in zwei große Classen theilt, für die Grundbuchsordnung in folgenden Punkten.
Die erste Classe, Grundbücher des Einzelcredits, fordern nur un- bedingt das einfache Schuldfolium; die Aufnahme des Besitzfoliums als selbständiges Folium ist ein allerdings unabweisbarer Fortschritt. Das letztere kann dann die höchste Ausbildung erfahren, ohne daß das Grundbuch noch seinen Charakter ändert.
Die zweite Classe dagegen, Grundbücher des eigentlichen Realcredits, sollen ein vollständiges Bild des Gutes als Grundlage des Credits feststellen. Sie müssen daher ein genaues Lasten- oder Werthfolium enthalten, namentlich alle dergleichen Rechte, Steuern und Lasten, ge- setzliche Pfandrechte, Angabe der Kaufpreise, und Pränotationsrubrik. Sehr häufig nun sind, namentlich in den deutschen Grund- und Hypo- thekenbüchern, allerlei Verbindungen der Elemente beider Classen; im Allgemeinen ist eine Entwicklung der ersten Classe zur zweiten, und damit die Anerkennung der Nothwendigkeit eines vollständigen Grundbuches unverkennbar; die Herstellung desselben muß, wie das Folgende zeigt, die erste Aufgabe der neuen Gesetzgebung sein.
Es verwirrt das richtige Urtheil, wenn man die Classifikation der Grund- bücher bloß auf die beiden Principien der Legalität zurückführt, wie es bisher üblich war (vergl. Mittermaier, deutsches Privatrecht §. 263). -- Englands Grundbuchswesen gehört durchaus der ersten Classe, wie denn auch in England überhaupt keine Realcreditanstalten bestehen. -- Frankreich fällt durch seine gesetzlichen, der Einverleibung nicht unterworfenen Hypotheken in die erste Classe; auch hat es keine Steuern, jedoch die Aufnahme der dinglichen Rechte; for- mell ist es dabei höchst unvollkommen. -- In Deutschland ist die preußi- sche Hypothekenordnung das große Muster der zweiten Classe, jedoch noch der Vervollkommnung fähig. -- Oesterreichs Grundbuchsordnungen haben größten- theils die meisten Elemente der zweiten Classe aufgenommen, ohne gleichmäßig oder formell durchgebildet zu sein; namentlich Tirol ist selbst in der ersten Classe weit zurück. Aehnliches gilt von Bayern und Württemberg, wäh- rend Baden und der Rhein den französischen Standpunkt vertreten, und Sachsen der ersten Classe gehört. Doch sind die gesetzlichen Pfandrechte allent- halben, bis auf gewisse ärarische Forderungen, ohne Einverleibung ungültig. Das im Einzelnen durchzuführen, ist eine schwierige, aber wichtige Arbeit. Das Material dafür in reichem Maße gehäuft bei Mascher a. a. O. S. 94; die Vielgestaltigkeit der deutschen Grundbücher macht allerdings eine erschöpfende und klare Uebersicht sehr schwer (vergl. "Foliografie" bei Mascher a. a. O. Cap. 8; Fr. Neumann a. a. O. S. 138 ff.
3) Die Grundbuchsführung.
Die Grundbuchsführung enthält nun die Thätigkeiten des Grund- buchsorgans, durch welche den Betheiligten das Recht des Grundbuches
in zwei große Claſſen theilt, für die Grundbuchsordnung in folgenden Punkten.
Die erſte Claſſe, Grundbücher des Einzelcredits, fordern nur un- bedingt das einfache Schuldfolium; die Aufnahme des Beſitzfoliums als ſelbſtändiges Folium iſt ein allerdings unabweisbarer Fortſchritt. Das letztere kann dann die höchſte Ausbildung erfahren, ohne daß das Grundbuch noch ſeinen Charakter ändert.
Die zweite Claſſe dagegen, Grundbücher des eigentlichen Realcredits, ſollen ein vollſtändiges Bild des Gutes als Grundlage des Credits feſtſtellen. Sie müſſen daher ein genaues Laſten- oder Werthfolium enthalten, namentlich alle dergleichen Rechte, Steuern und Laſten, ge- ſetzliche Pfandrechte, Angabe der Kaufpreiſe, und Pränotationsrubrik. Sehr häufig nun ſind, namentlich in den deutſchen Grund- und Hypo- thekenbüchern, allerlei Verbindungen der Elemente beider Claſſen; im Allgemeinen iſt eine Entwicklung der erſten Claſſe zur zweiten, und damit die Anerkennung der Nothwendigkeit eines vollſtändigen Grundbuches unverkennbar; die Herſtellung deſſelben muß, wie das Folgende zeigt, die erſte Aufgabe der neuen Geſetzgebung ſein.
Es verwirrt das richtige Urtheil, wenn man die Claſſifikation der Grund- bücher bloß auf die beiden Principien der Legalität zurückführt, wie es bisher üblich war (vergl. Mittermaier, deutſches Privatrecht §. 263). — Englands Grundbuchsweſen gehört durchaus der erſten Claſſe, wie denn auch in England überhaupt keine Realcreditanſtalten beſtehen. — Frankreich fällt durch ſeine geſetzlichen, der Einverleibung nicht unterworfenen Hypotheken in die erſte Claſſe; auch hat es keine Steuern, jedoch die Aufnahme der dinglichen Rechte; for- mell iſt es dabei höchſt unvollkommen. — In Deutſchland iſt die preußi- ſche Hypothekenordnung das große Muſter der zweiten Claſſe, jedoch noch der Vervollkommnung fähig. — Oeſterreichs Grundbuchsordnungen haben größten- theils die meiſten Elemente der zweiten Claſſe aufgenommen, ohne gleichmäßig oder formell durchgebildet zu ſein; namentlich Tirol iſt ſelbſt in der erſten Claſſe weit zurück. Aehnliches gilt von Bayern und Württemberg, wäh- rend Baden und der Rhein den franzöſiſchen Standpunkt vertreten, und Sachſen der erſten Claſſe gehört. Doch ſind die geſetzlichen Pfandrechte allent- halben, bis auf gewiſſe ärariſche Forderungen, ohne Einverleibung ungültig. Das im Einzelnen durchzuführen, iſt eine ſchwierige, aber wichtige Arbeit. Das Material dafür in reichem Maße gehäuft bei Maſcher a. a. O. S. 94; die Vielgeſtaltigkeit der deutſchen Grundbücher macht allerdings eine erſchöpfende und klare Ueberſicht ſehr ſchwer (vergl. „Foliografie“ bei Maſcher a. a. O. Cap. 8; Fr. Neumann a. a. O. S. 138 ff.
3) Die Grundbuchsführung.
Die Grundbuchsführung enthält nun die Thätigkeiten des Grund- buchsorgans, durch welche den Betheiligten das Recht des Grundbuches
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als ſelbſtändiges Folium iſt ein allerdings unabweisbarer Fortſchritt.
Das letztere kann dann die höchſte Ausbildung erfahren, ohne daß das
Grundbuch noch ſeinen Charakter ändert.
Die zweite Claſſe dagegen, Grundbücher des eigentlichen Realcredits,
ſollen ein vollſtändiges Bild des Gutes als Grundlage des Credits
feſtſtellen. Sie müſſen daher ein genaues Laſten- oder Werthfolium
enthalten, namentlich alle dergleichen Rechte, Steuern und Laſten, ge-
ſetzliche Pfandrechte, Angabe der Kaufpreiſe, und Pränotationsrubrik.
Sehr häufig nun ſind, namentlich in den deutſchen Grund- und Hypo-
thekenbüchern, allerlei Verbindungen der Elemente beider Claſſen; im
Allgemeinen iſt eine Entwicklung der erſten Claſſe zur zweiten, und
damit die Anerkennung der Nothwendigkeit eines vollſtändigen
Grundbuches unverkennbar; die Herſtellung deſſelben muß, wie das
Folgende zeigt, die erſte Aufgabe der neuen Geſetzgebung ſein.
Es verwirrt das richtige Urtheil, wenn man die Claſſifikation der Grund-
bücher bloß auf die beiden Principien der Legalität zurückführt, wie es bisher
üblich war (vergl. Mittermaier, deutſches Privatrecht §. 263). — Englands
Grundbuchsweſen gehört durchaus der erſten Claſſe, wie denn auch in England
überhaupt keine Realcreditanſtalten beſtehen. — Frankreich fällt durch ſeine
geſetzlichen, der Einverleibung nicht unterworfenen Hypotheken in die erſte Claſſe;
auch hat es keine Steuern, jedoch die Aufnahme der dinglichen Rechte; for-
mell iſt es dabei höchſt unvollkommen. — In Deutſchland iſt die preußi-
ſche Hypothekenordnung das große Muſter der zweiten Claſſe, jedoch noch der
Vervollkommnung fähig. — Oeſterreichs Grundbuchsordnungen haben größten-
theils die meiſten Elemente der zweiten Claſſe aufgenommen, ohne gleichmäßig
oder formell durchgebildet zu ſein; namentlich Tirol iſt ſelbſt in der erſten
Claſſe weit zurück. Aehnliches gilt von Bayern und Württemberg, wäh-
rend Baden und der Rhein den franzöſiſchen Standpunkt vertreten, und
Sachſen der erſten Claſſe gehört. Doch ſind die geſetzlichen Pfandrechte allent-
halben, bis auf gewiſſe ärariſche Forderungen, ohne Einverleibung ungültig.
Das im Einzelnen durchzuführen, iſt eine ſchwierige, aber wichtige Arbeit.
Das Material dafür in reichem Maße gehäuft bei Maſcher a. a. O. S. 94;
die Vielgeſtaltigkeit der deutſchen Grundbücher macht allerdings eine erſchöpfende
und klare Ueberſicht ſehr ſchwer (vergl. „Foliografie“ bei Maſcher a. a. O.
Cap. 8; Fr. Neumann a. a. O. S. 138 ff.
3) Die Grundbuchsführung.
Die Grundbuchsführung enthält nun die Thätigkeiten des Grund-
buchsorgans, durch welche den Betheiligten das Recht des Grundbuches
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/293>, abgerufen am 16.02.2025.
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