Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_193.001 Nicht die Vollkommenheit (das heißt die stilistische pst_193.002 Das größte Beispiel in deutscher Sprache bietet Schillers pst_193.016 pst_193.001 Nicht die Vollkommenheit (das heißt die stilistische pst_193.002 Das größte Beispiel in deutscher Sprache bietet Schillers pst_193.016 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0197" n="193"/> <lb n="pst_193.001"/> <p> Nicht die Vollkommenheit (das heißt die stilistische <lb n="pst_193.002"/> Einstimmigkeit) eines Dramas, wohl aber sein Rang, <lb n="pst_193.003"/> seine tiefere Bedeutung ist mitbestimmt durch die <lb n="pst_193.004"/> höchste Instanz, vor die der Prozeß gezogen wird. Ein <lb n="pst_193.005"/> Kotzebue, ein Wildenbruch gibt sich bereits mit niederen <lb n="pst_193.006"/> Instanzen, dem Staat, der Wohlfahrt der Gesellschaft, <lb n="pst_193.007"/> zufrieden. Bei den Griechen spielt sich alles unmittelbar <lb n="pst_193.008"/> vor den Göttern ab. Doch manchmal wird <lb n="pst_193.009"/> eine Frage auch einer Instanz nach der andern vorgelegt, <lb n="pst_193.010"/> die Zuständigkeit immer wieder bestritten, bis <lb n="pst_193.011"/> schließlich eine Behörde spricht, über die hinaus es nicht <lb n="pst_193.012"/> weitergeht. Daraus ergibt sich die kunstreichste Spannung. <lb n="pst_193.013"/> Von Pfeiler zu Pfeiler strebt das Gewölbe zur <lb n="pst_193.014"/> schwindelerregenden Kuppel hinauf.</p> <lb n="pst_193.015"/> <p> Das größte Beispiel in deutscher Sprache bietet Schillers <lb n="pst_193.016"/> «Wallenstein». So wie die Tragödie jetzt abgeteilt <lb n="pst_193.017"/> ist, äußern sich im ersten Teil, in «Wallensteins Lager», <lb n="pst_193.018"/> die Soldaten zum Plan und zur Person ihres Feldherrn. <lb n="pst_193.019"/> Sie wissen nicht genau Bescheid und finden sich unbedenklich <lb n="pst_193.020"/> mit Vermutungen und Gerüchten ab. Ihr <lb n="pst_193.021"/> Horizont, ihre Welt ist eng. Es geht ihnen einzig um <lb n="pst_193.022"/> den Krieg. Das frohe Soldatenleben soll dauern. Wer <lb n="pst_193.023"/> dafür eintritt, ist ihr Mann. Die Kunde von andern <lb n="pst_193.024"/> Möglichkeiten und Werten dringt zwar auch ins Lager, <lb n="pst_193.025"/> so durch den Bürger, der den Rekruten zurückhalten <lb n="pst_193.026"/> will, und durch den Kapuziner, der christliche Tugend <lb n="pst_193.027"/> predigt. Der Bürger aber wird verspottet. Den Kapuziner <lb n="pst_193.028"/> läßt man zwar gelten, weil auch ein Pfaffe ins Lager <lb n="pst_193.029"/> gehört. Sobald er jedoch eine praktische Folgerung zieht <lb n="pst_193.030"/> und Wallenstein verunglimpft, ist seine Autorität dahin. <lb n="pst_193.031"/> Ein anderes ist die heilige Kirche, ein anderes der unheilige </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0197]
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Nicht die Vollkommenheit (das heißt die stilistische pst_193.002
Einstimmigkeit) eines Dramas, wohl aber sein Rang, pst_193.003
seine tiefere Bedeutung ist mitbestimmt durch die pst_193.004
höchste Instanz, vor die der Prozeß gezogen wird. Ein pst_193.005
Kotzebue, ein Wildenbruch gibt sich bereits mit niederen pst_193.006
Instanzen, dem Staat, der Wohlfahrt der Gesellschaft, pst_193.007
zufrieden. Bei den Griechen spielt sich alles unmittelbar pst_193.008
vor den Göttern ab. Doch manchmal wird pst_193.009
eine Frage auch einer Instanz nach der andern vorgelegt, pst_193.010
die Zuständigkeit immer wieder bestritten, bis pst_193.011
schließlich eine Behörde spricht, über die hinaus es nicht pst_193.012
weitergeht. Daraus ergibt sich die kunstreichste Spannung. pst_193.013
Von Pfeiler zu Pfeiler strebt das Gewölbe zur pst_193.014
schwindelerregenden Kuppel hinauf.
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Das größte Beispiel in deutscher Sprache bietet Schillers pst_193.016
«Wallenstein». So wie die Tragödie jetzt abgeteilt pst_193.017
ist, äußern sich im ersten Teil, in «Wallensteins Lager», pst_193.018
die Soldaten zum Plan und zur Person ihres Feldherrn. pst_193.019
Sie wissen nicht genau Bescheid und finden sich unbedenklich pst_193.020
mit Vermutungen und Gerüchten ab. Ihr pst_193.021
Horizont, ihre Welt ist eng. Es geht ihnen einzig um pst_193.022
den Krieg. Das frohe Soldatenleben soll dauern. Wer pst_193.023
dafür eintritt, ist ihr Mann. Die Kunde von andern pst_193.024
Möglichkeiten und Werten dringt zwar auch ins Lager, pst_193.025
so durch den Bürger, der den Rekruten zurückhalten pst_193.026
will, und durch den Kapuziner, der christliche Tugend pst_193.027
predigt. Der Bürger aber wird verspottet. Den Kapuziner pst_193.028
läßt man zwar gelten, weil auch ein Pfaffe ins Lager pst_193.029
gehört. Sobald er jedoch eine praktische Folgerung zieht pst_193.030
und Wallenstein verunglimpft, ist seine Autorität dahin. pst_193.031
Ein anderes ist die heilige Kirche, ein anderes der unheilige
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