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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Widerstand eines fremden Daseins einsetzen könnte, pst_088.002
hört sein Dichten jeweils auf. Er bedenkt nicht, was pst_088.003
dieses Aufhören bedeutet: daß jenes Leben, das Musik pst_088.004
war, nun wieder fremd und äußerlich ist. Er spürt es pst_088.005
wohl und trauert darüber. Aber so lang er es spürt, vermag pst_088.006
er sich nicht als Dichter zu äußern. Ihm bleibt nur pst_088.007
übrig, neue Gunst der Übereinstimmung zu erwarten. pst_088.008
Dann singt er abermals einige Verse, um alsbald wieder pst_088.009
zu verstummen. Ein ungeheuerliches Dasein, das die pst_088.010
Beseligungen der Gnade mit einer erschütternden Hilflosigkeit pst_088.011
in allem, was Verdienst ist, erkauft, das Glück pst_088.012
der Übereinstimmung mit einer im Alltag blutenden pst_088.013
Wunde, für die auf Erden kein Heilkraut blüht.

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Widerstand eines fremden Daseins einsetzen könnte, pst_088.002
hört sein Dichten jeweils auf. Er bedenkt nicht, was pst_088.003
dieses Aufhören bedeutet: daß jenes Leben, das Musik pst_088.004
war, nun wieder fremd und äußerlich ist. Er spürt es pst_088.005
wohl und trauert darüber. Aber so lang er es spürt, vermag pst_088.006
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/92>, abgerufen am 27.04.2024.