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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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seine Haare und es ist ja seine Stimme, ach du lieber
Gott, daß du mich das noch erleben lässest" Und aus
den blinden Augen fielen ein paar große Freudenthränen
auf Heidi's Hand nieder. "Bist du's auch, Heidi, bist du
auch sicher wieder da?"

"Ja, ja, sicher, Großmutter", rief Heidi nun mit aller
Zuversicht, "weine nur nicht, ich bin ganz gewiß wieder da
und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und
du mußt auch manchen Tag kein hartes Brod mehr essen,
siehst du, Großmutter, siehst du?"

Und Heidi packte nun aus seinem Korb ein Brödchen
nach dem andern aus, bis es alle zwölfe auf dem Schooß
der Großmutter aufgehäuft hatte.

"Ach Kind! Ach Kind! was bringst du denn für einen
Segen mit!" rief die Großmutter aus, als es nicht enden
wollte mit den Brödchen und immer noch eines folgte.
"Aber der größte Segen bist du mir doch selber, Kind!"
Dann griff sie wieder in Heidi's krause Haare und strich über
seine heißen Wangen, und sagte wieder: "Sag' noch ein
Wort, Kind, sag' noch Etwas, daß ich dich hören kann."

Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angst
es habe ausstehen müssen, sie sei vielleicht gestorben unter¬
dessen und habe nun gar nie die weißen Brödchen bekommen,
und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen.

Jetzt trat Peter's Mutter herein und blieb einen
Augenblick unbeweglich stehen vor Erstaunen. Dann rief

ſeine Haare und es iſt ja ſeine Stimme, ach du lieber
Gott, daß du mich das noch erleben läſſeſt“ Und aus
den blinden Augen fielen ein paar große Freudenthränen
auf Heidi's Hand nieder. „Biſt du's auch, Heidi, biſt du
auch ſicher wieder da?“

„Ja, ja, ſicher, Großmutter“, rief Heidi nun mit aller
Zuverſicht, „weine nur nicht, ich bin ganz gewiß wieder da
und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und
du mußt auch manchen Tag kein hartes Brod mehr eſſen,
ſiehſt du, Großmutter, ſiehſt du?“

Und Heidi packte nun aus ſeinem Korb ein Brödchen
nach dem andern aus, bis es alle zwölfe auf dem Schooß
der Großmutter aufgehäuft hatte.

„Ach Kind! Ach Kind! was bringſt du denn für einen
Segen mit!“ rief die Großmutter aus, als es nicht enden
wollte mit den Brödchen und immer noch eines folgte.
„Aber der größte Segen biſt du mir doch ſelber, Kind!“
Dann griff ſie wieder in Heidi's krauſe Haare und ſtrich über
ſeine heißen Wangen, und ſagte wieder: „Sag' noch ein
Wort, Kind, ſag' noch Etwas, daß ich dich hören kann.“

Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angſt
es habe ausſtehen müſſen, ſie ſei vielleicht geſtorben unter¬
deſſen und habe nun gar nie die weißen Brödchen bekommen,
und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen.

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[210/0220] ſeine Haare und es iſt ja ſeine Stimme, ach du lieber Gott, daß du mich das noch erleben läſſeſt“ Und aus den blinden Augen fielen ein paar große Freudenthränen auf Heidi's Hand nieder. „Biſt du's auch, Heidi, biſt du auch ſicher wieder da?“ „Ja, ja, ſicher, Großmutter“, rief Heidi nun mit aller Zuverſicht, „weine nur nicht, ich bin ganz gewiß wieder da und komme alle Tage zu dir und gehe nie wieder fort, und du mußt auch manchen Tag kein hartes Brod mehr eſſen, ſiehſt du, Großmutter, ſiehſt du?“ Und Heidi packte nun aus ſeinem Korb ein Brödchen nach dem andern aus, bis es alle zwölfe auf dem Schooß der Großmutter aufgehäuft hatte. „Ach Kind! Ach Kind! was bringſt du denn für einen Segen mit!“ rief die Großmutter aus, als es nicht enden wollte mit den Brödchen und immer noch eines folgte. „Aber der größte Segen biſt du mir doch ſelber, Kind!“ Dann griff ſie wieder in Heidi's krauſe Haare und ſtrich über ſeine heißen Wangen, und ſagte wieder: „Sag' noch ein Wort, Kind, ſag' noch Etwas, daß ich dich hören kann.“ Heidi erzählte nun der Großmutter, welche große Angſt es habe ausſtehen müſſen, ſie ſei vielleicht geſtorben unter¬ deſſen und habe nun gar nie die weißen Brödchen bekommen, und es könne nie, nie mehr zu ihr gehen. Jetzt trat Peter's Mutter herein und blieb einen Augenblick unbeweglich ſtehen vor Erſtaunen. Dann rief

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/220>, abgerufen am 28.04.2024.