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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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daß bisher nur wenig Gesetzgebungen es zu einer selbständigen Polizei-
gesetzgebung gebracht haben und daß es zwar treffliche Commentare der
letzteren, aber keine Wissenschaft des Polizeirechts an sich gibt.

Um nun zu dieser zu gelangen, muß man scheiden zwischen dem,
was wir die Sicherheits- und die Verwaltungspolizei nennen.

Die Natur der Gefahren, mit denen die innere Verwaltung im
Polizeiwesen zu kämpfen hat, ist nämlich eine doppelte. Insofern sie
nämlich in der losgelassenen, an sich maßlosen Kraft des Menschen
besteht, ist sie ihrem Wesen nach unbestimmt und umfaßt ohne Gränze
alle Lebensverhältnisse der Gemeinschaft. Sie kann aber auch nicht
mehr in der Persönlichkeit überhaupt, sondern in einer bestimmten
Handlung
derselben bestehen, und in diesem Falle bezieht sie sich
auch nur auf bestimmte Verhältnisse der Einzelnen oder der Gesammtheit.
In diesem Falle gibt es so viele Arten der gefährlichen Handlungen,
als es einzelne Gebiete der Verwaltung gibt, während im ersten Falle
die Gefahr sich auf alle gleichmäßig bezieht. Demnach sagen wir, daß
die Abwendung der in der schrankenlosen Kraft der Persönlichkeit
überhaupt
liegenden Gefahr die Sicherheitspolizei bildet, wäh-
rend die gegen einzelne und bestimmte gefährliche Handlungen
gerichtete Polizei die Verwaltungspolizei ist. Jene erscheint deß-
halb als ein durchaus selbständiges Gebiet, während diese vielmehr
einen immanenten Theil jedes einzelnen Theiles der Verwaltung bildet
und daher eine selbständige Darstellung bezw. Gesetzgebung nur in
sofern fordert, als sie durch den Organismus der Sicherheitspolizei
allgemein vollzogen wird.

Diese Unterscheidung nun ist um so wichtiger, als jeder dieser
Theile der Polizei wieder vermöge seiner besondern Aufgabe auch sein
eigenes Recht und meist auch seine eigene Gesetzgebung hat. Daraus
dann ergibt sich folgendes System des Polizeiwesens und seines Rechts.

In dem Mangel dieser Unterscheidung der Sicherheits- und Verwaltungs-
polizei liegt der wesentliche Fehler sowohl von Mohls Präventivjustiz, der
übrigens auch die gerichtliche Funktion der Polizei nicht hinreichend scheidet,
als Maiers Polizeirecht. Die Gestalt des ganzen Gebiets wird erst durch diese
Scheidung klar und verständlich.

A. Die Sicherheitspolizei.
Begriff und Rechtsprincip.

Die Sicherheitspolizei ist demnach die Aufgabe und das Recht der
inneren Verwaltung, die persönliche Freiheit im Allgemeinen durch ihre
Verbote und Maßregeln da zu beschränken, wo vermöge derselben dem

daß bisher nur wenig Geſetzgebungen es zu einer ſelbſtändigen Polizei-
geſetzgebung gebracht haben und daß es zwar treffliche Commentare der
letzteren, aber keine Wiſſenſchaft des Polizeirechts an ſich gibt.

Um nun zu dieſer zu gelangen, muß man ſcheiden zwiſchen dem,
was wir die Sicherheits- und die Verwaltungspolizei nennen.

Die Natur der Gefahren, mit denen die innere Verwaltung im
Polizeiweſen zu kämpfen hat, iſt nämlich eine doppelte. Inſofern ſie
nämlich in der losgelaſſenen, an ſich maßloſen Kraft des Menſchen
beſteht, iſt ſie ihrem Weſen nach unbeſtimmt und umfaßt ohne Gränze
alle Lebensverhältniſſe der Gemeinſchaft. Sie kann aber auch nicht
mehr in der Perſönlichkeit überhaupt, ſondern in einer beſtimmten
Handlung
derſelben beſtehen, und in dieſem Falle bezieht ſie ſich
auch nur auf beſtimmte Verhältniſſe der Einzelnen oder der Geſammtheit.
In dieſem Falle gibt es ſo viele Arten der gefährlichen Handlungen,
als es einzelne Gebiete der Verwaltung gibt, während im erſten Falle
die Gefahr ſich auf alle gleichmäßig bezieht. Demnach ſagen wir, daß
die Abwendung der in der ſchrankenloſen Kraft der Perſönlichkeit
überhaupt
liegenden Gefahr die Sicherheitspolizei bildet, wäh-
rend die gegen einzelne und beſtimmte gefährliche Handlungen
gerichtete Polizei die Verwaltungspolizei iſt. Jene erſcheint deß-
halb als ein durchaus ſelbſtändiges Gebiet, während dieſe vielmehr
einen immanenten Theil jedes einzelnen Theiles der Verwaltung bildet
und daher eine ſelbſtändige Darſtellung bezw. Geſetzgebung nur in
ſofern fordert, als ſie durch den Organismus der Sicherheitspolizei
allgemein vollzogen wird.

Dieſe Unterſcheidung nun iſt um ſo wichtiger, als jeder dieſer
Theile der Polizei wieder vermöge ſeiner beſondern Aufgabe auch ſein
eigenes Recht und meiſt auch ſeine eigene Geſetzgebung hat. Daraus
dann ergibt ſich folgendes Syſtem des Polizeiweſens und ſeines Rechts.

In dem Mangel dieſer Unterſcheidung der Sicherheits- und Verwaltungs-
polizei liegt der weſentliche Fehler ſowohl von Mohls Präventivjuſtiz, der
übrigens auch die gerichtliche Funktion der Polizei nicht hinreichend ſcheidet,
als Maiers Polizeirecht. Die Geſtalt des ganzen Gebiets wird erſt durch dieſe
Scheidung klar und verſtändlich.

A. Die Sicherheitspolizei.
Begriff und Rechtsprincip.

Die Sicherheitspolizei iſt demnach die Aufgabe und das Recht der
inneren Verwaltung, die perſönliche Freiheit im Allgemeinen durch ihre
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[99/0123] daß bisher nur wenig Geſetzgebungen es zu einer ſelbſtändigen Polizei- geſetzgebung gebracht haben und daß es zwar treffliche Commentare der letzteren, aber keine Wiſſenſchaft des Polizeirechts an ſich gibt. Um nun zu dieſer zu gelangen, muß man ſcheiden zwiſchen dem, was wir die Sicherheits- und die Verwaltungspolizei nennen. Die Natur der Gefahren, mit denen die innere Verwaltung im Polizeiweſen zu kämpfen hat, iſt nämlich eine doppelte. Inſofern ſie nämlich in der losgelaſſenen, an ſich maßloſen Kraft des Menſchen beſteht, iſt ſie ihrem Weſen nach unbeſtimmt und umfaßt ohne Gränze alle Lebensverhältniſſe der Gemeinſchaft. Sie kann aber auch nicht mehr in der Perſönlichkeit überhaupt, ſondern in einer beſtimmten Handlung derſelben beſtehen, und in dieſem Falle bezieht ſie ſich auch nur auf beſtimmte Verhältniſſe der Einzelnen oder der Geſammtheit. In dieſem Falle gibt es ſo viele Arten der gefährlichen Handlungen, als es einzelne Gebiete der Verwaltung gibt, während im erſten Falle die Gefahr ſich auf alle gleichmäßig bezieht. Demnach ſagen wir, daß die Abwendung der in der ſchrankenloſen Kraft der Perſönlichkeit überhaupt liegenden Gefahr die Sicherheitspolizei bildet, wäh- rend die gegen einzelne und beſtimmte gefährliche Handlungen gerichtete Polizei die Verwaltungspolizei iſt. Jene erſcheint deß- halb als ein durchaus ſelbſtändiges Gebiet, während dieſe vielmehr einen immanenten Theil jedes einzelnen Theiles der Verwaltung bildet und daher eine ſelbſtändige Darſtellung bezw. Geſetzgebung nur in ſofern fordert, als ſie durch den Organismus der Sicherheitspolizei allgemein vollzogen wird. Dieſe Unterſcheidung nun iſt um ſo wichtiger, als jeder dieſer Theile der Polizei wieder vermöge ſeiner beſondern Aufgabe auch ſein eigenes Recht und meiſt auch ſeine eigene Geſetzgebung hat. Daraus dann ergibt ſich folgendes Syſtem des Polizeiweſens und ſeines Rechts. In dem Mangel dieſer Unterſcheidung der Sicherheits- und Verwaltungs- polizei liegt der weſentliche Fehler ſowohl von Mohls Präventivjuſtiz, der übrigens auch die gerichtliche Funktion der Polizei nicht hinreichend ſcheidet, als Maiers Polizeirecht. Die Geſtalt des ganzen Gebiets wird erſt durch dieſe Scheidung klar und verſtändlich. A. Die Sicherheitspolizei. Begriff und Rechtsprincip. Die Sicherheitspolizei iſt demnach die Aufgabe und das Recht der inneren Verwaltung, die perſönliche Freiheit im Allgemeinen durch ihre Verbote und Maßregeln da zu beſchränken, wo vermöge derſelben dem

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/123>, abgerufen am 27.11.2024.