nähern; er gewinnt seine äußere Selbständigkeit zunächst an der See, und erscheint als die Organisation des Völkerverkehrs; allein das öffent- liche Handelswesen, in welchem derselbe Gegenstand selbständiger Thätig- keit der Verwaltung wird, entsteht doch erst mit dem Auftreten des Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erscheint thatsächlich in dem Streben jedes Staats, an diesem Handel Theil zu nehmen, theoretisch in dem Grundsatz des Merkantilsystems, daß der Handel die Quelle des Reichthums sei oder doch sein solle. Von da an beginnt eine Reihe von Erscheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen. Die erste dieser Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige System von Grundsätzen und Maßregeln, dessen Verwirklichung der Staat als Aufgabe seiner Verwaltung gegenüber dem selbständigen Handelswesen anerkennt.
I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat auch für den Handel unmittelbar thätig sein solle, und auf der Ansicht, daß er die Basis des Reichthums der Staaten sei. Es ist die polizei- liche Epoche des Handelswesens. Sie will den Handel durch den Staat organisiren und produktiv machen. Sie findet nun die ständische Organisation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi- legien versehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu entstehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt sich daher an dieß Vorbild, und bildet die großen Gesellschaften, welche wir als die Handelscompagnien des siebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen, und in denen allen das Capital zu den großen transatlantischen Unter- nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthschaft- liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg. Einmal constituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf sie, aber dennoch sind sie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren zweiten Inhalt geben. Ihre große welthistorische Funktion ist es aller- dings zunächst, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen sie die Concurrenz der europäischen Staaten unter einander, und da- mit den Gedanken, daß auch in dieser Concurrenz jede Regierung trachten müsse, den europäischen Handel ihres Landes mit dem anderen so vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entsteht die Grundlage der europäischen Handelspolitik neben der transatlantischen der Handelscompagnien, und den Ausdruck derselben bildet die Idee der günstigen oder ungünstigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-
nähern; er gewinnt ſeine äußere Selbſtändigkeit zunächſt an der See, und erſcheint als die Organiſation des Völkerverkehrs; allein das öffent- liche Handelsweſen, in welchem derſelbe Gegenſtand ſelbſtändiger Thätig- keit der Verwaltung wird, entſteht doch erſt mit dem Auftreten des Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erſcheint thatſächlich in dem Streben jedes Staats, an dieſem Handel Theil zu nehmen, theoretiſch in dem Grundſatz des Merkantilſyſtems, daß der Handel die Quelle des Reichthums ſei oder doch ſein ſolle. Von da an beginnt eine Reihe von Erſcheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen. Die erſte dieſer Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige Syſtem von Grundſätzen und Maßregeln, deſſen Verwirklichung der Staat als Aufgabe ſeiner Verwaltung gegenüber dem ſelbſtändigen Handelsweſen anerkennt.
I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat auch für den Handel unmittelbar thätig ſein ſolle, und auf der Anſicht, daß er die Baſis des Reichthums der Staaten ſei. Es iſt die polizei- liche Epoche des Handelsweſens. Sie will den Handel durch den Staat organiſiren und produktiv machen. Sie findet nun die ſtändiſche Organiſation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi- legien verſehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu entſtehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt ſich daher an dieß Vorbild, und bildet die großen Geſellſchaften, welche wir als die Handelscompagnien des ſiebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen, und in denen allen das Capital zu den großen transatlantiſchen Unter- nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthſchaft- liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg. Einmal conſtituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf ſie, aber dennoch ſind ſie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren zweiten Inhalt geben. Ihre große welthiſtoriſche Funktion iſt es aller- dings zunächſt, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen ſie die Concurrenz der europäiſchen Staaten unter einander, und da- mit den Gedanken, daß auch in dieſer Concurrenz jede Regierung trachten müſſe, den europäiſchen Handel ihres Landes mit dem anderen ſo vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entſteht die Grundlage der europäiſchen Handelspolitik neben der transatlantiſchen der Handelscompagnien, und den Ausdruck derſelben bildet die Idee der günſtigen oder ungünſtigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-
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liche Handelsweſen, in welchem derſelbe Gegenſtand ſelbſtändiger Thätig-
keit der Verwaltung wird, entſteht doch erſt mit dem Auftreten des
Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erſcheint thatſächlich
in dem Streben jedes Staats, an dieſem Handel Theil zu nehmen,
theoretiſch in dem Grundſatz des Merkantilſyſtems, daß der Handel die
Quelle des Reichthums ſei oder doch ſein ſolle. Von da an beginnt
eine Reihe von Erſcheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen.
Die erſte dieſer Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die
zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige
Syſtem von Grundſätzen und Maßregeln, deſſen Verwirklichung der
Staat als Aufgabe ſeiner Verwaltung gegenüber dem ſelbſtändigen
Handelsweſen anerkennt.
I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat
auch für den Handel unmittelbar thätig ſein ſolle, und auf der Anſicht,
daß er die Baſis des Reichthums der Staaten ſei. Es iſt die polizei-
liche Epoche des Handelsweſens. Sie will den Handel durch den Staat
organiſiren und produktiv machen. Sie findet nun die ſtändiſche
Organiſation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt
in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters
vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi-
legien verſehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu
entſtehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt ſich daher an dieß
Vorbild, und bildet die großen Geſellſchaften, welche wir als die
Handelscompagnien des ſiebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen,
und in denen allen das Capital zu den großen transatlantiſchen Unter-
nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthſchaft-
liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg.
Einmal conſtituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf ſie,
aber dennoch ſind ſie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren
zweiten Inhalt geben. Ihre große welthiſtoriſche Funktion iſt es aller-
dings zunächſt, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit
des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen
ſie die Concurrenz der europäiſchen Staaten unter einander, und da-
mit den Gedanken, daß auch in dieſer Concurrenz jede Regierung
trachten müſſe, den europäiſchen Handel ihres Landes mit dem anderen
ſo vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entſteht die Grundlage
der europäiſchen Handelspolitik neben der transatlantiſchen der
Handelscompagnien, und den Ausdruck derſelben bildet die Idee der
günſtigen oder ungünſtigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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