Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_209.001 Dasselbe gilt von Lautphänomenen der Sprache, die pst_209.006 "Aber sehr frugal speist der Holofernes, pst_209.009 pst_209.010Nur ein Huhn mit Salat und ein Schnitzel, ein kälbernes..." pst_209.011 so wird unsere Aufmerksamkeit durch den an den Haaren pst_209.012 Was aus dem Rahmen fällt, muß erfreulich und unmittelbar pst_209.027 pst_209.001 Dasselbe gilt von Lautphänomenen der Sprache, die pst_209.006 «Aber sehr frugal speist der Holofernes, pst_209.009 pst_209.010Nur ein Huhn mit Salat und ein Schnitzel, ein kälbernes...» pst_209.011 so wird unsere Aufmerksamkeit durch den an den Haaren pst_209.012 Was aus dem Rahmen fällt, muß erfreulich und unmittelbar pst_209.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0213" n="209"/><lb n="pst_209.001"/> wir im Sinne haben, wenn wir einen menschlichen <lb n="pst_209.002"/> Körper betrachten. Eine apriorische Erwartung wird <lb n="pst_209.003"/> getäuscht, ein Entwurf braucht plötzlich nicht durchgeführt <lb n="pst_209.004"/> zu werden.</p> <lb n="pst_209.005"/> <p> Dasselbe gilt von Lautphänomenen der Sprache, die <lb n="pst_209.006"/> unser Gelächter erregen. Wenn wir in Nestroys «Judith»-Parodie <lb n="pst_209.007"/> die verblüffenden Verse lesen:</p> <lb n="pst_209.008"/> <lg> <l>«Aber sehr frugal speist der Holofernes,</l> <lb n="pst_209.009"/> <l>Nur ein Huhn mit Salat und ein Schnitzel, ein käl<hi rendition="#et">bernes...»</hi></l> </lg> <lb n="pst_209.010"/> <lb n="pst_209.011"/> <p>so wird unsere Aufmerksamkeit durch den an den Haaren <lb n="pst_209.012"/> herbeigezogenen, über alles Maß aufdringlichen <lb n="pst_209.013"/> Reim vom Sinnzusammenhang abgelenkt. Statt die <lb n="pst_209.014"/> Spannung durchzuhalten, in die uns das Ziel des Satzes <lb n="pst_209.015"/> versetzt, fahren wir gleichsam seitlich aus und ergötzen <lb n="pst_209.016"/> uns an dem zwecklosen Lautspiel. Bei gewöhnlichen lyrischen <lb n="pst_209.017"/> Reimen lachen wir nicht, weil da der zartere <lb n="pst_209.018"/> Einklang nur den Sinn zum Schweben und Klingen <lb n="pst_209.019"/> bringt, nicht aber aus dem Netz der Sinnbezüge herausfällt. <lb n="pst_209.020"/> Ebenso ist ein Takt nicht komisch, der unauffällig <lb n="pst_209.021"/> die Worte eines Verses gliedert, wohl aber ein Takt, der <lb n="pst_209.022"/> sich, wie in Schillers Ballade «Der Gang nach dem Eisenhammer» <lb n="pst_209.023"/> oder in Versen von Wilhelm Busch, als <lb n="pst_209.024"/> solcher bemerkbar macht und der Anstrengung, einem <lb n="pst_209.025"/> Sinn zu folgen, spottet.</p> <lb n="pst_209.026"/> <p> Was aus dem Rahmen fällt, muß erfreulich und unmittelbar <lb n="pst_209.027"/> sich selbst genug sein. Ein Schauspieler, der <lb n="pst_209.028"/> seine Rolle nicht beherrscht und sich umsieht, ob ihm <lb n="pst_209.029"/> jemand helfe, ist an sich nicht komisch, sondern ein <lb n="pst_209.030"/> Ärgernis. Über einen Buckel wird ein erwachsener </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [209/0213]
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wir im Sinne haben, wenn wir einen menschlichen pst_209.002
Körper betrachten. Eine apriorische Erwartung wird pst_209.003
getäuscht, ein Entwurf braucht plötzlich nicht durchgeführt pst_209.004
zu werden.
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Dasselbe gilt von Lautphänomenen der Sprache, die pst_209.006
unser Gelächter erregen. Wenn wir in Nestroys «Judith»-Parodie pst_209.007
die verblüffenden Verse lesen:
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«Aber sehr frugal speist der Holofernes, pst_209.009
Nur ein Huhn mit Salat und ein Schnitzel, ein kälbernes...»
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so wird unsere Aufmerksamkeit durch den an den Haaren pst_209.012
herbeigezogenen, über alles Maß aufdringlichen pst_209.013
Reim vom Sinnzusammenhang abgelenkt. Statt die pst_209.014
Spannung durchzuhalten, in die uns das Ziel des Satzes pst_209.015
versetzt, fahren wir gleichsam seitlich aus und ergötzen pst_209.016
uns an dem zwecklosen Lautspiel. Bei gewöhnlichen lyrischen pst_209.017
Reimen lachen wir nicht, weil da der zartere pst_209.018
Einklang nur den Sinn zum Schweben und Klingen pst_209.019
bringt, nicht aber aus dem Netz der Sinnbezüge herausfällt. pst_209.020
Ebenso ist ein Takt nicht komisch, der unauffällig pst_209.021
die Worte eines Verses gliedert, wohl aber ein Takt, der pst_209.022
sich, wie in Schillers Ballade «Der Gang nach dem Eisenhammer» pst_209.023
oder in Versen von Wilhelm Busch, als pst_209.024
solcher bemerkbar macht und der Anstrengung, einem pst_209.025
Sinn zu folgen, spottet.
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Was aus dem Rahmen fällt, muß erfreulich und unmittelbar pst_209.027
sich selbst genug sein. Ein Schauspieler, der pst_209.028
seine Rolle nicht beherrscht und sich umsieht, ob ihm pst_209.029
jemand helfe, ist an sich nicht komisch, sondern ein pst_209.030
Ärgernis. Über einen Buckel wird ein erwachsener
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