Das eigentliche Polizeiwesen beginnt daher erst da, wo die Auf- gabe der inneren Verwaltung, die Gesammtheit vor Gefahren zu sichern, als selbständige Funktion mit eigenem Organismus und eigenem Recht auftritt.
Offenbar werden nun System und Recht dieses Polizeiwesens sich nach der Natur eben dieser specifischen Aufgabe gestalten, welche dem- gemäß dasselbe in der inneren Verwaltung übernimmt, und in der Entwicklung der ersteren aus der zweiten besteht demnach das, was wir jetzt die Wissenschaft des Polizeirechts zu nennen haben.
Das Wesen dieser Aufgabe besteht nun darin, daß die Polizei es mit der Abwendung von Gefahren zu thun hat, welche die Sicher- heit bedrohen. Ihr Objekt ist also nicht eine bereits geschehene That, die stets der Rechtspflege angehört und bei deren Verfolgung die Polizei dienen, die sie aber nicht selbst übernehmen kann, sondern eine mögliche und wahrscheinliche. Sie wendet sich daher nicht der geschehenen Verletzung der Sicherheit zu, sondern vielmehr der Kraft, welche diese Verletzung hervorzubringen droht. Ihr Objekt ist daher, stets etwas seinem Wesen nach Unbestimmtes, und es folgt daher, daß auch ihr Recht diesen Charakter des Unbestimmten an sich tragen muß. Sie muß daher rechtlich befugt sein, je nach Natur, Größe und Gefahr dieser Kraft ihre Verfügungen nach eigenem Ermessen zu erlassen. So entsteht der Begriff und das Princip der Polizei- Verfügungen. Aber in diesem Princip liegt auch wieder die Mög- lichkeit, je nach diesem Ermessen der Polizei die persönliche Freiheit zu beschränken und somit die Polizeiverfügung über das Recht zu stellen. So lange nun Gesetz und Verordnung identisch waren, war das nur eine mit dem ganzen Rechtszustande harmonirende Consequenz. Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert der Grundsatz Geltung gewinnt, daß jede Funktion der Verwaltung unter dem Gesetze stehen solle, also auch die der Polizei, mußte der Versuch entstehen, auch der Polizei für ihre Funktion gegenüber den gefährlichen Kräften eine ge- setzliche Gränze zu geben. Auf diese Weise entstand das Bedürfniß nach einem gesetzlichen Polizeirecht. Nun aber sind Gefahren auf jedem Punkte vorhanden; das ganze Leben der Gemeinschaft ist be- ständig von menschlichen und natürlichen Kräften durchdrungen und umgeben, welche seine Sicherheit bedrohen. Ein systematisches Polizei- recht hatte daher zur Voraussetzung eine streng systematische Auffassung eben dieses Gesammtlebens, um genügen zu können, und das ist eben ein System der Verwaltung. Dieses nun fehlte. Und so bildete sich zwar ein Polizeirecht, aber stückweise und ohne Zusammenhang. Die Sache ist da, aber das System fehlt. Daher denn die natürliche Erscheinung,
Das eigentliche Polizeiweſen beginnt daher erſt da, wo die Auf- gabe der inneren Verwaltung, die Geſammtheit vor Gefahren zu ſichern, als ſelbſtändige Funktion mit eigenem Organismus und eigenem Recht auftritt.
Offenbar werden nun Syſtem und Recht dieſes Polizeiweſens ſich nach der Natur eben dieſer ſpecifiſchen Aufgabe geſtalten, welche dem- gemäß daſſelbe in der inneren Verwaltung übernimmt, und in der Entwicklung der erſteren aus der zweiten beſteht demnach das, was wir jetzt die Wiſſenſchaft des Polizeirechts zu nennen haben.
Das Weſen dieſer Aufgabe beſteht nun darin, daß die Polizei es mit der Abwendung von Gefahren zu thun hat, welche die Sicher- heit bedrohen. Ihr Objekt iſt alſo nicht eine bereits geſchehene That, die ſtets der Rechtspflege angehört und bei deren Verfolgung die Polizei dienen, die ſie aber nicht ſelbſt übernehmen kann, ſondern eine mögliche und wahrſcheinliche. Sie wendet ſich daher nicht der geſchehenen Verletzung der Sicherheit zu, ſondern vielmehr der Kraft, welche dieſe Verletzung hervorzubringen droht. Ihr Objekt iſt daher, ſtets etwas ſeinem Weſen nach Unbeſtimmtes, und es folgt daher, daß auch ihr Recht dieſen Charakter des Unbeſtimmten an ſich tragen muß. Sie muß daher rechtlich befugt ſein, je nach Natur, Größe und Gefahr dieſer Kraft ihre Verfügungen nach eigenem Ermeſſen zu erlaſſen. So entſteht der Begriff und das Princip der Polizei- Verfügungen. Aber in dieſem Princip liegt auch wieder die Mög- lichkeit, je nach dieſem Ermeſſen der Polizei die perſönliche Freiheit zu beſchränken und ſomit die Polizeiverfügung über das Recht zu ſtellen. So lange nun Geſetz und Verordnung identiſch waren, war das nur eine mit dem ganzen Rechtszuſtande harmonirende Conſequenz. Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert der Grundſatz Geltung gewinnt, daß jede Funktion der Verwaltung unter dem Geſetze ſtehen ſolle, alſo auch die der Polizei, mußte der Verſuch entſtehen, auch der Polizei für ihre Funktion gegenüber den gefährlichen Kräften eine ge- ſetzliche Gränze zu geben. Auf dieſe Weiſe entſtand das Bedürfniß nach einem geſetzlichen Polizeirecht. Nun aber ſind Gefahren auf jedem Punkte vorhanden; das ganze Leben der Gemeinſchaft iſt be- ſtändig von menſchlichen und natürlichen Kräften durchdrungen und umgeben, welche ſeine Sicherheit bedrohen. Ein ſyſtematiſches Polizei- recht hatte daher zur Vorausſetzung eine ſtreng ſyſtematiſche Auffaſſung eben dieſes Geſammtlebens, um genügen zu können, und das iſt eben ein Syſtem der Verwaltung. Dieſes nun fehlte. Und ſo bildete ſich zwar ein Polizeirecht, aber ſtückweiſe und ohne Zuſammenhang. Die Sache iſt da, aber das Syſtem fehlt. Daher denn die natürliche Erſcheinung,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0122"n="98"/><p>Das <hirendition="#g">eigentliche</hi> Polizeiweſen beginnt daher erſt da, wo die Auf-<lb/>
gabe der inneren Verwaltung, die Geſammtheit vor Gefahren zu ſichern,<lb/>
als ſelbſtändige Funktion mit eigenem Organismus und eigenem Recht<lb/>
auftritt.</p><lb/><p>Offenbar werden nun Syſtem und Recht dieſes Polizeiweſens ſich<lb/>
nach der Natur eben dieſer ſpecifiſchen Aufgabe geſtalten, welche dem-<lb/>
gemäß daſſelbe in der inneren Verwaltung übernimmt, und in der<lb/>
Entwicklung der erſteren aus der zweiten beſteht demnach das, was<lb/>
wir jetzt die <hirendition="#g">Wiſſenſchaft des Polizeirechts</hi> zu nennen haben.</p><lb/><p>Das Weſen dieſer Aufgabe beſteht nun darin, daß die Polizei es<lb/>
mit der Abwendung von <hirendition="#g">Gefahren</hi> zu thun hat, welche die Sicher-<lb/>
heit bedrohen. Ihr Objekt iſt alſo nicht eine bereits <hirendition="#g">geſchehene<lb/>
That</hi>, die ſtets der Rechtspflege angehört und bei deren Verfolgung<lb/>
die Polizei dienen, die ſie aber nicht ſelbſt übernehmen kann, ſondern<lb/>
eine mögliche und <hirendition="#g">wahrſcheinliche</hi>. Sie wendet ſich daher nicht der<lb/>
geſchehenen Verletzung der Sicherheit zu, ſondern vielmehr der <hirendition="#g">Kraft</hi>,<lb/>
welche dieſe Verletzung hervorzubringen droht. Ihr Objekt iſt daher,<lb/>ſtets etwas ſeinem Weſen nach <hirendition="#g">Unbeſtimmtes</hi>, und es folgt daher,<lb/>
daß auch ihr <hirendition="#g">Recht</hi> dieſen Charakter des Unbeſtimmten an ſich tragen<lb/>
muß. Sie muß daher rechtlich befugt ſein, je nach Natur, Größe und<lb/>
Gefahr dieſer Kraft ihre Verfügungen <hirendition="#g">nach eigenem Ermeſſen</hi> zu<lb/>
erlaſſen. So entſteht der Begriff und das Princip der <hirendition="#g">Polizei-<lb/>
Verfügungen</hi>. Aber in dieſem Princip liegt auch wieder die Mög-<lb/>
lichkeit, je nach dieſem Ermeſſen der Polizei die perſönliche Freiheit zu<lb/>
beſchränken und ſomit die Polizeiverfügung <hirendition="#g">über das Recht</hi> zu<lb/>ſtellen. So lange nun Geſetz und Verordnung identiſch waren, war<lb/>
das nur eine mit dem ganzen Rechtszuſtande harmonirende Conſequenz.<lb/>
Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert der Grundſatz Geltung<lb/>
gewinnt, daß <hirendition="#g">jede</hi> Funktion der Verwaltung unter dem Geſetze ſtehen<lb/>ſolle, alſo auch die der Polizei, mußte der Verſuch entſtehen, auch der<lb/>
Polizei für ihre Funktion gegenüber den gefährlichen Kräften eine ge-<lb/>ſetzliche Gränze zu geben. Auf dieſe Weiſe entſtand das Bedürfniß<lb/>
nach einem geſetzlichen <hirendition="#g">Polizeirecht</hi>. Nun aber ſind Gefahren auf<lb/><hirendition="#g">jedem</hi> Punkte vorhanden; das ganze Leben der Gemeinſchaft iſt be-<lb/>ſtändig von menſchlichen und natürlichen Kräften durchdrungen und<lb/>
umgeben, welche ſeine Sicherheit bedrohen. Ein ſyſtematiſches Polizei-<lb/>
recht hatte daher zur Vorausſetzung eine ſtreng ſyſtematiſche Auffaſſung<lb/>
eben dieſes Geſammtlebens, um genügen zu können, und das iſt eben ein<lb/>
Syſtem der Verwaltung. Dieſes nun fehlte. Und ſo bildete ſich zwar<lb/>
ein Polizeirecht, aber ſtückweiſe und ohne Zuſammenhang. Die Sache<lb/>
iſt da, aber das Syſtem fehlt. Daher denn die natürliche Erſcheinung,<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[98/0122]
Das eigentliche Polizeiweſen beginnt daher erſt da, wo die Auf-
gabe der inneren Verwaltung, die Geſammtheit vor Gefahren zu ſichern,
als ſelbſtändige Funktion mit eigenem Organismus und eigenem Recht
auftritt.
Offenbar werden nun Syſtem und Recht dieſes Polizeiweſens ſich
nach der Natur eben dieſer ſpecifiſchen Aufgabe geſtalten, welche dem-
gemäß daſſelbe in der inneren Verwaltung übernimmt, und in der
Entwicklung der erſteren aus der zweiten beſteht demnach das, was
wir jetzt die Wiſſenſchaft des Polizeirechts zu nennen haben.
Das Weſen dieſer Aufgabe beſteht nun darin, daß die Polizei es
mit der Abwendung von Gefahren zu thun hat, welche die Sicher-
heit bedrohen. Ihr Objekt iſt alſo nicht eine bereits geſchehene
That, die ſtets der Rechtspflege angehört und bei deren Verfolgung
die Polizei dienen, die ſie aber nicht ſelbſt übernehmen kann, ſondern
eine mögliche und wahrſcheinliche. Sie wendet ſich daher nicht der
geſchehenen Verletzung der Sicherheit zu, ſondern vielmehr der Kraft,
welche dieſe Verletzung hervorzubringen droht. Ihr Objekt iſt daher,
ſtets etwas ſeinem Weſen nach Unbeſtimmtes, und es folgt daher,
daß auch ihr Recht dieſen Charakter des Unbeſtimmten an ſich tragen
muß. Sie muß daher rechtlich befugt ſein, je nach Natur, Größe und
Gefahr dieſer Kraft ihre Verfügungen nach eigenem Ermeſſen zu
erlaſſen. So entſteht der Begriff und das Princip der Polizei-
Verfügungen. Aber in dieſem Princip liegt auch wieder die Mög-
lichkeit, je nach dieſem Ermeſſen der Polizei die perſönliche Freiheit zu
beſchränken und ſomit die Polizeiverfügung über das Recht zu
ſtellen. So lange nun Geſetz und Verordnung identiſch waren, war
das nur eine mit dem ganzen Rechtszuſtande harmonirende Conſequenz.
Als aber mit dem neunzehnten Jahrhundert der Grundſatz Geltung
gewinnt, daß jede Funktion der Verwaltung unter dem Geſetze ſtehen
ſolle, alſo auch die der Polizei, mußte der Verſuch entſtehen, auch der
Polizei für ihre Funktion gegenüber den gefährlichen Kräften eine ge-
ſetzliche Gränze zu geben. Auf dieſe Weiſe entſtand das Bedürfniß
nach einem geſetzlichen Polizeirecht. Nun aber ſind Gefahren auf
jedem Punkte vorhanden; das ganze Leben der Gemeinſchaft iſt be-
ſtändig von menſchlichen und natürlichen Kräften durchdrungen und
umgeben, welche ſeine Sicherheit bedrohen. Ein ſyſtematiſches Polizei-
recht hatte daher zur Vorausſetzung eine ſtreng ſyſtematiſche Auffaſſung
eben dieſes Geſammtlebens, um genügen zu können, und das iſt eben ein
Syſtem der Verwaltung. Dieſes nun fehlte. Und ſo bildete ſich zwar
ein Polizeirecht, aber ſtückweiſe und ohne Zuſammenhang. Die Sache
iſt da, aber das Syſtem fehlt. Daher denn die natürliche Erſcheinung,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/122>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.