Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_015.001 Der sogenannte Kenner hat Grund, das Urteil des pst_015.004 "Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische pst_015.013 pst_015.014Marmor." Oder das "Dumpfhin kracht' er im Fall", das ausgezeichnet pst_015.015 Aiei de malakoisi kai aimulioisi logoisi ... (I, 56). pst_015.019 Hier werden lautliche Mittel der Sprache auf einen pst_015.020 pst_015.001 Der sogenannte Kenner hat Grund, das Urteil des pst_015.004 «Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische pst_015.013 pst_015.014Marmor.» Oder das «Dumpfhin kracht' er im Fall», das ausgezeichnet pst_015.015 Αἰεὶ δὲ μαλακοῖσι καὶ αἱμυλίοισι λόγοισι ... (I, 56). pst_015.019 Hier werden lautliche Mittel der Sprache auf einen pst_015.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0019" n="15"/><lb n="pst_015.001"/> unterschieben, wo das Absichtslose erfreut und jede <lb n="pst_015.002"/> Spur von Absicht verstimmt.</p> <lb n="pst_015.003"/> <p> Der sogenannte Kenner hat Grund, das Urteil des <lb n="pst_015.004"/> Liebhabers nicht zu verachten. Denn wahr ist auch sein <lb n="pst_015.005"/> Erkennen nur, solang er zugleich Liebhaber bleibt. <lb n="pst_015.006"/> Doch es ist vielleicht möglich, den Streit zu schlichten. <lb n="pst_015.007"/> Der Kenner müßte nur zugeben, daß hier keine Lautmalerei <lb n="pst_015.008"/> vorliegt. Lautmalerische Verse sind uns in <lb n="pst_015.009"/> großer Zahl aus den Epen Homers bekannt, etwa aus <lb n="pst_015.010"/> Vossens Übertragung der vielzitierte, vielgerühmte und <lb n="pst_015.011"/> angefochtene Hexameter:</p> <lb n="pst_015.012"/> <lg> <l>«Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische</l> <lb n="pst_015.013"/> <l> <hi rendition="#et">Marmor.»</hi> </l> </lg> <lb n="pst_015.014"/> <p>Oder das «Dumpfhin kracht' er im Fall», das ausgezeichnet <lb n="pst_015.015"/> das griechische <foreign xml:lang="grc">δούπησέν τε πεσών</foreign> auf deutsch <lb n="pst_015.016"/> wiedergibt; oder der Vers, der das Liebeswerben Kalypsos <lb n="pst_015.017"/> um Odysseus schildert:</p> <lb n="pst_015.018"/> <lg> <l><foreign xml:lang="grc">Αἰεὶ δὲ μαλακοῖσι καὶ αἱμυλίοισι λόγοισι</foreign> ... (I, 56).</l> </lg> <lb n="pst_015.019"/> <p> Hier werden lautliche Mittel der Sprache auf einen <lb n="pst_015.020"/> Vorgang angewandt. «Anwenden auf ...» bedeutet, <lb n="pst_015.021"/> daß die Sprache und der beschriebene Vorgang voneinander <lb n="pst_015.022"/> geschieden sind. Wir sagen deshalb mit Recht, <lb n="pst_015.023"/> die Sprache gebe den Vorgang «wieder». Der Begriff <lb n="pst_015.024"/> «imitatio» ist am Platz. Das sprachliche Nachahmen <lb n="pst_015.025"/> ist eine Leistung, von der sich einigermaßen Rechenschaft <lb n="pst_015.026"/> ablegen läßt: diese Folge von lauter Daktylen <lb n="pst_015.027"/> gibt das Gepolter des Marmors wieder, dieser Reichtum <lb n="pst_015.028"/> von Vokalen die Verführungskünste Kalypsos. Solche <lb n="pst_015.029"/> Nachweise verstimmen kaum, weil der Leser die Absicht </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0019]
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unterschieben, wo das Absichtslose erfreut und jede pst_015.002
Spur von Absicht verstimmt.
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Der sogenannte Kenner hat Grund, das Urteil des pst_015.004
Liebhabers nicht zu verachten. Denn wahr ist auch sein pst_015.005
Erkennen nur, solang er zugleich Liebhaber bleibt. pst_015.006
Doch es ist vielleicht möglich, den Streit zu schlichten. pst_015.007
Der Kenner müßte nur zugeben, daß hier keine Lautmalerei pst_015.008
vorliegt. Lautmalerische Verse sind uns in pst_015.009
großer Zahl aus den Epen Homers bekannt, etwa aus pst_015.010
Vossens Übertragung der vielzitierte, vielgerühmte und pst_015.011
angefochtene Hexameter:
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«Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische pst_015.013
Marmor.»
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Oder das «Dumpfhin kracht' er im Fall», das ausgezeichnet pst_015.015
das griechische δούπησέν τε πεσών auf deutsch pst_015.016
wiedergibt; oder der Vers, der das Liebeswerben Kalypsos pst_015.017
um Odysseus schildert:
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Αἰεὶ δὲ μαλακοῖσι καὶ αἱμυλίοισι λόγοισι ... (I, 56).
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Hier werden lautliche Mittel der Sprache auf einen pst_015.020
Vorgang angewandt. «Anwenden auf ...» bedeutet, pst_015.021
daß die Sprache und der beschriebene Vorgang voneinander pst_015.022
geschieden sind. Wir sagen deshalb mit Recht, pst_015.023
die Sprache gebe den Vorgang «wieder». Der Begriff pst_015.024
«imitatio» ist am Platz. Das sprachliche Nachahmen pst_015.025
ist eine Leistung, von der sich einigermaßen Rechenschaft pst_015.026
ablegen läßt: diese Folge von lauter Daktylen pst_015.027
gibt das Gepolter des Marmors wieder, dieser Reichtum pst_015.028
von Vokalen die Verführungskünste Kalypsos. Solche pst_015.029
Nachweise verstimmen kaum, weil der Leser die Absicht
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