Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_170.001 pst_170.011 2. pst_170.012 Wir haben vom Pathos aus einen Weg zum Verständnis pst_170.013 "Faustin pst_170.022 Faustin, der ganze funfzehn Jahr pst_170.023 Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war, pst_170.024 Ward, von dem Wucher reich gemacht, pst_170.025 Auf seinem Schiffe heimgebracht. pst_170.026 "Gott", seufzt' der redliche Faustin, pst_170.027 Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern' erschien, pst_170.028 "Gott, strafe mich nicht meiner Sünden pst_170.001 pst_170.011 2. pst_170.012 Wir haben vom Pathos aus einen Weg zum Verständnis pst_170.013 «Faustin pst_170.022 Faustin, der ganze funfzehn Jahr pst_170.023 Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war, pst_170.024 Ward, von dem Wucher reich gemacht, pst_170.025 Auf seinem Schiffe heimgebracht. pst_170.026 «Gott», seufzt' der redliche Faustin, pst_170.027 Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern' erschien, pst_170.028 «Gott, strafe mich nicht meiner Sünden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0174" n="170"/><lb n="pst_170.001"/> des Schmerzes zu kommen – eines persischen Schmerzes, <lb n="pst_170.002"/> der für die Hörer der größte Jubel ist – dies alles <lb n="pst_170.003"/> drückt das Gegenwärtige in jedem Augenblick so herab <lb n="pst_170.004"/> und arbeitet sich so rastlos vorwärts, daß das Werk an <lb n="pst_170.005"/> Spannung jedes moderne Intrigenstück weit übertrifft. <lb n="pst_170.006"/> Dann, wenn die Höhe des Schmerzes erreicht ist, sagen <lb n="pst_170.007"/> die griechischen Tragiker wohl <foreign xml:lang="grc">\̔Αλις, ἀποπαύεσθε νῦν</foreign>, <lb n="pst_170.008"/> «Lasset nun ab, es ist genug». Die Leere des Pathos ist <lb n="pst_170.009"/> aufgefüllt. Es steht nichts mehr aus. Die Gestalten des <lb n="pst_170.010"/> Dichters sowohl wie die Zuschauer sind am Ziel.</p> </div> <div n="2"> <lb n="pst_170.011"/> <head> <hi rendition="#c">2.</hi> </head> <lb n="pst_170.012"/> <p> Wir haben vom Pathos aus einen Weg zum Verständnis <lb n="pst_170.013"/> der Bühne zu finden geglaubt. Freilich wurden dabei <lb n="pst_170.014"/> nur bestimmte Möglichkeiten der Bühne sichtbar. <lb n="pst_170.015"/> Es gibt indes auch eine unpathetische spannende Poesie. <lb n="pst_170.016"/> Die ersten Proben, die wir betrachten, haben nichts <lb n="pst_170.017"/> mit dem Theater zu tun. Nach einem längeren Umweg <lb n="pst_170.018"/> aber wird sich hier ein zweiter Zugang zur Bühne <lb n="pst_170.019"/> öffnen. Ich beginne mit einer kleinen belanglosen Verserzählung <lb n="pst_170.020"/> von Lessing:</p> <lb n="pst_170.021"/> <lg> <l> «<hi rendition="#g">Faustin</hi></l> <lb n="pst_170.022"/> <l>Faustin, der ganze funfzehn Jahr</l> <lb n="pst_170.023"/> <l>Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war,</l> <lb n="pst_170.024"/> <l>Ward, von dem Wucher reich gemacht,</l> <lb n="pst_170.025"/> <l>Auf seinem Schiffe heimgebracht.</l> <lb n="pst_170.026"/> <l>«Gott», seufzt' der redliche Faustin,</l> <lb n="pst_170.027"/> <l>Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern' erschien,</l> <lb n="pst_170.028"/> <l>«Gott, strafe mich nicht meiner Sünden</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0174]
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des Schmerzes zu kommen – eines persischen Schmerzes, pst_170.002
der für die Hörer der größte Jubel ist – dies alles pst_170.003
drückt das Gegenwärtige in jedem Augenblick so herab pst_170.004
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Spannung jedes moderne Intrigenstück weit übertrifft. pst_170.006
Dann, wenn die Höhe des Schmerzes erreicht ist, sagen pst_170.007
die griechischen Tragiker wohl \̔Αλις, ἀποπαύεσθε νῦν, pst_170.008
«Lasset nun ab, es ist genug». Die Leere des Pathos ist pst_170.009
aufgefüllt. Es steht nichts mehr aus. Die Gestalten des pst_170.010
Dichters sowohl wie die Zuschauer sind am Ziel.
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2. pst_170.012
Wir haben vom Pathos aus einen Weg zum Verständnis pst_170.013
der Bühne zu finden geglaubt. Freilich wurden dabei pst_170.014
nur bestimmte Möglichkeiten der Bühne sichtbar. pst_170.015
Es gibt indes auch eine unpathetische spannende Poesie. pst_170.016
Die ersten Proben, die wir betrachten, haben nichts pst_170.017
mit dem Theater zu tun. Nach einem längeren Umweg pst_170.018
aber wird sich hier ein zweiter Zugang zur Bühne pst_170.019
öffnen. Ich beginne mit einer kleinen belanglosen Verserzählung pst_170.020
von Lessing:
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Faustin, der ganze funfzehn Jahr pst_170.023
Entfernt von Haus und Hof und Weib und Kindern war, pst_170.024
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Auf seinem Schiffe heimgebracht. pst_170.026
«Gott», seufzt' der redliche Faustin, pst_170.027
Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern' erschien, pst_170.028
«Gott, strafe mich nicht meiner Sünden
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