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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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sieh', das Feuer ist auch beim Raubvogel! sieh' doch die Fel¬
sen! sieh' die Tannen! Alles, Alles ist im Feuer!"

"Es war immer so", sagte jetzt der Peter gemüthlich und
schälte an seiner Ruthe fort, "aber es ist kein Feuer."

"Was ist es denn?" rief Heidi und sprang hierhin
und dorthin, daß es überallhin sehe, denn es konnte gar
nicht genug bekommen, so schön war's auf allen Seiten.
"Was ist es, Peter, was ist es?" rief Heidi wieder.

"Es kommt von selbst so", erklärte der Peter.

"O sieh', sieh'", rief Heidi in großer Aufregung, "auf
einmal werden sie rosenroth! Sieh' den mit dem Schnee
und den mit den hohen, spitzigen Felsen! wie heißen sie,
Peter?"

"Berge heißen nicht", erwiderte dieser.

"O wie schön, sieh' den rosenrothen Schnee! O, und
an den Felsen oben sind viele, viele Rosen! O, nun wer¬
den sie grau! O! O! Nun ist Alles ausgelöscht! Nun
ist Alles aus, Peter!" Und Heidi setzte sich auf den Bo¬
den und sah so verstört aus, als ginge wirklich Alles zu
Ende.

"Es ist morgen wieder so", erklärte Peter. "Steh'
auf, nun müssen wir heim."

Die Gaißen wurden herbeigepfiffen und -gerufen und
die Heimfahrt angetreten.

"Ist's alle Tage wieder so, alle Tage, wenn wir auf
der Weide sind?" fragte Heidi, begierig nach einer be¬

ſieh', das Feuer iſt auch beim Raubvogel! ſieh' doch die Fel¬
ſen! ſieh' die Tannen! Alles, Alles iſt im Feuer!“

„Es war immer ſo“, ſagte jetzt der Peter gemüthlich und
ſchälte an ſeiner Ruthe fort, „aber es iſt kein Feuer.“

„Was iſt es denn?“ rief Heidi und ſprang hierhin
und dorthin, daß es überallhin ſehe, denn es konnte gar
nicht genug bekommen, ſo ſchön war's auf allen Seiten.
„Was iſt es, Peter, was iſt es?“ rief Heidi wieder.

„Es kommt von ſelbſt ſo“, erklärte der Peter.

„O ſieh', ſieh'“, rief Heidi in großer Aufregung, „auf
einmal werden ſie roſenroth! Sieh' den mit dem Schnee
und den mit den hohen, ſpitzigen Felſen! wie heißen ſie,
Peter?“

„Berge heißen nicht“, erwiderte dieſer.

„O wie ſchön, ſieh' den roſenrothen Schnee! O, und
an den Felſen oben ſind viele, viele Roſen! O, nun wer¬
den ſie grau! O! O! Nun iſt Alles ausgelöſcht! Nun
iſt Alles aus, Peter!“ Und Heidi ſetzte ſich auf den Bo¬
den und ſah ſo verſtört aus, als ginge wirklich Alles zu
Ende.

„Es iſt morgen wieder ſo“, erklärte Peter. „Steh'
auf, nun müſſen wir heim.“

Die Gaißen wurden herbeigepfiffen und -gerufen und
die Heimfahrt angetreten.

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[46/0056] ſieh', das Feuer iſt auch beim Raubvogel! ſieh' doch die Fel¬ ſen! ſieh' die Tannen! Alles, Alles iſt im Feuer!“ „Es war immer ſo“, ſagte jetzt der Peter gemüthlich und ſchälte an ſeiner Ruthe fort, „aber es iſt kein Feuer.“ „Was iſt es denn?“ rief Heidi und ſprang hierhin und dorthin, daß es überallhin ſehe, denn es konnte gar nicht genug bekommen, ſo ſchön war's auf allen Seiten. „Was iſt es, Peter, was iſt es?“ rief Heidi wieder. „Es kommt von ſelbſt ſo“, erklärte der Peter. „O ſieh', ſieh'“, rief Heidi in großer Aufregung, „auf einmal werden ſie roſenroth! Sieh' den mit dem Schnee und den mit den hohen, ſpitzigen Felſen! wie heißen ſie, Peter?“ „Berge heißen nicht“, erwiderte dieſer. „O wie ſchön, ſieh' den roſenrothen Schnee! O, und an den Felſen oben ſind viele, viele Roſen! O, nun wer¬ den ſie grau! O! O! Nun iſt Alles ausgelöſcht! Nun iſt Alles aus, Peter!“ Und Heidi ſetzte ſich auf den Bo¬ den und ſah ſo verſtört aus, als ginge wirklich Alles zu Ende. „Es iſt morgen wieder ſo“, erklärte Peter. „Steh' auf, nun müſſen wir heim.“ Die Gaißen wurden herbeigepfiffen und -gerufen und die Heimfahrt angetreten. „Iſt's alle Tage wieder ſo, alle Tage, wenn wir auf der Weide ſind?“ fragte Heidi, begierig nach einer be¬

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/56>, abgerufen am 09.05.2024.