Armenväter beruhen ſoll. Die Stiftungen endlich ſind für ihren ſpeciellen Zweck beſtimmt, und empfangen die Organiſation deßhalb theils durch die Stiftungs- urkunde, theils aber da, wo ſie wie die Hoſpitäler u. ſ. w. zum Theil von den Gemeinden mit erhalten werden, unter Mitwirkung der
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Ihr inniger Zuſammenhang mit dem ganzen Leben der Völker gibt ihr
wieder in jedem Staate einen individuellen Charakter; jedoch ſind die
Elemente derſelben ſtets die gleichen. Zu dem Ende iſt es allerdings
nothwendig, dieſelbe auf die Grundformen aller Vollziehung zurückzu-
führen, ſtatt bei allgemeinen Grundſätzen ſtehen zu bleiben. Darnach
geſtaltet ſich dieſelbe in folgender Weiſe.
I. Die Armengeſetzgebung hat auch hier die Aufgabe, das
Gleichartige in dem geſammten Armenweſen feſtzuſtellen; die Regie-
rung ihrerſeits ſoll die von der Geſetzgebung aufgeſtellten allgemeinen
Regeln zur gleichmäßigen Durchführung bringen. Beide entſtehen eben
deßhalb erſt dann, wenn die Armuth nicht mehr örtlich auftritt, ſon-
dern als allgemeiner Zuſtand erſcheint. Sie gehört daher der neueren
Zeit an; es iſt aber eben deßhalb klar, daß die Geſetzgebung ſtets zu-
gleich das Hülfsweſen direkt oder indirekt mit umfaßt, während die
Regierung in ihrem Recht und ihrer Funktion weſentlich durch die
Rechtsbildung und Thätigkeit der folgenden Organe beſtimmt wird.
Demnach iſt es klar, daß die centrale Verwaltung, eine Oberbehörde
für das Armenweſen, in dem Grade nothwendiger wird, je mehr
die Elemente des Hülfsweſens in daſſelbe aufgenommen, und je mehr
ſich das geſellſchaftliche Armenweſen aus dem rein wirthſchaftlichen
entwickelt.
II. Den zweiten großen Organismus der Armenverwaltung bilden
die Selbſtverwaltungskörper. Sie ſind die eigentlichen Träger
des Armenweſens. Auch hier ſind Landſchaft, Gemeinde und Stiftungen
zu ſcheiden, weil nicht bloß jedes derſelben ſeine eigene Organiſation,
ſondern auch ſeinen eigenen Charakter hat. Die Landſchaften haben
einerſeits diejenigen Aufgaben, welche für die Gemeinden und Stif-
tungen zu groß ſind; andererſeits ſollen ſie die Oberaufſicht über die
Armenverwaltung der beiden letzteren haben, und es ſollte in jeder
Landſchaft dafür ein eigenes Organ beſtimmt ſein. Die Gemeinde
hat das örtliche Armenweſen zu verwalten und zwar auf der Grund-
lage, daß in jedem Gemeinderath eine eigene Sektion dafür beſtimmt
ſein muß, während die wirkliche Ausübung der Armenpflege im Ein-
zelnen wieder auf dem Organismus der Armenväter beruhen ſoll.
Die Stiftungen endlich ſind für ihren ſpeciellen Zweck beſtimmt,
und empfangen die Organiſation deßhalb theils durch die Stiftungs-
urkunde, theils aber da, wo ſie wie die Hoſpitäler u. ſ. w. zum Theil
von den Gemeinden mit erhalten werden, unter Mitwirkung der
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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