Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_148.001 Neben den Tieren wären dann weiterhin die Kinder pst_148.012 In der klassischen Epoche des deutschen Schrifttums pst_148.028 pst_148.001 Neben den Tieren wären dann weiterhin die Kinder pst_148.012 In der klassischen Epoche des deutschen Schrifttums pst_148.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="148"/><lb n="pst_148.001"/> in seiner Beschaffenheit von Gott, und kann deshalb <lb n="pst_148.002"/> mit stereotypen Epitheta ausgestattet werden. Das <lb n="pst_148.003"/> Tier lebt in den Tag hinein. Es hat seinen eigenen Lebenskreis. <lb n="pst_148.004"/> Jedes ist eine Welt für sich und vermag sich <lb n="pst_148.005"/> als solche auch gegen die Monarchie des Löwen zu behaupten. <lb n="pst_148.006"/> So ist denn Reineke Fuchs tatsächlich ein <lb n="pst_148.007"/> neuer listenreicher Odysseus. Und wundern kann es uns <lb n="pst_148.008"/> nicht, daß er in Tiergestalt Auferstehung feiert. Die <lb n="pst_148.009"/> Menschen nämlich sind anders geworden. Die Tiere <lb n="pst_148.010"/> aber sind geblieben, was sie waren von Anbeginn.</p> <lb n="pst_148.011"/> <p> Neben den Tieren wären dann weiterhin die Kinder <lb n="pst_148.012"/> und Toren zu nennen, Till Eulenspiegel, und was an <lb n="pst_148.013"/> Schalksnarren sonst in Epen sein Wesen treibt. Sie kennen <lb n="pst_148.014"/> keine Verantwortung gegenüber dem, was allgemein <lb n="pst_148.015"/> gilt, so wenig wie die homerischen Helden, die <lb n="pst_148.016"/> leben und handeln nach eigenem Sinn. Wenn so die <lb n="pst_148.017"/> Komik des Naiven in die Nähe des Epischen rückt, so <lb n="pst_148.018"/> darf uns das wohl kaum beirren. Auch Homer, sobald <lb n="pst_148.019"/> wir ihn mit unserm modernen Bewußtsein lesen, nötigt <lb n="pst_148.020"/> uns oft ein Lächeln ab. Er selber lächelt freilich nicht, <lb n="pst_148.021"/> wenn die Götter sich zanken oder Zeus seine Neigung <lb n="pst_148.022"/> zu den Troianern mit dem Wein und Gedüft begründet, <lb n="pst_148.023"/> das Priamos ihm gespendet hat. Wir aber lächeln, weil <lb n="pst_148.024"/> es uns von mühsameren Gottesgedanken entspannt, <lb n="pst_148.025"/> weil überall das homerische Epos von Sorgen der modernen <lb n="pst_148.026"/> Kultur und Anstrengungen des Geistes befreit.</p> <lb n="pst_148.027"/> <p> In der klassischen Epoche des deutschen Schrifttums <lb n="pst_148.028"/> blüht, begünstigt von Vossens Homerübersetzung, das <lb n="pst_148.029"/> Epos abermals auf. Die «Luise» von Voß, Goethes <lb n="pst_148.030"/> «Hermann und Dorothea», Hebbels «Mutter und <lb n="pst_148.031"/> Kind», die «Idylle vom Bodensee» von Mörike stehen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [148/0152]
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in seiner Beschaffenheit von Gott, und kann deshalb pst_148.002
mit stereotypen Epitheta ausgestattet werden. Das pst_148.003
Tier lebt in den Tag hinein. Es hat seinen eigenen Lebenskreis. pst_148.004
Jedes ist eine Welt für sich und vermag sich pst_148.005
als solche auch gegen die Monarchie des Löwen zu behaupten. pst_148.006
So ist denn Reineke Fuchs tatsächlich ein pst_148.007
neuer listenreicher Odysseus. Und wundern kann es uns pst_148.008
nicht, daß er in Tiergestalt Auferstehung feiert. Die pst_148.009
Menschen nämlich sind anders geworden. Die Tiere pst_148.010
aber sind geblieben, was sie waren von Anbeginn.
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Neben den Tieren wären dann weiterhin die Kinder pst_148.012
und Toren zu nennen, Till Eulenspiegel, und was an pst_148.013
Schalksnarren sonst in Epen sein Wesen treibt. Sie kennen pst_148.014
keine Verantwortung gegenüber dem, was allgemein pst_148.015
gilt, so wenig wie die homerischen Helden, die pst_148.016
leben und handeln nach eigenem Sinn. Wenn so die pst_148.017
Komik des Naiven in die Nähe des Epischen rückt, so pst_148.018
darf uns das wohl kaum beirren. Auch Homer, sobald pst_148.019
wir ihn mit unserm modernen Bewußtsein lesen, nötigt pst_148.020
uns oft ein Lächeln ab. Er selber lächelt freilich nicht, pst_148.021
wenn die Götter sich zanken oder Zeus seine Neigung pst_148.022
zu den Troianern mit dem Wein und Gedüft begründet, pst_148.023
das Priamos ihm gespendet hat. Wir aber lächeln, weil pst_148.024
es uns von mühsameren Gottesgedanken entspannt, pst_148.025
weil überall das homerische Epos von Sorgen der modernen pst_148.026
Kultur und Anstrengungen des Geistes befreit.
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In der klassischen Epoche des deutschen Schrifttums pst_148.028
blüht, begünstigt von Vossens Homerübersetzung, das pst_148.029
Epos abermals auf. Die «Luise» von Voß, Goethes pst_148.030
«Hermann und Dorothea», Hebbels «Mutter und pst_148.031
Kind», die «Idylle vom Bodensee» von Mörike stehen
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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