Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

nähern; er gewinnt seine äußere Selbständigkeit zunächst an der See,
und erscheint als die Organisation des Völkerverkehrs; allein das öffent-
liche Handelswesen, in welchem derselbe Gegenstand selbständiger Thätig-
keit der Verwaltung wird, entsteht doch erst mit dem Auftreten des
Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erscheint thatsächlich
in dem Streben jedes Staats, an diesem Handel Theil zu nehmen,
theoretisch in dem Grundsatz des Merkantilsystems, daß der Handel die
Quelle des Reichthums sei oder doch sein solle. Von da an beginnt
eine Reihe von Erscheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen.
Die erste dieser Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die
zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige
System von Grundsätzen und Maßregeln, dessen Verwirklichung der
Staat als Aufgabe seiner Verwaltung gegenüber dem selbständigen
Handelswesen anerkennt.

I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat
auch für den Handel unmittelbar thätig sein solle, und auf der Ansicht,
daß er die Basis des Reichthums der Staaten sei. Es ist die polizei-
liche Epoche des Handelswesens. Sie will den Handel durch den Staat
organisiren und produktiv machen. Sie findet nun die ständische
Organisation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt
in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters
vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi-
legien versehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu
entstehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt sich daher an dieß
Vorbild, und bildet die großen Gesellschaften, welche wir als die
Handelscompagnien des siebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen,
und in denen allen das Capital zu den großen transatlantischen Unter-
nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthschaft-
liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg.
Einmal constituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf sie,
aber dennoch sind sie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren
zweiten Inhalt geben. Ihre große welthistorische Funktion ist es aller-
dings zunächst, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit
des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen
sie die Concurrenz der europäischen Staaten unter einander, und da-
mit den Gedanken, daß auch in dieser Concurrenz jede Regierung
trachten müsse, den europäischen Handel ihres Landes mit dem anderen
so vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entsteht die Grundlage
der europäischen Handelspolitik neben der transatlantischen der
Handelscompagnien, und den Ausdruck derselben bildet die Idee der
günstigen oder ungünstigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-

nähern; er gewinnt ſeine äußere Selbſtändigkeit zunächſt an der See,
und erſcheint als die Organiſation des Völkerverkehrs; allein das öffent-
liche Handelsweſen, in welchem derſelbe Gegenſtand ſelbſtändiger Thätig-
keit der Verwaltung wird, entſteht doch erſt mit dem Auftreten des
Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erſcheint thatſächlich
in dem Streben jedes Staats, an dieſem Handel Theil zu nehmen,
theoretiſch in dem Grundſatz des Merkantilſyſtems, daß der Handel die
Quelle des Reichthums ſei oder doch ſein ſolle. Von da an beginnt
eine Reihe von Erſcheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen.
Die erſte dieſer Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die
zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige
Syſtem von Grundſätzen und Maßregeln, deſſen Verwirklichung der
Staat als Aufgabe ſeiner Verwaltung gegenüber dem ſelbſtändigen
Handelsweſen anerkennt.

I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat
auch für den Handel unmittelbar thätig ſein ſolle, und auf der Anſicht,
daß er die Baſis des Reichthums der Staaten ſei. Es iſt die polizei-
liche Epoche des Handelsweſens. Sie will den Handel durch den Staat
organiſiren und produktiv machen. Sie findet nun die ſtändiſche
Organiſation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt
in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters
vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi-
legien verſehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu
entſtehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt ſich daher an dieß
Vorbild, und bildet die großen Geſellſchaften, welche wir als die
Handelscompagnien des ſiebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen,
und in denen allen das Capital zu den großen transatlantiſchen Unter-
nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthſchaft-
liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg.
Einmal conſtituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf ſie,
aber dennoch ſind ſie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren
zweiten Inhalt geben. Ihre große welthiſtoriſche Funktion iſt es aller-
dings zunächſt, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit
des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen
ſie die Concurrenz der europäiſchen Staaten unter einander, und da-
mit den Gedanken, daß auch in dieſer Concurrenz jede Regierung
trachten müſſe, den europäiſchen Handel ihres Landes mit dem anderen
ſo vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entſteht die Grundlage
der europäiſchen Handelspolitik neben der transatlantiſchen der
Handelscompagnien, und den Ausdruck derſelben bildet die Idee der
günſtigen oder ungünſtigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0389" n="365"/>
nähern; er gewinnt &#x017F;eine äußere Selb&#x017F;tändigkeit zunäch&#x017F;t an der See,<lb/>
und er&#x017F;cheint als die Organi&#x017F;ation des Völkerverkehrs; allein das öffent-<lb/>
liche Handelswe&#x017F;en, in welchem der&#x017F;elbe Gegen&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;tändiger Thätig-<lb/>
keit der Verwaltung wird, ent&#x017F;teht doch er&#x017F;t mit dem Auftreten des<lb/>
Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und er&#x017F;cheint that&#x017F;ächlich<lb/>
in dem Streben jedes Staats, an die&#x017F;em Handel Theil zu nehmen,<lb/>
theoreti&#x017F;ch in dem Grund&#x017F;atz des Merkantil&#x017F;y&#x017F;tems, daß der Handel die<lb/>
Quelle des Reichthums &#x017F;ei oder doch &#x017F;ein &#x017F;olle. Von da an beginnt<lb/>
eine Reihe von Er&#x017F;cheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen.<lb/>
Die <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> die&#x017F;er Epochen nennen wir die der <hi rendition="#g">Handelspolitik</hi>, die<lb/>
zweite die der <hi rendition="#g">Handelsfreiheit</hi>. Jede von ihnen enthält dasjenige<lb/>
Sy&#x017F;tem von Grund&#x017F;ätzen und Maßregeln, de&#x017F;&#x017F;en Verwirklichung der<lb/>
Staat als Aufgabe &#x017F;einer Verwaltung gegenüber dem &#x017F;elb&#x017F;tändigen<lb/>
Handelswe&#x017F;en anerkennt.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Die <hi rendition="#g">Handelspolitik</hi> beruht auf dem Princip, daß der Staat<lb/>
auch für den Handel unmittelbar thätig &#x017F;ein &#x017F;olle, und auf der An&#x017F;icht,<lb/>
daß er die Ba&#x017F;is des Reichthums der Staaten &#x017F;ei. Es i&#x017F;t die polizei-<lb/>
liche Epoche des Handelswe&#x017F;ens. Sie will den Handel durch den Staat<lb/>
organi&#x017F;iren und produktiv machen. Sie findet nun die &#x017F;tändi&#x017F;che<lb/>
Organi&#x017F;ation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt<lb/>
in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters<lb/>
vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi-<lb/>
legien ver&#x017F;ehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu<lb/>
ent&#x017F;tehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt &#x017F;ich daher an dieß<lb/>
Vorbild, und bildet die großen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, welche wir als die<lb/><hi rendition="#g">Handelscompagnien</hi> des &#x017F;iebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen,<lb/>
und in denen allen das Capital zu den großen transatlanti&#x017F;chen Unter-<lb/>
nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirth&#x017F;chaft-<lb/>
liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg.<lb/>
Einmal con&#x017F;tituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf &#x017F;ie,<lb/>
aber dennoch &#x017F;ind &#x017F;ie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren<lb/>
zweiten Inhalt geben. Ihre große welthi&#x017F;tori&#x017F;che Funktion i&#x017F;t es aller-<lb/>
dings zunäch&#x017F;t, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit<lb/>
des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen<lb/>
&#x017F;ie die Concurrenz der europäi&#x017F;chen Staaten unter einander, und da-<lb/>
mit den Gedanken, daß auch in die&#x017F;er Concurrenz jede Regierung<lb/>
trachten mü&#x017F;&#x017F;e, den europäi&#x017F;chen Handel ihres Landes mit dem anderen<lb/>
&#x017F;o vortheilhaft als möglich zu machen. Damit ent&#x017F;teht die Grundlage<lb/>
der <hi rendition="#g">europäi&#x017F;chen</hi> Handelspolitik neben der transatlanti&#x017F;chen der<lb/>
Handelscompagnien, und den Ausdruck der&#x017F;elben bildet die Idee der<lb/>
gün&#x017F;tigen oder ungün&#x017F;tigen <hi rendition="#g">Handelsbilanz</hi>. Sie hat eine hoch-<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0389] nähern; er gewinnt ſeine äußere Selbſtändigkeit zunächſt an der See, und erſcheint als die Organiſation des Völkerverkehrs; allein das öffent- liche Handelsweſen, in welchem derſelbe Gegenſtand ſelbſtändiger Thätig- keit der Verwaltung wird, entſteht doch erſt mit dem Auftreten des Welthandels durch die Entdeckung Amerikas, und erſcheint thatſächlich in dem Streben jedes Staats, an dieſem Handel Theil zu nehmen, theoretiſch in dem Grundſatz des Merkantilſyſtems, daß der Handel die Quelle des Reichthums ſei oder doch ſein ſolle. Von da an beginnt eine Reihe von Erſcheinungen, die wir in zwei große Epochen theilen. Die erſte dieſer Epochen nennen wir die der Handelspolitik, die zweite die der Handelsfreiheit. Jede von ihnen enthält dasjenige Syſtem von Grundſätzen und Maßregeln, deſſen Verwirklichung der Staat als Aufgabe ſeiner Verwaltung gegenüber dem ſelbſtändigen Handelsweſen anerkennt. I. Die Handelspolitik beruht auf dem Princip, daß der Staat auch für den Handel unmittelbar thätig ſein ſolle, und auf der Anſicht, daß er die Baſis des Reichthums der Staaten ſei. Es iſt die polizei- liche Epoche des Handelsweſens. Sie will den Handel durch den Staat organiſiren und produktiv machen. Sie findet nun die ſtändiſche Organiſation des Gewerbes überhaupt auch auf den Handel ausgedehnt in den Handelsinnungen und Kaufläden der Städte des Mittelalters vor, zum Theil mit großen Capitalien, zum Theil mit großen Privi- legien verſehen, mächtig, aber doch nicht gewaltig genug, um den neu entſtehenden Welthandel zu bewältigen. Sie lehnt ſich daher an dieß Vorbild, und bildet die großen Geſellſchaften, welche wir als die Handelscompagnien des ſiebenzehnten Jahrhunderts bezeichnen, und in denen allen das Capital zu den großen transatlantiſchen Unter- nehmungen durch große öffentlich rechtliche Privilegien und wirthſchaft- liche Monopole herbeigezogen wird. Die nun gehen ihren eigenen Weg. Einmal conſtituirt, nimmt die Verwaltung wenig Einfluß mehr auf ſie, aber dennoch ſind ſie es, welche der Epoche der Handelspolitik ihren zweiten Inhalt geben. Ihre große welthiſtoriſche Funktion iſt es aller- dings zunächſt, Europa zum Mittelpunkt des Welthandels und damit des einheitlichen Weltlebens zu erheben; eben dadurch aber erzeugen ſie die Concurrenz der europäiſchen Staaten unter einander, und da- mit den Gedanken, daß auch in dieſer Concurrenz jede Regierung trachten müſſe, den europäiſchen Handel ihres Landes mit dem anderen ſo vortheilhaft als möglich zu machen. Damit entſteht die Grundlage der europäiſchen Handelspolitik neben der transatlantiſchen der Handelscompagnien, und den Ausdruck derſelben bildet die Idee der günſtigen oder ungünſtigen Handelsbilanz. Sie hat eine hoch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/389
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/389>, abgerufen am 22.11.2024.