Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_215.001 Der zartere Leser wird sich fragen, wie solchen Werken pst_215.008 Es dürfte uns klar sein, wie das Komische zum dramatischen pst_215.027 pst_215.001 Der zartere Leser wird sich fragen, wie solchen Werken pst_215.008 Es dürfte uns klar sein, wie das Komische zum dramatischen pst_215.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0219" n="215"/><lb n="pst_215.001"/> nenne die «Lysistrata», wo die ernsteste Frage «Krieg <lb n="pst_215.002"/> oder Frieden?», das Heil der eigenen Polis, auf die Befriedigung <lb n="pst_215.003"/> des Geschlechts hinausläuft, so daß der geile <lb n="pst_215.004"/> Politiker gern die staatlichen Erwägungen preisgibt, <lb n="pst_215.005"/> um nur das nächste Ziel, zu dem ihn der Trieb gebieterisch <lb n="pst_215.006"/> drängt, zu erreichen.</p> <lb n="pst_215.007"/> <p> Der zartere Leser wird sich fragen, wie solchen Werken <lb n="pst_215.008"/> der Rang einer großen Dichtung zuzubilligen sei. <lb n="pst_215.009"/> Allein, im Gelächter, das Komik auslöst, liegt ein ungeheurer <lb n="pst_215.010"/> Triumph und eine unumstößliche Wahrheit. <lb n="pst_215.011"/> Wiederum wird der Mensch auf die Grenzen seiner Endlichkeit <lb n="pst_215.012"/> aufmerksam, aber nun so, daß er nicht umhin <lb n="pst_215.013"/> kann, diese Endlichkeit zu bejahen. Er plant, entwirft, <lb n="pst_215.014"/> bedenkt und bezieht. Er ist sich selber immer voraus <lb n="pst_215.015"/> und sucht das Ganze des Lebens unter <hi rendition="#g">einem</hi> Gesichtspunkt <lb n="pst_215.016"/> zusammenzufassen. Eben deshalb aber bleibt er <lb n="pst_215.017"/> auch immer hinter sich selber zurück; und wie das Tragische <lb n="pst_215.018"/> überfällt ihn das Komische aus dem Hinterhalt, <lb n="pst_215.019"/> doch nicht, um ihn zu zerstören, sondern um ihn gleichsam <lb n="pst_215.020"/> mit dem Ruf: Halt! Wozu auch? zum Stillstand zu <lb n="pst_215.021"/> bringen. Sosias im «Amphitryon» findet die heikelsten <lb n="pst_215.022"/> Untersuchungen über das Wesen der Identität entbehrlich, <lb n="pst_215.023"/> und etwas in uns stimmt ihm zu, ein Trotz des <lb n="pst_215.024"/> Lebens, das sich sein unmittelbares Recht nicht rauben <lb n="pst_215.025"/> läßt und wohlig jede Begründung verschmäht.</p> <lb n="pst_215.026"/> <p> Es dürfte uns klar sein, wie das Komische zum dramatischen <lb n="pst_215.027"/> Stil gehört. Der Komiker spannt, um zu entspannen. <lb n="pst_215.028"/> Er tut so, als wolle er hoch hinaus, um in dem <lb n="pst_215.029"/> Augenblick, da wir den Aufwand machen, den Aufwand <lb n="pst_215.030"/> zu ersparen und etwas vorzuweisen, das sich ohne <lb n="pst_215.031"/> weiteres selbst verbürgt. «Wozu?» – «Wozu auch?» – </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [215/0219]
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nenne die «Lysistrata», wo die ernsteste Frage «Krieg pst_215.002
oder Frieden?», das Heil der eigenen Polis, auf die Befriedigung pst_215.003
des Geschlechts hinausläuft, so daß der geile pst_215.004
Politiker gern die staatlichen Erwägungen preisgibt, pst_215.005
um nur das nächste Ziel, zu dem ihn der Trieb gebieterisch pst_215.006
drängt, zu erreichen.
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Der zartere Leser wird sich fragen, wie solchen Werken pst_215.008
der Rang einer großen Dichtung zuzubilligen sei. pst_215.009
Allein, im Gelächter, das Komik auslöst, liegt ein ungeheurer pst_215.010
Triumph und eine unumstößliche Wahrheit. pst_215.011
Wiederum wird der Mensch auf die Grenzen seiner Endlichkeit pst_215.012
aufmerksam, aber nun so, daß er nicht umhin pst_215.013
kann, diese Endlichkeit zu bejahen. Er plant, entwirft, pst_215.014
bedenkt und bezieht. Er ist sich selber immer voraus pst_215.015
und sucht das Ganze des Lebens unter einem Gesichtspunkt pst_215.016
zusammenzufassen. Eben deshalb aber bleibt er pst_215.017
auch immer hinter sich selber zurück; und wie das Tragische pst_215.018
überfällt ihn das Komische aus dem Hinterhalt, pst_215.019
doch nicht, um ihn zu zerstören, sondern um ihn gleichsam pst_215.020
mit dem Ruf: Halt! Wozu auch? zum Stillstand zu pst_215.021
bringen. Sosias im «Amphitryon» findet die heikelsten pst_215.022
Untersuchungen über das Wesen der Identität entbehrlich, pst_215.023
und etwas in uns stimmt ihm zu, ein Trotz des pst_215.024
Lebens, das sich sein unmittelbares Recht nicht rauben pst_215.025
läßt und wohlig jede Begründung verschmäht.
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Es dürfte uns klar sein, wie das Komische zum dramatischen pst_215.027
Stil gehört. Der Komiker spannt, um zu entspannen. pst_215.028
Er tut so, als wolle er hoch hinaus, um in dem pst_215.029
Augenblick, da wir den Aufwand machen, den Aufwand pst_215.030
zu ersparen und etwas vorzuweisen, das sich ohne pst_215.031
weiteres selbst verbürgt. «Wozu?» – «Wozu auch?» –
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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