Auf diesen gemeinsamen Grundlagen haben sich nun die Arten der Realcreditvereine ausgebildet.
Das praktische Verständniß und die wissenschaftliche Formulirung dieser Grundsätze sind eines der größten Verdienste, das Deutschland um die Volkswirthschaft Europas sich errungen hat. England hat zwar sein Grund- buch, aber gar keinen Realcreditverein; Frankreichs Credit foncier ist ein sehr unfertiges Gebäude; die deutschen Realcreditvereine sind fähig und bestimmt, das Muster der Welt zu werden. Für den methodisch gebildeten deutschen Geist hat die Sache nie ernstliche Schwierigkeit gehabt, und ist zu einem integriren- den Bestandtheil der Wissenschaft geworden (vergl. vor allem Rau, Volks- wirthschaftspflege II. §. 211 und Roscher, System II. §. 133). Preußen: Hypothek-Aktiengesetzkunde (Gesetz vom 18. März 1865).
b) Die Arten der Realcredit-Vereine.
Die Arten der Realcreditvereine entstehen nun, indem die Sicher- heit entweder auf den Werth der Immobilien, oder auf ein eigenes Capital, zurückgeführt wird.
A. Die gegenseitigen Realcreditvereine beruhen darauf, daß die Sicherheit jedes einzelnen Pfandbriefes durch die solidarische Haft aller Mitglieder begründet wird, während in allen übrigen Punkten die Verwaltung mit der folgenden Art gleich ist. Die Folge dieses Princips aber ist, daß, namentlich bei der Verschiedenheit des Grund- buchsrechts, solche Vereine nur von Besitzern gebildet werden können, die in Art und Umfang ihres Besitzes wesentlich gleichartig sind. Sie gehören daher der Epoche der rechtlichen Verschiedenheit des Grund- besitzes an, und schließen sich naturgemäß an die ständische Ordnung des Grundbesitzes. Sie entstehen deßhalb meistens aus der Noth, und haben zur Aufgabe, den Widerwillen des Capitals gegen Hingabe an bevorrechtete Classen zu überwinden. Sie haben den Vortheil, keinen Gewinn zu beabsichtigen, aber den Nachtheil, gerade den kleinen Besitz creditlos zu machen. Sie verfügen über große Werthe, aber ihre Einzelschätzung ist leicht von Standesinteressen beeinflußt. Sie haben kein bewegliches freies Capital zur Verfügung, und müssen dasselbe daher theils durch Garantie der Landschaften, theils durch Bildung eines Reservefonds ersetzen, während sie als ständischer Verein erst in unserem Jahrhundert die Principien der Oeffentlichkeit und Rechen- schaftsablage angenommen haben. Sie sind daher als die erste und hochwichtige, aber historische Form der Realcreditvereine zu betrachten.
B. Die Bodencreditvereine (Hypothekenbanken) sind dagegen Unternehmungen, welche mit eigenem Aktiencapital und unter Haf- tung desselben gegenüber den Inhabern der Pfandbriefe den Realcredit
Auf dieſen gemeinſamen Grundlagen haben ſich nun die Arten der Realcreditvereine ausgebildet.
Das praktiſche Verſtändniß und die wiſſenſchaftliche Formulirung dieſer Grundſätze ſind eines der größten Verdienſte, das Deutſchland um die Volkswirthſchaft Europas ſich errungen hat. England hat zwar ſein Grund- buch, aber gar keinen Realcreditverein; Frankreichs Crédit foncier iſt ein ſehr unfertiges Gebäude; die deutſchen Realcreditvereine ſind fähig und beſtimmt, das Muſter der Welt zu werden. Für den methodiſch gebildeten deutſchen Geiſt hat die Sache nie ernſtliche Schwierigkeit gehabt, und iſt zu einem integriren- den Beſtandtheil der Wiſſenſchaft geworden (vergl. vor allem Rau, Volks- wirthſchaftspflege II. §. 211 und Roſcher, Syſtem II. §. 133). Preußen: Hypothek-Aktiengeſetzkunde (Geſetz vom 18. März 1865).
b) Die Arten der Realcredit-Vereine.
Die Arten der Realcreditvereine entſtehen nun, indem die Sicher- heit entweder auf den Werth der Immobilien, oder auf ein eigenes Capital, zurückgeführt wird.
A. Die gegenſeitigen Realcreditvereine beruhen darauf, daß die Sicherheit jedes einzelnen Pfandbriefes durch die ſolidariſche Haft aller Mitglieder begründet wird, während in allen übrigen Punkten die Verwaltung mit der folgenden Art gleich iſt. Die Folge dieſes Princips aber iſt, daß, namentlich bei der Verſchiedenheit des Grund- buchsrechts, ſolche Vereine nur von Beſitzern gebildet werden können, die in Art und Umfang ihres Beſitzes weſentlich gleichartig ſind. Sie gehören daher der Epoche der rechtlichen Verſchiedenheit des Grund- beſitzes an, und ſchließen ſich naturgemäß an die ſtändiſche Ordnung des Grundbeſitzes. Sie entſtehen deßhalb meiſtens aus der Noth, und haben zur Aufgabe, den Widerwillen des Capitals gegen Hingabe an bevorrechtete Claſſen zu überwinden. Sie haben den Vortheil, keinen Gewinn zu beabſichtigen, aber den Nachtheil, gerade den kleinen Beſitz creditlos zu machen. Sie verfügen über große Werthe, aber ihre Einzelſchätzung iſt leicht von Standesintereſſen beeinflußt. Sie haben kein bewegliches freies Capital zur Verfügung, und müſſen daſſelbe daher theils durch Garantie der Landſchaften, theils durch Bildung eines Reſervefonds erſetzen, während ſie als ſtändiſcher Verein erſt in unſerem Jahrhundert die Principien der Oeffentlichkeit und Rechen- ſchaftsablage angenommen haben. Sie ſind daher als die erſte und hochwichtige, aber hiſtoriſche Form der Realcreditvereine zu betrachten.
B. Die Bodencreditvereine (Hypothekenbanken) ſind dagegen Unternehmungen, welche mit eigenem Aktiencapital und unter Haf- tung deſſelben gegenüber den Inhabern der Pfandbriefe den Realcredit
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Auf dieſen gemeinſamen Grundlagen haben ſich nun die Arten
der Realcreditvereine ausgebildet.
Das praktiſche Verſtändniß und die wiſſenſchaftliche Formulirung dieſer
Grundſätze ſind eines der größten Verdienſte, das Deutſchland um die
Volkswirthſchaft Europas ſich errungen hat. England hat zwar ſein Grund-
buch, aber gar keinen Realcreditverein; Frankreichs Crédit foncier iſt ein
ſehr unfertiges Gebäude; die deutſchen Realcreditvereine ſind fähig und beſtimmt,
das Muſter der Welt zu werden. Für den methodiſch gebildeten deutſchen Geiſt
hat die Sache nie ernſtliche Schwierigkeit gehabt, und iſt zu einem integriren-
den Beſtandtheil der Wiſſenſchaft geworden (vergl. vor allem Rau, Volks-
wirthſchaftspflege II. §. 211 und Roſcher, Syſtem II. §. 133). Preußen:
Hypothek-Aktiengeſetzkunde (Geſetz vom 18. März 1865).
b) Die Arten der Realcredit-Vereine.
Die Arten der Realcreditvereine entſtehen nun, indem die Sicher-
heit entweder auf den Werth der Immobilien, oder auf ein eigenes
Capital, zurückgeführt wird.
A. Die gegenſeitigen Realcreditvereine beruhen darauf, daß die
Sicherheit jedes einzelnen Pfandbriefes durch die ſolidariſche Haft
aller Mitglieder begründet wird, während in allen übrigen Punkten
die Verwaltung mit der folgenden Art gleich iſt. Die Folge dieſes
Princips aber iſt, daß, namentlich bei der Verſchiedenheit des Grund-
buchsrechts, ſolche Vereine nur von Beſitzern gebildet werden können,
die in Art und Umfang ihres Beſitzes weſentlich gleichartig ſind.
Sie gehören daher der Epoche der rechtlichen Verſchiedenheit des Grund-
beſitzes an, und ſchließen ſich naturgemäß an die ſtändiſche Ordnung
des Grundbeſitzes. Sie entſtehen deßhalb meiſtens aus der Noth, und
haben zur Aufgabe, den Widerwillen des Capitals gegen Hingabe an
bevorrechtete Claſſen zu überwinden. Sie haben den Vortheil, keinen
Gewinn zu beabſichtigen, aber den Nachtheil, gerade den kleinen Beſitz
creditlos zu machen. Sie verfügen über große Werthe, aber ihre
Einzelſchätzung iſt leicht von Standesintereſſen beeinflußt. Sie haben
kein bewegliches freies Capital zur Verfügung, und müſſen daſſelbe
daher theils durch Garantie der Landſchaften, theils durch Bildung
eines Reſervefonds erſetzen, während ſie als ſtändiſcher Verein erſt in
unſerem Jahrhundert die Principien der Oeffentlichkeit und Rechen-
ſchaftsablage angenommen haben. Sie ſind daher als die erſte und
hochwichtige, aber hiſtoriſche Form der Realcreditvereine zu betrachten.
B. Die Bodencreditvereine (Hypothekenbanken) ſind dagegen
Unternehmungen, welche mit eigenem Aktiencapital und unter Haf-
tung deſſelben gegenüber den Inhabern der Pfandbriefe den Realcredit
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/305>, abgerufen am 09.05.2024.
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