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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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C. Dem vergleichenden Verwaltungsrecht liegt nun die
Thatsache zu Grunde, daß jedes Volk und Land jene großen Elemente
der positiven Rechtsbildung in seiner Weise besitzt und entwickelt, und
dadurch der Verwaltung im Ganzen und den einzelnen Gebieten der-
selben ihre nationale und staatliche Individualität gibt. Erst in dieser
individuellen Verschiedenheit des an sich Gleichen erscheint der wahre,
unerschöpfliche Reichthum des Lebens der Welt, und wir können unbe-
dingt sagen, daß derselbe nirgends größer ist, als gerade auf dem Ge-
biete der Verwaltung und ihres Rechts. Das vergleichende Verwal-
tungsrecht enthält nun zuerst die formale Vergleichung, als ver-
gleichende Rechtskunde, in dem bloßen Nebeneinanderstellen der geltenden
Verschiedenheiten, das seinerseits nur den Werth hat, das Material
für die wahre Vergleichung zu bieten. Diese oder die organische
Vergleichung ist die Darstellung der positiven Verschiedenheiten des gel-
tenden Rechts der Verwaltung als Ausdruck und Consequenz
des Charakters und Lebens des Volkes, für welche es gilt und durch
welche es gebildet ist. Ihre Grundlage ist das Studium der wirth-
schaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Zustände des Landes einer-
seits und des Volkscharakters andererseits; ihre Vollendung ist das
organische und lebendige Bild des innern Staatslebens
Europas
. Die Hauptformen desselben sind und bleiben die drei großen
Culturvölker unseres Welttheils, England, Frankreich und Deutschland
mit ihrer tiefen Gleichartigkeit in den Elementen und ihrer oft schlagen-
den Verschiedenheit in der wirklichen Gestalt ihres Rechts -- Englands,
wo das rechtlich freie und gleiche Individuum die Gewalt der Regie-
rung zu wenig; Frankreichs, wo der Glanz der centralen Staatsent-
wicklung der Regierung zu viel Gewalt gegeben hat, und Deutschlands,
das, mit seinen selbständigen Staaten und Stämmen eine Welt für
sich, in der Wissenschaft die Harmonie zwischen beiden Grundformen
gesucht und in der Gesetzgebung sie zum Theil auch gefunden hat.
Die übrigen Völker reihen sich mehr oder weniger klar an diese Grund-
formen an; es mag daher im Beginne der Wissenschaft genügen, die
Vergleichung bei jenen drei Hauptvölkern stehen zu lassen. Und damit
sind dann die Elemente des Folgenden angedeutet, welches auf Grund-
lage des wissenschaftlichen Systems die Geschichte und das positive Recht
der Verwaltung darlegen und vergleichen wird, zuerst für die voll-
ziehende Gewalt
und dann für das System der inneren Ver-
waltung
.


C. Dem vergleichenden Verwaltungsrecht liegt nun die
Thatſache zu Grunde, daß jedes Volk und Land jene großen Elemente
der poſitiven Rechtsbildung in ſeiner Weiſe beſitzt und entwickelt, und
dadurch der Verwaltung im Ganzen und den einzelnen Gebieten der-
ſelben ihre nationale und ſtaatliche Individualität gibt. Erſt in dieſer
individuellen Verſchiedenheit des an ſich Gleichen erſcheint der wahre,
unerſchöpfliche Reichthum des Lebens der Welt, und wir können unbe-
dingt ſagen, daß derſelbe nirgends größer iſt, als gerade auf dem Ge-
biete der Verwaltung und ihres Rechts. Das vergleichende Verwal-
tungsrecht enthält nun zuerſt die formale Vergleichung, als ver-
gleichende Rechtskunde, in dem bloßen Nebeneinanderſtellen der geltenden
Verſchiedenheiten, das ſeinerſeits nur den Werth hat, das Material
für die wahre Vergleichung zu bieten. Dieſe oder die organiſche
Vergleichung iſt die Darſtellung der poſitiven Verſchiedenheiten des gel-
tenden Rechts der Verwaltung als Ausdruck und Conſequenz
des Charakters und Lebens des Volkes, für welche es gilt und durch
welche es gebildet iſt. Ihre Grundlage iſt das Studium der wirth-
ſchaftlichen, geſellſchaftlichen und politiſchen Zuſtände des Landes einer-
ſeits und des Volkscharakters andererſeits; ihre Vollendung iſt das
organiſche und lebendige Bild des innern Staatslebens
Europas
. Die Hauptformen deſſelben ſind und bleiben die drei großen
Culturvölker unſeres Welttheils, England, Frankreich und Deutſchland
mit ihrer tiefen Gleichartigkeit in den Elementen und ihrer oft ſchlagen-
den Verſchiedenheit in der wirklichen Geſtalt ihres Rechts — Englands,
wo das rechtlich freie und gleiche Individuum die Gewalt der Regie-
rung zu wenig; Frankreichs, wo der Glanz der centralen Staatsent-
wicklung der Regierung zu viel Gewalt gegeben hat, und Deutſchlands,
das, mit ſeinen ſelbſtändigen Staaten und Stämmen eine Welt für
ſich, in der Wiſſenſchaft die Harmonie zwiſchen beiden Grundformen
geſucht und in der Geſetzgebung ſie zum Theil auch gefunden hat.
Die übrigen Völker reihen ſich mehr oder weniger klar an dieſe Grund-
formen an; es mag daher im Beginne der Wiſſenſchaft genügen, die
Vergleichung bei jenen drei Hauptvölkern ſtehen zu laſſen. Und damit
ſind dann die Elemente des Folgenden angedeutet, welches auf Grund-
lage des wiſſenſchaftlichen Syſtems die Geſchichte und das poſitive Recht
der Verwaltung darlegen und vergleichen wird, zuerſt für die voll-
ziehende Gewalt
und dann für das Syſtem der inneren Ver-
waltung
.


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[13/0037] C. Dem vergleichenden Verwaltungsrecht liegt nun die Thatſache zu Grunde, daß jedes Volk und Land jene großen Elemente der poſitiven Rechtsbildung in ſeiner Weiſe beſitzt und entwickelt, und dadurch der Verwaltung im Ganzen und den einzelnen Gebieten der- ſelben ihre nationale und ſtaatliche Individualität gibt. Erſt in dieſer individuellen Verſchiedenheit des an ſich Gleichen erſcheint der wahre, unerſchöpfliche Reichthum des Lebens der Welt, und wir können unbe- dingt ſagen, daß derſelbe nirgends größer iſt, als gerade auf dem Ge- biete der Verwaltung und ihres Rechts. Das vergleichende Verwal- tungsrecht enthält nun zuerſt die formale Vergleichung, als ver- gleichende Rechtskunde, in dem bloßen Nebeneinanderſtellen der geltenden Verſchiedenheiten, das ſeinerſeits nur den Werth hat, das Material für die wahre Vergleichung zu bieten. Dieſe oder die organiſche Vergleichung iſt die Darſtellung der poſitiven Verſchiedenheiten des gel- tenden Rechts der Verwaltung als Ausdruck und Conſequenz des Charakters und Lebens des Volkes, für welche es gilt und durch welche es gebildet iſt. Ihre Grundlage iſt das Studium der wirth- ſchaftlichen, geſellſchaftlichen und politiſchen Zuſtände des Landes einer- ſeits und des Volkscharakters andererſeits; ihre Vollendung iſt das organiſche und lebendige Bild des innern Staatslebens Europas. Die Hauptformen deſſelben ſind und bleiben die drei großen Culturvölker unſeres Welttheils, England, Frankreich und Deutſchland mit ihrer tiefen Gleichartigkeit in den Elementen und ihrer oft ſchlagen- den Verſchiedenheit in der wirklichen Geſtalt ihres Rechts — Englands, wo das rechtlich freie und gleiche Individuum die Gewalt der Regie- rung zu wenig; Frankreichs, wo der Glanz der centralen Staatsent- wicklung der Regierung zu viel Gewalt gegeben hat, und Deutſchlands, das, mit ſeinen ſelbſtändigen Staaten und Stämmen eine Welt für ſich, in der Wiſſenſchaft die Harmonie zwiſchen beiden Grundformen geſucht und in der Geſetzgebung ſie zum Theil auch gefunden hat. Die übrigen Völker reihen ſich mehr oder weniger klar an dieſe Grund- formen an; es mag daher im Beginne der Wiſſenſchaft genügen, die Vergleichung bei jenen drei Hauptvölkern ſtehen zu laſſen. Und damit ſind dann die Elemente des Folgenden angedeutet, welches auf Grund- lage des wiſſenſchaftlichen Syſtems die Geſchichte und das poſitive Recht der Verwaltung darlegen und vergleichen wird, zuerſt für die voll- ziehende Gewalt und dann für das Syſtem der inneren Ver- waltung.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/37>, abgerufen am 23.11.2024.