Verschmelzungen jener drei elementaren Grundverhältnisse; und eben so klar ist es, daß, da jene Elemente ja nicht nur einzelnen Persön- lichkeiten vermöge des Wesens der Menschen allein angehören, die- selben stets gleichzeitig vorhanden und auch gleichzeitig wirkend sind; so zwar, daß die Keime derselben in jedem Zustande vorhanden erscheinen. Es gibt Elemente der Stände- und der staatsbürgerlichen Ordnung in der Geschlechterordnung, Elemente der ersteren in den beiden anderen und so fort; eine vollkommene reine Ordnung hat es nie gegeben und wird es nie geben. Das aber ist keine bloß natür- liche Thatsache, sondern ist wieder der Ausdruck eines viel höheren Verhältnisses; denn die tiefere Betrachtung zeigt, daß jede dieser Ord- nungen zugleich eine sehr ethische Funktion hat. Die Geschlechter- ordnung erhebt die Ehre des Geschlechts zu einem Faktor des Strebens nach Ehrenhaftigkeit aller seiner Angehörigen; die Berufsordnung er- zeugt die Veredlung und Erhebung der geistigen Arbeit; die staats- bürgerliche Ordnung vertritt die Kraft und den Muth des individuellen Kampfes mit der Verschiedenheit und ihrem Einfluß auf den Menschen. So wirken sie gemeinsam; es ist ein großes organisches Gesetz, daß keine Ordnung die andere ganz zu ersetzen, und daß auch keine die andere ganz zu verdrängen vermag. Erst in der mächtigen und unerschöpflich reichen Wechselwirkung derselben erfüllt sich das Bild des menschlichen Lebens; und diese Ordnungen nun, ihr Princip, ihr Be- wußtsein, ihre Gestaltung und ihre Wechselwirkung bilden die Gesell- schaft. Die Wissenschaft aber von ihnen, die Erkenntniß der Herr- schaft von elementaren Begriffen und Gesetzen in diesem Leben der Gesellschaft ist die Wissenschaft der Gesellschaft, und die Dar- stellung derselben die Gesellschaftslehre.
Es ist bekannt genug, daß kein Begriff so unbestimmt ist, als der der Gesellschaft. Der einfachste Weg, zunächst zur Nothwendigkeit eines festen Be- griffes zu gelangen, ist wohl die historische Entwicklung der Bedeutung des Wortes. Erste Gestalt ist die Vorstellung von der societas des Jus naturae und der französischen societe; die menschliche Gemeinschaft überhaupt, mit dem Gefühle, daß sie Verschiedenheiten enthalte, die von höchster Bedeutung sind. Die zweite festere Gestalt beginnt da, wo der Socialismus und Communis- mus zeigen, daß sich diese Unterschiede zu den festen Classen der Besitzenden und Nichtbesitzenden gestalten, die wiederum in einem scharfen Gegensatze stehen, den man weder durch die bloße Nationalökonomie noch durch das Staatsrecht erschöpfen kann. Erstes Verständniß des ethischen Wesens des "Besitzes" (Stein, Socialismus und Communismus 1842). Die dritte Epoche beginnt mit der Erkenntniß, daß die Gesellschaft mit dem einfachen Gegensatz zwischen besitzen- der und nicht besitzender Classe nicht erschöpft ist, sondern daß diese Erscheinungen selbst wieder nur Theile eines größeren Lebens sind, welches die ganze
Verſchmelzungen jener drei elementaren Grundverhältniſſe; und eben ſo klar iſt es, daß, da jene Elemente ja nicht nur einzelnen Perſön- lichkeiten vermöge des Weſens der Menſchen allein angehören, die- ſelben ſtets gleichzeitig vorhanden und auch gleichzeitig wirkend ſind; ſo zwar, daß die Keime derſelben in jedem Zuſtande vorhanden erſcheinen. Es gibt Elemente der Stände- und der ſtaatsbürgerlichen Ordnung in der Geſchlechterordnung, Elemente der erſteren in den beiden anderen und ſo fort; eine vollkommene reine Ordnung hat es nie gegeben und wird es nie geben. Das aber iſt keine bloß natür- liche Thatſache, ſondern iſt wieder der Ausdruck eines viel höheren Verhältniſſes; denn die tiefere Betrachtung zeigt, daß jede dieſer Ord- nungen zugleich eine ſehr ethiſche Funktion hat. Die Geſchlechter- ordnung erhebt die Ehre des Geſchlechts zu einem Faktor des Strebens nach Ehrenhaftigkeit aller ſeiner Angehörigen; die Berufsordnung er- zeugt die Veredlung und Erhebung der geiſtigen Arbeit; die ſtaats- bürgerliche Ordnung vertritt die Kraft und den Muth des individuellen Kampfes mit der Verſchiedenheit und ihrem Einfluß auf den Menſchen. So wirken ſie gemeinſam; es iſt ein großes organiſches Geſetz, daß keine Ordnung die andere ganz zu erſetzen, und daß auch keine die andere ganz zu verdrängen vermag. Erſt in der mächtigen und unerſchöpflich reichen Wechſelwirkung derſelben erfüllt ſich das Bild des menſchlichen Lebens; und dieſe Ordnungen nun, ihr Princip, ihr Be- wußtſein, ihre Geſtaltung und ihre Wechſelwirkung bilden die Geſell- ſchaft. Die Wiſſenſchaft aber von ihnen, die Erkenntniß der Herr- ſchaft von elementaren Begriffen und Geſetzen in dieſem Leben der Geſellſchaft iſt die Wiſſenſchaft der Geſellſchaft, und die Dar- ſtellung derſelben die Geſellſchaftslehre.
Es iſt bekannt genug, daß kein Begriff ſo unbeſtimmt iſt, als der der Geſellſchaft. Der einfachſte Weg, zunächſt zur Nothwendigkeit eines feſten Be- griffes zu gelangen, iſt wohl die hiſtoriſche Entwicklung der Bedeutung des Wortes. Erſte Geſtalt iſt die Vorſtellung von der societas des Jus naturae und der franzöſiſchen société; die menſchliche Gemeinſchaft überhaupt, mit dem Gefühle, daß ſie Verſchiedenheiten enthalte, die von höchſter Bedeutung ſind. Die zweite feſtere Geſtalt beginnt da, wo der Socialismus und Communis- mus zeigen, daß ſich dieſe Unterſchiede zu den feſten Claſſen der Beſitzenden und Nichtbeſitzenden geſtalten, die wiederum in einem ſcharfen Gegenſatze ſtehen, den man weder durch die bloße Nationalökonomie noch durch das Staatsrecht erſchöpfen kann. Erſtes Verſtändniß des ethiſchen Weſens des „Beſitzes“ (Stein, Socialismus und Communismus 1842). Die dritte Epoche beginnt mit der Erkenntniß, daß die Geſellſchaft mit dem einfachen Gegenſatz zwiſchen beſitzen- der und nicht beſitzender Claſſe nicht erſchöpft iſt, ſondern daß dieſe Erſcheinungen ſelbſt wieder nur Theile eines größeren Lebens ſind, welches die ganze
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Verſchmelzungen jener drei elementaren Grundverhältniſſe; und eben
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ſelben ſtets gleichzeitig vorhanden und auch gleichzeitig wirkend
ſind; ſo zwar, daß die Keime derſelben in jedem Zuſtande vorhanden
erſcheinen. Es gibt Elemente der Stände- und der ſtaatsbürgerlichen
Ordnung in der Geſchlechterordnung, Elemente der erſteren in den
beiden anderen und ſo fort; eine vollkommene reine Ordnung hat es
nie gegeben und wird es nie geben. Das aber iſt keine bloß natür-
liche Thatſache, ſondern iſt wieder der Ausdruck eines viel höheren
Verhältniſſes; denn die tiefere Betrachtung zeigt, daß jede dieſer Ord-
nungen zugleich eine ſehr ethiſche Funktion hat. Die Geſchlechter-
ordnung erhebt die Ehre des Geſchlechts zu einem Faktor des Strebens
nach Ehrenhaftigkeit aller ſeiner Angehörigen; die Berufsordnung er-
zeugt die Veredlung und Erhebung der geiſtigen Arbeit; die ſtaats-
bürgerliche Ordnung vertritt die Kraft und den Muth des individuellen
Kampfes mit der Verſchiedenheit und ihrem Einfluß auf den Menſchen.
So wirken ſie gemeinſam; es iſt ein großes organiſches Geſetz, daß
keine Ordnung die andere ganz zu erſetzen, und daß auch keine die
andere ganz zu verdrängen vermag. Erſt in der mächtigen und
unerſchöpflich reichen Wechſelwirkung derſelben erfüllt ſich das Bild des
menſchlichen Lebens; und dieſe Ordnungen nun, ihr Princip, ihr Be-
wußtſein, ihre Geſtaltung und ihre Wechſelwirkung bilden die Geſell-
ſchaft. Die Wiſſenſchaft aber von ihnen, die Erkenntniß der Herr-
ſchaft von elementaren Begriffen und Geſetzen in dieſem Leben der
Geſellſchaft iſt die Wiſſenſchaft der Geſellſchaft, und die Dar-
ſtellung derſelben die Geſellſchaftslehre.
Es iſt bekannt genug, daß kein Begriff ſo unbeſtimmt iſt, als der der
Geſellſchaft. Der einfachſte Weg, zunächſt zur Nothwendigkeit eines feſten Be-
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Wortes. Erſte Geſtalt iſt die Vorſtellung von der societas des Jus naturae
und der franzöſiſchen société; die menſchliche Gemeinſchaft überhaupt, mit dem
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Die zweite feſtere Geſtalt beginnt da, wo der Socialismus und Communis-
mus zeigen, daß ſich dieſe Unterſchiede zu den feſten Claſſen der Beſitzenden
und Nichtbeſitzenden geſtalten, die wiederum in einem ſcharfen Gegenſatze ſtehen,
den man weder durch die bloße Nationalökonomie noch durch das Staatsrecht
erſchöpfen kann. Erſtes Verſtändniß des ethiſchen Weſens des „Beſitzes“ (Stein,
Socialismus und Communismus 1842). Die dritte Epoche beginnt mit der
Erkenntniß, daß die Geſellſchaft mit dem einfachen Gegenſatz zwiſchen beſitzen-
der und nicht beſitzender Claſſe nicht erſchöpft iſt, ſondern daß dieſe Erſcheinungen
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/419>, abgerufen am 23.11.2024.
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