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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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Großmutter", rief er hinein, "ich denke, wir müssen einmal
wieder an's Flicken gehn, bevor der Herbstwind kommt."

"Du mein Gott, das ist der Oehi!" rief die Gro߬
mutter voll freudiger Ueberraschung aus; "daß ich das noch
erlebe! daß ich Euch noch einmal danken kann für Alles,
das Ihr für uns gethan habt, Oehi! Vergelt's Gott!
Vergelt's Gott!"

Und mit zitternder Freude streckte die alte Großmutter
ihre Hand aus, und als der Angeredete sie herzlich schüttelte,
fuhr sie fort, indem sie die seinige festhielt: "Und eine
Bitte hab' ich auch noch auf dem Herzen, Oehi: Wenn
ich Euch je Etwas zu Leid gethan habe, so straft mich nicht
damit, daß Ihr noch einmal das Heidi fortlaßt, bevor
ich unten bei der Kirche liege. O Ihr wißt nicht, was
mir das Kind ist!" und sie hielt es fest an sich, denn
Heidi hatte sich schon an sie geschmiegt.

"Keine Sorge, Großmutter", beruhigte der Oehi,
"damit will ich weder Euch noch mich strafen, jetzt bleiben
wir Alle bei einander und will's Gott noch lange so."

Jetzt zog die Brigitte den Oehi ein wenig geheimni߬
voll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das schöne Feder¬
hütchen, und erzählte ihm, wie es sich damit verhalte,
und daß sie ja natürlich so Etwas einem Kinde nicht ab¬
nehme.

Aber der Großvater sah ganz wohlgefällig auf sein Heidi
hin und sagte: "Der Hut ist sein, und wenn es ihn

Großmutter“, rief er hinein, „ich denke, wir müſſen einmal
wieder an's Flicken gehn, bevor der Herbſtwind kommt.“

„Du mein Gott, das iſt der Oehi!“ rief die Gro߬
mutter voll freudiger Ueberraſchung aus; „daß ich das noch
erlebe! daß ich Euch noch einmal danken kann für Alles,
das Ihr für uns gethan habt, Oehi! Vergelt's Gott!
Vergelt's Gott!“

Und mit zitternder Freude ſtreckte die alte Großmutter
ihre Hand aus, und als der Angeredete ſie herzlich ſchüttelte,
fuhr ſie fort, indem ſie die ſeinige feſthielt: „Und eine
Bitte hab' ich auch noch auf dem Herzen, Oehi: Wenn
ich Euch je Etwas zu Leid gethan habe, ſo ſtraft mich nicht
damit, daß Ihr noch einmal das Heidi fortlaßt, bevor
ich unten bei der Kirche liege. O Ihr wißt nicht, was
mir das Kind iſt!“ und ſie hielt es feſt an ſich, denn
Heidi hatte ſich ſchon an ſie geſchmiegt.

„Keine Sorge, Großmutter“, beruhigte der Oehi,
„damit will ich weder Euch noch mich ſtrafen, jetzt bleiben
wir Alle bei einander und will's Gott noch lange ſo.“

Jetzt zog die Brigitte den Oehi ein wenig geheimni߬
voll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das ſchöne Feder¬
hütchen, und erzählte ihm, wie es ſich damit verhalte,
und daß ſie ja natürlich ſo Etwas einem Kinde nicht ab¬
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Aber der Großvater ſah ganz wohlgefällig auf ſein Heidi
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[237/0247] Großmutter“, rief er hinein, „ich denke, wir müſſen einmal wieder an's Flicken gehn, bevor der Herbſtwind kommt.“ „Du mein Gott, das iſt der Oehi!“ rief die Gro߬ mutter voll freudiger Ueberraſchung aus; „daß ich das noch erlebe! daß ich Euch noch einmal danken kann für Alles, das Ihr für uns gethan habt, Oehi! Vergelt's Gott! Vergelt's Gott!“ Und mit zitternder Freude ſtreckte die alte Großmutter ihre Hand aus, und als der Angeredete ſie herzlich ſchüttelte, fuhr ſie fort, indem ſie die ſeinige feſthielt: „Und eine Bitte hab' ich auch noch auf dem Herzen, Oehi: Wenn ich Euch je Etwas zu Leid gethan habe, ſo ſtraft mich nicht damit, daß Ihr noch einmal das Heidi fortlaßt, bevor ich unten bei der Kirche liege. O Ihr wißt nicht, was mir das Kind iſt!“ und ſie hielt es feſt an ſich, denn Heidi hatte ſich ſchon an ſie geſchmiegt. „Keine Sorge, Großmutter“, beruhigte der Oehi, „damit will ich weder Euch noch mich ſtrafen, jetzt bleiben wir Alle bei einander und will's Gott noch lange ſo.“ Jetzt zog die Brigitte den Oehi ein wenig geheimni߬ voll in eine Ecke hinein und zeigte ihm das ſchöne Feder¬ hütchen, und erzählte ihm, wie es ſich damit verhalte, und daß ſie ja natürlich ſo Etwas einem Kinde nicht ab¬ nehme. Aber der Großvater ſah ganz wohlgefällig auf ſein Heidi hin und ſagte: „Der Hut iſt ſein, und wenn es ihn

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/247>, abgerufen am 28.04.2024.