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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Das Bewußtsein von dieser Thatsache und die Scheidung derselben
vom Gewerbe entsteht nun durch den internationalen Kampf der Capi-
talien, und erscheint für die Verwaltung als Princip und System des
Schutzzolles. Der Schutzoll ist das Verwaltungsrecht des produ-
cirenden Capitals. Er hat noch kein Bewußtsein von dem Arbeiter,
sondern nur von der Arbeit; er kümmert sich noch gar nicht um die
gesellschaftlichen, sondern bloß um die wirthschaftlichen Verhältnisse; so
hoch man auch bei ihm greifen mag, so wird er nie Frage des Princips,
sondern nur der Zweckmäßigkeit; so lange er allein herrscht, ist es
ein Beweis, daß die Industrie noch nicht ihre volle Bedeutung ent-
wickelt hat.

Das ist nun erst der Fall in dem dritten Stadium, wo das Ca-
pital seine volle Kraft entfaltet, der capitallose Arbeiter überhaupt
nicht mehr Unternehmer werden, und daher sich aus der Abhängigkeit
vom Capital nicht mehr losmachen kann. Damit entsteht das Bewußt-
sein von dem Gegensatze zwischen Capital und Arbeit, und damit der
Punkt, auf welchem die wirthschaftliche Frage in das sociale Gebiet
hinübergreift. Die Verwaltung der Industrie aber behält dabei ihre
bestimmte Aufgabe. Sie hat die sociale Frage nicht zu lösen; aber sie
hat zu verhindern, daß das organische Verhältniß von Arbeit und
Capital nicht durch die Willkür der einzelnen Arbeiter und Unter-
nehmer gestört werde. Ihr Princip ist nicht, die wirthschaftlichen und
gesellschaftlichen Gesetze ändern zu wollen, sondern nur das, denselben
durch Aufrechthaltung der Ordnung freien Lauf zu lassen. Während
wir daher den Kampf um das Capital als die Arbeiterfrage bezeichnen,
ist die Aufgabe der Verwaltung gegenüber der Industrie die Arbeiter-
ordnung
. Und die Herstellung dieser Ordnung und ihrer Harmonie
mit der socialen Entwicklung ist der Inhalt der nächsten, gegenwärtigen
Epoche, die übrigens die Anforderungen der übrigen Verhältnisse keines-
wegs ausschließt. Und so können wir jetzt von einem selbständigen System
dieses Gebietes reden, das dann wieder dieselben formalen Elemente,
aber einen andern Inhalt hat, als das System des Gewerberechts.

Der Charakter der Gesetzgebung ist für das Industriewesen ganz dem der
Literatur analog. Es gibt kein selbständiges System derselben; die geltenden
Bestimmungen sind theils in den Gewerbeordnungen enthalten, theils sind es
einzelne legislative Akte und Maßregeln, welche eben für einzelne Verhältnisse
der Industrie entstanden sind und gelten. In der That kann es auch keine
einheitliche Codifikation dafür geben; die Wissenschaft muß und wird die Ein-
heit ersetzen, sobald sie beginnt Industrie und Gewerbe zu scheiden, und die
sociale Verwaltung selbständig zu betrachten. Ueber die englische Fabriks-
ordnung und ihre Geschichte s. Austria 1865. S. 294 ff.

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 23

Das Bewußtſein von dieſer Thatſache und die Scheidung derſelben
vom Gewerbe entſteht nun durch den internationalen Kampf der Capi-
talien, und erſcheint für die Verwaltung als Princip und Syſtem des
Schutzzolles. Der Schutzoll iſt das Verwaltungsrecht des produ-
cirenden Capitals. Er hat noch kein Bewußtſein von dem Arbeiter,
ſondern nur von der Arbeit; er kümmert ſich noch gar nicht um die
geſellſchaftlichen, ſondern bloß um die wirthſchaftlichen Verhältniſſe; ſo
hoch man auch bei ihm greifen mag, ſo wird er nie Frage des Princips,
ſondern nur der Zweckmäßigkeit; ſo lange er allein herrſcht, iſt es
ein Beweis, daß die Induſtrie noch nicht ihre volle Bedeutung ent-
wickelt hat.

Das iſt nun erſt der Fall in dem dritten Stadium, wo das Ca-
pital ſeine volle Kraft entfaltet, der capitalloſe Arbeiter überhaupt
nicht mehr Unternehmer werden, und daher ſich aus der Abhängigkeit
vom Capital nicht mehr losmachen kann. Damit entſteht das Bewußt-
ſein von dem Gegenſatze zwiſchen Capital und Arbeit, und damit der
Punkt, auf welchem die wirthſchaftliche Frage in das ſociale Gebiet
hinübergreift. Die Verwaltung der Induſtrie aber behält dabei ihre
beſtimmte Aufgabe. Sie hat die ſociale Frage nicht zu löſen; aber ſie
hat zu verhindern, daß das organiſche Verhältniß von Arbeit und
Capital nicht durch die Willkür der einzelnen Arbeiter und Unter-
nehmer geſtört werde. Ihr Princip iſt nicht, die wirthſchaftlichen und
geſellſchaftlichen Geſetze ändern zu wollen, ſondern nur das, denſelben
durch Aufrechthaltung der Ordnung freien Lauf zu laſſen. Während
wir daher den Kampf um das Capital als die Arbeiterfrage bezeichnen,
iſt die Aufgabe der Verwaltung gegenüber der Induſtrie die Arbeiter-
ordnung
. Und die Herſtellung dieſer Ordnung und ihrer Harmonie
mit der ſocialen Entwicklung iſt der Inhalt der nächſten, gegenwärtigen
Epoche, die übrigens die Anforderungen der übrigen Verhältniſſe keines-
wegs ausſchließt. Und ſo können wir jetzt von einem ſelbſtändigen Syſtem
dieſes Gebietes reden, das dann wieder dieſelben formalen Elemente,
aber einen andern Inhalt hat, als das Syſtem des Gewerberechts.

Der Charakter der Geſetzgebung iſt für das Induſtrieweſen ganz dem der
Literatur analog. Es gibt kein ſelbſtändiges Syſtem derſelben; die geltenden
Beſtimmungen ſind theils in den Gewerbeordnungen enthalten, theils ſind es
einzelne legislative Akte und Maßregeln, welche eben für einzelne Verhältniſſe
der Induſtrie entſtanden ſind und gelten. In der That kann es auch keine
einheitliche Codifikation dafür geben; die Wiſſenſchaft muß und wird die Ein-
heit erſetzen, ſobald ſie beginnt Induſtrie und Gewerbe zu ſcheiden, und die
ſociale Verwaltung ſelbſtändig zu betrachten. Ueber die engliſche Fabriks-
ordnung und ihre Geſchichte ſ. Auſtria 1865. S. 294 ff.

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 23
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[353/0377] Das Bewußtſein von dieſer Thatſache und die Scheidung derſelben vom Gewerbe entſteht nun durch den internationalen Kampf der Capi- talien, und erſcheint für die Verwaltung als Princip und Syſtem des Schutzzolles. Der Schutzoll iſt das Verwaltungsrecht des produ- cirenden Capitals. Er hat noch kein Bewußtſein von dem Arbeiter, ſondern nur von der Arbeit; er kümmert ſich noch gar nicht um die geſellſchaftlichen, ſondern bloß um die wirthſchaftlichen Verhältniſſe; ſo hoch man auch bei ihm greifen mag, ſo wird er nie Frage des Princips, ſondern nur der Zweckmäßigkeit; ſo lange er allein herrſcht, iſt es ein Beweis, daß die Induſtrie noch nicht ihre volle Bedeutung ent- wickelt hat. Das iſt nun erſt der Fall in dem dritten Stadium, wo das Ca- pital ſeine volle Kraft entfaltet, der capitalloſe Arbeiter überhaupt nicht mehr Unternehmer werden, und daher ſich aus der Abhängigkeit vom Capital nicht mehr losmachen kann. Damit entſteht das Bewußt- ſein von dem Gegenſatze zwiſchen Capital und Arbeit, und damit der Punkt, auf welchem die wirthſchaftliche Frage in das ſociale Gebiet hinübergreift. Die Verwaltung der Induſtrie aber behält dabei ihre beſtimmte Aufgabe. Sie hat die ſociale Frage nicht zu löſen; aber ſie hat zu verhindern, daß das organiſche Verhältniß von Arbeit und Capital nicht durch die Willkür der einzelnen Arbeiter und Unter- nehmer geſtört werde. Ihr Princip iſt nicht, die wirthſchaftlichen und geſellſchaftlichen Geſetze ändern zu wollen, ſondern nur das, denſelben durch Aufrechthaltung der Ordnung freien Lauf zu laſſen. Während wir daher den Kampf um das Capital als die Arbeiterfrage bezeichnen, iſt die Aufgabe der Verwaltung gegenüber der Induſtrie die Arbeiter- ordnung. Und die Herſtellung dieſer Ordnung und ihrer Harmonie mit der ſocialen Entwicklung iſt der Inhalt der nächſten, gegenwärtigen Epoche, die übrigens die Anforderungen der übrigen Verhältniſſe keines- wegs ausſchließt. Und ſo können wir jetzt von einem ſelbſtändigen Syſtem dieſes Gebietes reden, das dann wieder dieſelben formalen Elemente, aber einen andern Inhalt hat, als das Syſtem des Gewerberechts. Der Charakter der Geſetzgebung iſt für das Induſtrieweſen ganz dem der Literatur analog. Es gibt kein ſelbſtändiges Syſtem derſelben; die geltenden Beſtimmungen ſind theils in den Gewerbeordnungen enthalten, theils ſind es einzelne legislative Akte und Maßregeln, welche eben für einzelne Verhältniſſe der Induſtrie entſtanden ſind und gelten. In der That kann es auch keine einheitliche Codifikation dafür geben; die Wiſſenſchaft muß und wird die Ein- heit erſetzen, ſobald ſie beginnt Induſtrie und Gewerbe zu ſcheiden, und die ſociale Verwaltung ſelbſtändig zu betrachten. Ueber die engliſche Fabriks- ordnung und ihre Geſchichte ſ. Auſtria 1865. S. 294 ff. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 23

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/377>, abgerufen am 23.11.2024.