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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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pst_110.001

"Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile pst_110.002
nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind pst_110.003
Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen pst_110.004
Gegenstände der Malerei.

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Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander pst_110.006
folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich pst_110.007
sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der pst_110.008
Poesie.

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Doch alle Körper existieren nicht allein in dem pst_110.010
Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und pst_110.011
können in jedem Augenblick ihrer Dauer anders erscheinen pst_110.012
und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser pst_110.013
augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen pst_110.014
ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die pst_110.015
Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum pst_110.016
einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei pst_110.017
auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise pst_110.018
durch Körper.

pst_110.019

Auf der andern Seite können Handlungen nicht für pst_110.020
sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen pst_110.021
anhängen. Insofern nun diese Wesen Körper sind oder pst_110.022
als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch pst_110.023
Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen."

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Diese Sätze sind ebenso oft bewundert wie angefochten pst_110.025
worden. Zunächst einmal wäre klarzustellen, daß pst_110.026
Lessing offenbar nur die Grenzen der epischen Dichtung pst_110.027
ziehen will. Die lyrische Poesie beschreibt überhaupt pst_110.028
nicht und stellt keine Gegenstände, weder Körper pst_110.029
noch Handlungen, vor. Vom Lyrischen hat nun Lessing pst_110.030
zwar noch keinen ausgeprägten Begriff. Doch wie pst_110.031
es damit bestellt sei, deuten etwa folgende Zeilen an:

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  «Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile pst_110.002
nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind pst_110.003
Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen pst_110.004
Gegenstände der Malerei.

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  Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander pst_110.006
folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich pst_110.007
sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der pst_110.008
Poesie.

pst_110.009

  Doch alle Körper existieren nicht allein in dem pst_110.010
Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und pst_110.011
können in jedem Augenblick ihrer Dauer anders erscheinen pst_110.012
und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser pst_110.013
augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen pst_110.014
ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die pst_110.015
Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum pst_110.016
einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei pst_110.017
auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise pst_110.018
durch Körper.

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  Auf der andern Seite können Handlungen nicht für pst_110.020
sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen pst_110.021
anhängen. Insofern nun diese Wesen Körper sind oder pst_110.022
als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch pst_110.023
Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.»

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  Diese Sätze sind ebenso oft bewundert wie angefochten pst_110.025
worden. Zunächst einmal wäre klarzustellen, daß pst_110.026
Lessing offenbar nur die Grenzen der epischen Dichtung pst_110.027
ziehen will. Die lyrische Poesie beschreibt überhaupt pst_110.028
nicht und stellt keine Gegenstände, weder Körper pst_110.029
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/114>, abgerufen am 24.11.2024.