Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_131.001 pst_131.016 Ebenso bewahrt der Mensch gegenüber den Göttern pst_131.017 pst_131.001 pst_131.016 Ebenso bewahrt der Mensch gegenüber den Göttern pst_131.017 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0135" n="131"/><lb n="pst_131.001"/> von der Homer sonst nichts mehr weiß. Im übrigen ist <lb n="pst_131.002"/> es mit der Macht des Zeus durchaus nicht so gut bestellt. <lb n="pst_131.003"/> Es wird zwar ständig versichert, daß alle Entscheidung <lb n="pst_131.004"/> in seinen Händen ruhe. Hera, Ares, Athene, <lb n="pst_131.005"/> Poseidon jedoch sind öfter anderer Meinung, murren, <lb n="pst_131.006"/> wenn Zeus Befehle erteilt, und erkühnen sich gar, mit <lb n="pst_131.007"/> List und Betrug den Willen des Höchsten zu umgehen. <lb n="pst_131.008"/> Dann muß sich Zeus gleichfalls mit Schlauheit oder mit <lb n="pst_131.009"/> Poltern und Drohen behelfen – genau wie Agamemnon <lb n="pst_131.010"/> im Kriegsrat. Das Schauspiel ist peinlich für den <lb n="pst_131.011"/> Herrn. Doch eben deshalb treten sämtliche Götter und <lb n="pst_131.012"/> Helden so herrlich hervor. Sie sind nicht auf den Einen <lb n="pst_131.013"/> bezogen. Jeder hat seine besonderen Wünsche und Angelegenheiten. <lb n="pst_131.014"/> Jeder ist eine frei entfaltete Individualität.</p> <lb n="pst_131.015"/> <lb n="pst_131.016"/> <p> Ebenso bewahrt der Mensch gegenüber den Göttern <lb n="pst_131.017"/> Selbständigkeit. Man hat Homer zwar schon im Altertum <lb n="pst_131.018"/> nachgesagt, seine Helden seien Marionetten in den <lb n="pst_131.019"/> Händen der Himmlischen. Wer aufmerksam liest, bemerkt <lb n="pst_131.020"/> jedoch bald, daß ein solcher Tadel nicht am <lb n="pst_131.021"/> Platz ist. Allerdings heißt es oft, ein Gott habe dies dem <lb n="pst_131.022"/> Menschen eingegeben; er habe seinen Verstand betört <lb n="pst_131.023"/> oder seinen Sinn zum Guten gelenkt. Doch das schließt <lb n="pst_131.024"/> die Freiheit des Handelns nicht aus. Der Mensch kann <lb n="pst_131.025"/> sich dem Willen der Götter fügen oder widersetzen. Er <lb n="pst_131.026"/> selbst trägt die Verantwortung und ist sich dessen durchaus <lb n="pst_131.027"/> bewußt. Und so geht es sogar noch weiter hinab. <lb n="pst_131.028"/> Auch die Tiere gewinnen Selbständigkeit. Die Rosse <lb n="pst_131.029"/> weinen um Patroklos, so daß sie Zeus einer Antwort <lb n="pst_131.030"/> würdigt. In einer gewaltigen Steigerung, wo sich <lb n="pst_131.031"/> Homer nicht mehr anders zu helfen weiß, verleiht er </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [131/0135]
pst_131.001
von der Homer sonst nichts mehr weiß. Im übrigen ist pst_131.002
es mit der Macht des Zeus durchaus nicht so gut bestellt. pst_131.003
Es wird zwar ständig versichert, daß alle Entscheidung pst_131.004
in seinen Händen ruhe. Hera, Ares, Athene, pst_131.005
Poseidon jedoch sind öfter anderer Meinung, murren, pst_131.006
wenn Zeus Befehle erteilt, und erkühnen sich gar, mit pst_131.007
List und Betrug den Willen des Höchsten zu umgehen. pst_131.008
Dann muß sich Zeus gleichfalls mit Schlauheit oder mit pst_131.009
Poltern und Drohen behelfen – genau wie Agamemnon pst_131.010
im Kriegsrat. Das Schauspiel ist peinlich für den pst_131.011
Herrn. Doch eben deshalb treten sämtliche Götter und pst_131.012
Helden so herrlich hervor. Sie sind nicht auf den Einen pst_131.013
bezogen. Jeder hat seine besonderen Wünsche und Angelegenheiten. pst_131.014
Jeder ist eine frei entfaltete Individualität.
pst_131.015
pst_131.016
Ebenso bewahrt der Mensch gegenüber den Göttern pst_131.017
Selbständigkeit. Man hat Homer zwar schon im Altertum pst_131.018
nachgesagt, seine Helden seien Marionetten in den pst_131.019
Händen der Himmlischen. Wer aufmerksam liest, bemerkt pst_131.020
jedoch bald, daß ein solcher Tadel nicht am pst_131.021
Platz ist. Allerdings heißt es oft, ein Gott habe dies dem pst_131.022
Menschen eingegeben; er habe seinen Verstand betört pst_131.023
oder seinen Sinn zum Guten gelenkt. Doch das schließt pst_131.024
die Freiheit des Handelns nicht aus. Der Mensch kann pst_131.025
sich dem Willen der Götter fügen oder widersetzen. Er pst_131.026
selbst trägt die Verantwortung und ist sich dessen durchaus pst_131.027
bewußt. Und so geht es sogar noch weiter hinab. pst_131.028
Auch die Tiere gewinnen Selbständigkeit. Die Rosse pst_131.029
weinen um Patroklos, so daß sie Zeus einer Antwort pst_131.030
würdigt. In einer gewaltigen Steigerung, wo sich pst_131.031
Homer nicht mehr anders zu helfen weiß, verleiht er
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |