Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_097.001 "Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten pst_097.011 Mahle." pst_097.012 pst_097.014"Und sie schwang sich herab vom Gipfel des hohen pst_097.013 Olympos." Freilich läßt sich dieser Brauch aus dem improvisierten pst_097.015 pst_097.001 «Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten pst_097.011 Mahle.» pst_097.012 pst_097.014«Und sie schwang sich herab vom Gipfel des hohen pst_097.013 Olympos.» Freilich läßt sich dieser Brauch aus dem improvisierten pst_097.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="97"/><lb n="pst_097.001"/> mit Augen der Eule, der Herrscher im Donnergewölk <lb n="pst_097.002"/> Zeus». Hektor, Achill, Athene, Zeus sind ein für allemal <lb n="pst_097.003"/> festgelegt. So haben sie sich ausgewiesen. So werden <lb n="pst_097.004"/> sie immer wieder genannt. Und immer ist es dieselbe <lb n="pst_097.005"/> Eos, die rosenfingrig am Morgen erscheint, derselbe <lb n="pst_097.006"/> Schlaf, der die Glieder löst. Auch wenn die Troer <lb n="pst_097.007"/> schmausen und später die Griechen, wenn sich Athene <lb n="pst_097.008"/> oder Iris vom Olymp herabschwingt, wird das Gleiche <lb n="pst_097.009"/> im Verschiedenen mit denselben Worten erzählt:</p> <lb n="pst_097.010"/> <lg> <l>«Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten</l> <lb n="pst_097.011"/> <l> <hi rendition="#et">Mahle.»</hi> </l> </lg> <lg> <lb n="pst_097.012"/> <l>«Und sie schwang sich herab vom Gipfel des hohen</l> <lb n="pst_097.013"/> <l> <hi rendition="#et">Olympos.»</hi> </l> </lg> <lb n="pst_097.014"/> <p>Freilich läßt sich dieser Brauch aus dem improvisierten <lb n="pst_097.015"/> Vortrag erklären. Der Rhapsode bedarf eines größeren <lb n="pst_097.016"/> Vorrats bereits geprägter Verse, die er gelegentlich einschiebt, <lb n="pst_097.017"/> um inzwischen das Folgende zu bedenken. <lb n="pst_097.018"/> Doch diese historische Begründung schließt die ästhetische <lb n="pst_097.019"/> Deutung nicht aus. Die Freude an der Wiederkehr <lb n="pst_097.020"/> des Gleichen, der Triumph, daß nun das Leben <lb n="pst_097.021"/> nicht mehr unaufhaltsam dahinströmt, sondern Dauerndes <lb n="pst_097.022"/> ist, und Gegenständliches fest besteht und sich identifizieren <lb n="pst_097.023"/> läßt, das ist so mächtig, daß es jeder unverbildete <lb n="pst_097.024"/> Leser noch heute als beseligende Ahnung von <lb n="pst_097.025"/> frühen Tagen der Menschheit spürt. Denn was in den <lb n="pst_097.026"/> stereotypen Formeln Homers bereits zum bewährten <lb n="pst_097.027"/> Mittel hoher Kunst geworden ist, es scheint den Vorgang <lb n="pst_097.028"/> zu beschließen, den Herder in der Schrift vom <lb n="pst_097.029"/> Ursprung der Sprache zu deuten unternahm.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [97/0101]
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mit Augen der Eule, der Herrscher im Donnergewölk pst_097.002
Zeus». Hektor, Achill, Athene, Zeus sind ein für allemal pst_097.003
festgelegt. So haben sie sich ausgewiesen. So werden pst_097.004
sie immer wieder genannt. Und immer ist es dieselbe pst_097.005
Eos, die rosenfingrig am Morgen erscheint, derselbe pst_097.006
Schlaf, der die Glieder löst. Auch wenn die Troer pst_097.007
schmausen und später die Griechen, wenn sich Athene pst_097.008
oder Iris vom Olymp herabschwingt, wird das Gleiche pst_097.009
im Verschiedenen mit denselben Worten erzählt:
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«Und sie erhoben die Hände zum lecker bereiteten pst_097.011
Mahle.»
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«Und sie schwang sich herab vom Gipfel des hohen pst_097.013
Olympos.»
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Freilich läßt sich dieser Brauch aus dem improvisierten pst_097.015
Vortrag erklären. Der Rhapsode bedarf eines größeren pst_097.016
Vorrats bereits geprägter Verse, die er gelegentlich einschiebt, pst_097.017
um inzwischen das Folgende zu bedenken. pst_097.018
Doch diese historische Begründung schließt die ästhetische pst_097.019
Deutung nicht aus. Die Freude an der Wiederkehr pst_097.020
des Gleichen, der Triumph, daß nun das Leben pst_097.021
nicht mehr unaufhaltsam dahinströmt, sondern Dauerndes pst_097.022
ist, und Gegenständliches fest besteht und sich identifizieren pst_097.023
läßt, das ist so mächtig, daß es jeder unverbildete pst_097.024
Leser noch heute als beseligende Ahnung von pst_097.025
frühen Tagen der Menschheit spürt. Denn was in den pst_097.026
stereotypen Formeln Homers bereits zum bewährten pst_097.027
Mittel hoher Kunst geworden ist, es scheint den Vorgang pst_097.028
zu beschließen, den Herder in der Schrift vom pst_097.029
Ursprung der Sprache zu deuten unternahm.
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